beck-aktuell: Die Justizministerinnen und Justizminister werden Anfang Juni in Bad Schandau eine heikle neue Ermittlungsmethode debattieren. Beim Verdacht auf schwere Straftaten sollen Spuren genetisch untersucht werden, um deren biogeografische Herkunft zu ermitteln, so jedenfalls ein Vorschlag aus Bayern und Baden-Württemberg. Die frühere SPD-Justizministerin Christine Lambrecht befürchtet dagegen Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen und auch der DAV und der RAV warnen vor rassistischen Ermittlungen. Was halten Sie von diesem Vorstoß?
Hörnle: Die grundsätzliche Frage, ob es diese Ermittlungsmöglichkeit geben sollte, kann meines Erachtens nur mit Ja beantwortet werden. Ich halte diese Erweiterung der StPO für sinnvoll und halte es für unglücklich, dass die Idee nun in parteipolitische Diskussionen gerät, die den Blick auf das wahre Problem verstellen.
beck-aktuell: Das wahre Problem ist was aus Ihrer Sicht?
Hörnle: Die Herausforderung ist, diese Ermittlungsmaßnahme einerseits zu ermöglichen, andererseits aber auch dafür zu sorgen, dass damit in der Polizei verantwortungsvoll umgegangen wird.
"Die Aussagekraft sollte nicht überschätzt werden"
beck-aktuell: Was bringt die biogeografische Eingrenzung des Täterkreises den Ermittlern?
Hörnle: Diese Ermittlungsmaßnahme wird sicher nicht sehr häufig angewandt werden, aber es gibt Fälle – und wir reden hier typischerweise über schwere Straftaten – in denen völlig unklar ist, wer der Täter sein könnte, wobei aber bestimmte Spuren vorliegen: Körperzellen des Täters, etwa Blut oder Sperma. Und nun geht es darum, alle Informationen aus diesen Körperzellen auszulesen, die diese Spuren bieten. Das sollte den Ermittlern ermöglicht werden.
beck-aktuell: Wie genau lässt sich denn der biogeografische Standort oder die Herkunft des Täters, der Täterin ermitteln? Reden wir über Weltregionen oder kleine Gebiete?
Hörnle: Die forensische Literatur deutet darauf hin, dass in den vergangenen Jahren doch deutliche Fortschritte erzielt wurden. Laut den Experten lässt sich die Herkunft mittlerweile auf kleinere Regionen eingrenzen. Aber die Aussagekraft sollte dennoch nicht überschätzt werden, davor sollte auch mit Bezug auf die polizeilichen Ermittlungen gewarnt werden. Letztlich werden hier die Vorfahren ermittelt. Das kann vor allem in Ländern mit starker Migrationsbewegung durchaus ein heterogenes Bild ergeben. Insofern muss auch diese Komplexität bei der Verwertung solcher Angaben berücksichtigt werden.
"Ermittlungsbehörden müssen damit verantwortungsbewusst umgehen"
beck-aktuell: Ein Argument für den Vorschlag aus Bayern und Baden-Württemberg ist, dass man mittels dieser erweiterten DNA-Analyse auch Nichtbeteiligte schützt, die so schneller als Verdächtige ausgeschlossen werden können. Halten Sie das Argument für tragfähig?
Hörnle: Bei allen erlangten Informationen im Ermittlungsverfahren, und es sind ja immer nur kleine Puzzleteile, ist natürlich immer die logische Folge, dass damit eine andere Gruppe aus dem Kreis der potenziellen Tatverdächtigen ausscheidet, bis irgendwann hoffentlich die Konkretisierung eines Individuums möglich ist.
Die Idee, dass wegen der erweiterten DNA-Analyse größere Bevölkerungsgruppen pauschal beschuldigt oder auch pauschal entlastet werden, geht an den realen Ermittlungssituationen vorbei. Es geht vielmehr darum, mithilfe einer Vielzahl von Puzzleteilen den Täter oder die Täterin zu identifizieren. Je mehr Puzzleteile zur Verfügung stehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt. Dass damit pauschal ein Verdacht gegen eine ganze Gruppe verbunden wäre, ist einfach abwegig. Natürlich sind nicht alle Nordeuropäer, nicht alle Menschen aus Lateinamerika, nicht alle Syrer etc. unter Verdacht, nur weil die DNA-Analyse nahelegt, dass der Täter dieser Gruppe angehört. Diese Vorstellung ist falsch.
beck-aktuell: Dennoch gibt es politische Kräfte, die gezielt Menschengruppen ausgrenzen wollen und wir haben auch aktuell gesellschaftlich eine Situation, in der schon jetzt bei jeder Tat sehr schnell nach der Herkunft gefragt wird. Muss das nicht berücksichtigt werden, wenn man so etwas vorschlägt?
Hörnle: Es kommt sehr stark auf die Kommunikation an. Natürlich müssen Ermittlungsbehörden mit diesem Wissen verantwortungsbewusst umgehen. Der allgemeine Aufruf an die Bevölkerung, es seien nun alle Personen aus einer Region verdächtig, muss natürlich vermieden werden. Aber wir können doch nicht allein aus dem Umstand, dass Fakten für politische Zwecke missbraucht werden können, schließen, diese Fakten dann lieber gar nicht zu erheben! Informationen, Wahrscheinlichkeiten und Indizien einfach zu ignorieren, weil sie politisch missbraucht werden könnten, würde das Pferd doch von hinten aufzäumen.
"Es war schon damals falsch, das einzugrenzen"
beck-aktuell: Diese Fragen sind ja 2019 alle schon einmal diskutiert worden, als es darum ging, wie weit die DNA-Analyse gehen darf. Inzwischen kann man gemäß § 81e Abs. 2 StPO Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter genetisch ermitteln. Damals hat man sich ausdrücklich gegen die geobiologische Analyse entschieden. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert?
Hörnle: Meiner Meinung nach war es damals schon falsch, das einzugrenzen. Das war offensichtlich ein politischer Kompromiss. Alles, was mit molekulargenetischen Untersuchungen zu tun hat, ist in der politischen Landschaft stark umstritten – nicht immer aus rationalen Gründen.
beck-aktuell: Glauben Sie, wir werden diese Dimension der biografischen Herkunft auch in der Kriminalitätsstatistik sehen?
Hörnle: Das halte ich für unwahrscheinlich. Zum einen wird es sich um seltene Fälle handeln, in denen die neu ermöglichte Ermittlungsmethode ggf. eingesetzt würde Es geht nicht um Massendelikte, sondern es geht um wenige, sehr schwere Straftaten. Zum anderen erfordern molekulargenetische Untersuchungen großen Aufwand. Das macht man nicht mal eben so, sondern nur, wenn der Fall sich dafür anbietet. Und selbst wenn Ermittlungsbehörden so viele dieser Puzzleteile wie möglich gesammelt haben, ist es gut möglich, dass am Ende der Täter trotzdem nicht ermittelt werden kann. Geobiologische Informationen haben oder sie nicht zu haben, wird sich in der Kriminalstatistik und insbesondere in der Gerichtsstatistik vermutlich nicht niederschlagen.
beck-aktuell: Herzlichen Dank für diese Einordnung.
Prof. Dr. Tatjana Hörne ist Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg und Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das Interview entstand im Rahmen eines Gesprächs in Folge 54 von Gerechtigkeit & Loseblatt, dem Podcast von NJW und beck-aktuell. Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt.