Extremisten im Beamtendienst: "Heute kann man Verfassungsfeinde früher erkennen"
© K. Fahlbusch

Ein Polizist darf trotz rassistischer und antisemitischer Äußerungen im Dienst bleiben, eine Ministerialbeamtin muss nach heftiger Israel-Kritik ihren Hut nehmen. Wie das zusammenpasst und ob das Beamtenrecht für Verfassungsfeinde gerüstet ist, erklärt Stephan Berndt im Gespräch.

beck-aktuell: In dieser Woche sorgte ein Bericht von beck-aktuell über den Fall eines Polizisten für viel Aufregung, der in WhatsApp-Nachrichten offen rassistische und antisemitische Botschaften verschickte, darunter die Neonazi-Kürzel "SH" und "HH", wie auch Vernichtungswünsche gegenüber Jüdinnen und Juden. Sein Dienstherr wollte ihn loswerden, doch der VGH München erteilte dem eine Absage – unter anderem, weil es sich um private Nachrichten gehandelt habe, die mit Blick auf die Meinungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht des Beamten sehr hohen Schutz genössen. Zudem seien sie vielleicht nicht immer ganz ernst gemeint gewesen, fand das Gericht. Herr Dr. Berndt, Beamtinnen und Beamte müssen laut Gesetz stets zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Warum spielt es hier eine Rolle, ob jemand seine verfassungsfeindliche Gesinnung in Chats kundtut oder öffentlich macht?

Dr. Stephan Berndt: Zunächst muss das Beamtenverhältnis in den Blick genommen werden. Beamtinnen und Beamte zeigen die Bereitschaft, ein Leben lang für den Staat tätig zu werden und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu achten. Dies bedingt, dass Beamte ihr Amt zum Wohle der Gemeinschaft, an Recht und Gesetz orientiert und auch neutral ausüben. Hierfür erhalten Sie als Gegenleistung lebenslange Versorgung, bspw. Alimentation. Aufgrund der Neutralität und Objektivität der Dienstausübung sind Beamte im Dienst gehalten, keine politischen Ansichten zu äußern, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder gar an der Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wecken. Das ist auch in den Beamtengesetzen so niedergeschrieben.

Der Polizeibeamte, um den es hier geht, hat laut VGH München seine Äußerungen nicht im Dienst getätigt, sondern im privaten Bereich. Auch hier – abseits des Dienstes – gilt die Zurückhaltungs- und Mäßigungspflicht für Beamtinnen und Beamte. Auch in Ihrer Freizeit dürfen Beamte aus Ihrem Verhalten oder ihren Äußerungen nie den Schluss zulassen, dass sie ihr Amt nicht neutral und objektiv ausüben. Insofern haben Beamte – die sich natürlich abseits des Dienstes politisch engagieren dürfen – zumindest die Pflicht, die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht anzutasten.

"Es gibt kein Schema: Eine rassistische Äußerung führt zur Entfernung aus dem Dienst"

beck-aktuell: Welche Rolle spielt dabei, ob die Äußerungen in einem privaten Chat getätigt wurden?

Berndt: Der Dienstherr muss und kann außerdienstliches Verhalten für die Bewertung dessen, ob ein Beamter seine Pflichten erfüllt hat, berücksichtigen. Dies sieht das Beamtenrecht sogar ausdrücklich vor, indem der Dienstherr ein außerdienstliches Verhalten, dass nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen, disziplinarrechtlich ahnden muss. Die Wertung dessen, ob Dienstpflichten – vor allem die Pflicht zur Verfassungstreue – verletzt wurden, ist also eine Einzelfallbewertung, wie wir es auch aus dem Strafprozess kennen. Es gibt also keine schematische Anwendung nach dem Motto: Eine rassistische Äußerung bedingt die Entfernung aus dem Dienst. Der Dienstherr – und letztlich die Gerichte – muss immer die jeweiligen Umstände prüfen, die zu einer Pflichtverletzung geführt haben.

beck-aktuell: Was bedeutet das für Chat-Nachrichten?

Berndt: Die Tatsache, dass rassistisches oder verfassungsfeindliches Material auf dem Privattelefon gefunden wird, heißt noch nicht automatisch, dass dem Beamten grundsätzlich nicht mehr zugetraut werden kann, im Dienst die Verfassungstreuepflicht zu erfüllen. Sicherlich: Objektiv rassistische oder antisemitische Äußerungen wiegen bereits schwer. Dies entbindet aber den Dienstherrn und die Gerichte nicht von einer Einzelfallbetrachtung und Würdigung. Tatsächlich hat der VGH hier sehr weit gegriffen und gesagt: Wir schauen uns an, an wen die Nachricht ging, wer der Initiator war, wie der Freundeskreis des Betroffenen aussieht und inwiefern die Ernsthaftigkeit dieser Äußerung in Zweifel steht.

Diese Gesamtumstände müssen bei den Richterinnen und Richtern zu der Überzeugung geführt haben, dass dem Beamten noch ein Restvertrauen zugesprochen werden könne. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er diese Ansichten gar nicht teilt. Zudem hielt es der VGH für nicht ausgeschlossen, dass der Beamte aufgrund einer eindringlichen Disziplinarmaßnahme sein Verhalten anpassen würde – eben weil eine eigene innerlich verankerte menschenfeindliche Gesinnung des Beamten nicht festgestellt werden konnte. Die Details können wir natürlich nur so weit bewerten, wie sie aus dem Urteil ersichtlich sind. Am Ende muss man aber festhalten: Eine andere Abwägung wäre denkbar gewesen.

"Wir haben eine andere Sensibilität entwickelt"

beck-aktuell: Nichtsdestotrotz hat der VGH so entschieden und das wirft die Frage auf, ob das Beamtenrecht gut genug gerüstet ist, um Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Haben wir dafür nicht die nötigen Instrumente?

Berndt: Das sehe ich nicht so. Die Pflicht zur Verfassungstreue gibt es, seitdem es das Beamtentum gibt. Und natürlich stehen Beamtinnen und Beamte auf Seiten des Staates und müssen die verfassungsmäßige Ordnung wahren.

Nun haben wir aber inzwischen eine besondere gesellschaftliche und politische Sensibilität für dieses Thema entwickelt, bestimmte Äußerungen werden heute anders bewertet als vielleicht vor zehn oder 15 Jahren. Das führte auch dazu, dass 2024 eine umfangreiche Gesetzesänderung erlassen wurde, die genau darauf abzielte, Verfassungsfeinde aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen oder gar nicht erst in den Beamtenstatus kommen zu lassen. 

beck-aktuell: Was war Inhalt dieser Gesetzesänderung?

Berndt: Ein Aspekt war, dass man sich – wohlgemerkt auf Bundesebene – von der Disziplinarklage verabschiedet hat, mit welcher der Dienstherr zur Entlassung eines Beamten immer zunächst das Verwaltungsgericht anrufen musste. Das Verwaltungsgericht hatte sodann zu entscheiden, ob die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen war. Nun hat man dem Bund die Möglichkeit gegeben, Beamte mit einer Disziplinarverfügung – also per Bescheid – aus dem Dienst zu entlassen. Früher war das, mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo das schon länger so geübt wird, nicht so. Der Bund als Dienstherr hat insofern mehr Handlungsfähigkeit. Einige andere Bundesländer haben das inzwischen auch übernommen, Bayern aber beispielsweise nicht.

"Beamte müssen bedenken: Welche Wirkung hat es, wenn ich mich so äußere?"

beck-aktuell: So ergangen ist es unter anderem der Juristin und früheren Bundesbeamtin Melanie Schweizer. Diese hat ihren Job im Bundesarbeitsministerium verloren, weil sie öffentlich – und auch teilweise im Dienst – israelkritische Aussagen tätigte, nach Medienberichten bezeichnete sie etwa Gaza als "das größte Konzentrationslager der Welt" und den Staat Israel als "rassistisches, genozidales Apartheidsystem". Hier stellt sich die Frage: Wie politisch dürfen Beamte – abseits von ihrer Verfassungstreue – sein?

Berndt: Es gibt einmal die Pflicht zur Verfassungstreue und es gibt die Mäßigungs- und Zurückhaltungspflicht der Beamtinnen und Beamten. Auch hier muss man wieder das Beamtenverhältnis in den Blick nehmen: Es handelt sich um ein Sonderrechtsverhältnis, wobei der Beamte hoheitliche Befugnisse des Staates gegenüber dem Bürger wahrnimmt. Dies bedeutet zwar nicht, dass Beamtinnen und Beamte keine Grundrechte mehr hätten. Deren Ausübung wird aber aufgrund ihrer Stellung eingeschränkt. Entsprechend können sie auch, soweit es ihre Diensttätigkeit betrifft, nicht grundsätzlich auf ihre Meinungsfreiheit zurückgreifen und sich nach Belieben äußern. Sie müssen sich immer klar machen: Welche Wirkung hat es, wenn ich mich persönlich für ein bestimmtes Ziel oder zu einer bestimmten Position äußere? Und kann man daraus den Schluss ziehen, ich würde mein Amt nicht neutral und objektiv führen?

beck-aktuell: Was aber nicht heißt, dass sie sich nicht politisch äußern dürften…

Berndt: Nein, Beamtinnen und Beamte dürfen sich – außerhalb des Dienstes – politisch engagieren, sie dürfen einer Partei angehören oder sich auch für ein Amt zur Wahl stellen. Sie dürfen sich auch kritisch äußern, aber die Form und der Inhalt müssen immer auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschehen.

"Der Dienstherr muss schon im Bewerbungsprozess achtsam sein"

beck-aktuell: Im Unterschied zum Fall des Polizeibeamten hatte Frau Schweizer ihre Äußerungen teilweise auch öffentlich kundgetan, etwa über Social Media. Inwiefern spielt es eine Rolle, inwieweit ich mich da selbst exponiere?

Berndt: Hier muss man unterscheiden: Die Frage der Pflichtverletzung muss von der Frage der Eignung einer Person für das Beamtenverhältnis getrennt werden. Bei dem Beispiel des Polizeibeamten handelte es sich um einen Lebenszeitbeamten, während es bei dem anderen Fall um eine Beamtin auf Probe ging. Beamtinnen und Beamte auf Probe müssen sich erst noch bewähren und ihre Eignung in charakterlicher, persönlicher, aber auch fachlicher Hinsicht unter Beweis stellen. Bei dem Beamten auf Lebenszeit muss man ihm – da er seine Eignung bereits bewiesen hat und über einen gefestigten Status als Lebensbeamter verfügt - den Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht konkret nachweisen, ähnlich wie in einem Strafverfahren, während Beamtinnen und Beamte auf Probe hingegen ihre Eignung noch beweisen müssen. Bei Beamten auf Probe reicht es daher für die Beurteilung, dass sie die erforderliche Eignung nicht aufweisen, aus, wenn tragfähige Anhaltspunkte vorliegen, die gegen eine lebenslange pflichtgemäße Dienstausübung sprechen.

beck-aktuell: Das bedeutet, dass man spätestens im Beamtenverhältnis auf Probe Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Tendenzen nachgehen sollte, da man dies später nur noch schwer nachweisen kann.

Berndt: So ist es. Die Probezeit dient auch gerade dazu, die charakterliche Eignung zu prüfen. Anhaltspunkten, die gegen die positive Feststellung sprechen, muss daher nachgegangen werden. Ein Weiteres kommt hinzu: Mit der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2024 wurde zum Schutz des Beamtentums und des öffentlichen Dienstes gegenüber Verfassungsfeinden übrigens auch den Dienstherren die Möglichkeit eingeräumt, einen sogenannten Verfassungstreue-Check durchzuführen. Bewerberinnen und Bewerber müssen dann, bevor sie überhaupt in das Beamtenverhältnis auf Probe ernannt werden, eine sogenannte Regelabfrage überstehen – eine Anfrage des Dienstherrn an die Sicherheitsbehörden, ob diese Person schon einmal verfassungsfeindlich in Erscheinung getreten ist.

Insofern sollte man schon beim Bewerbungsprozess besondere Achtsamkeit an den Tag legen. Das Gleiche gilt aber auch während der Probezeit, in der der Dienstherr seine Beamtinnen und Beamten nicht nur in fachlicher, sondern auch in charakterlicher Hinsicht genau anschauen muss. Insofern wird man Verfassungsfeinde heutzutage früher erkennen, als es noch vor 2024 der Fall war. Bei Beamten auf Lebenszeit bleibt indes nur die Einleitung eines Disziplinarverfahrens – und ggf. die Ergreifung vorläufiger Maßnahmen.

beck-aktuell: Herr Dr. Berndt, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Dr. Stephan Berndt ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei DOMBERT Rechtsanwälte und dort spezialisiert auf das Recht des Öffentlichen Dienstes.

Die Fragen stellte Maximilian Amos.

Das Gespräch hören Sie auch in der aktuellen Folge 60 von Gerechtigkeit & Loseblatt – Die Woche im Recht, dem Podcast von NJW und beck-aktuell.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 7. Juli 2025.

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