Schon im Jahr 2023 sorgte das Verfahren rund um den Polizisten und Personenschützer Michael R. für Aufsehen. Das Polizeipräsidium wollte ihn wegen rassistischer, fremdenfeindlicher und nationalsozialistischer Äußerungen in diversen WhatsApp-Chats aus dem Dienst entlassen. Vor dem VG München hatte das kaum Erfolg, das Gericht stufte ihn lediglich um zwei Besoldungsstufen zurück. Der Grund: Aus den Nachrichten ergebe sich noch keine eindeutig verfassungsfeindliche Gesinnung. Der VGH München hat sich dieser Linie nun angeschlossen und die Disziplinarmaßnahme sogar noch um eine Stufe abgeschwächt (Urteil vom 19.02.2025 – 16a D 23.1023).
Das Polizeipräsidium nahm an mehreren Nachrichten, Bildern und Audioaufnahmen Anstoß, die Michael R. in WhatsApp-Chats im Freundes- und Kollegenkreis versendet hatte. Während seines Einsatzes als Leibwächter für Charlotte Knobloch - NS-Überlebende und Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde - schrieb er etwa: "Ich scheiß‘ ihr vor die Tür, schön braun, mit Fähnchen". Er wünsche sich, seine Schutzperson würde vergast bzw. in ein Konzentrationslager verbracht und er habe auch die Absicht, anlässlich der Reichspogromnacht "auf die Straße zu gehen". Diese Nachrichten rührten aus der Frustration über das vermeintlich unerträgliche Verhalten Knoblochs sowie ihres krebskranken, von Durchfall geplagten Hundes.
In den Chats waren typische nationalsozialistische Abkürzungen wie "SH" (Sieg Heil) oder "HH" (Heil Hitler) als "Running Gag" an der Tagesordnung, flankiert von abwertenden Memes und Beschwerden über überfüllte Zugabteile ("Nur Kanacken im Zug"). Während seines Schutzauftrags für den israelischen Generalkonsul schrieb R., ihm sei als Fahrziel nicht Ausschwitz oder Flossenbürg, sondern Dachau lieber, da käme man "früher heim". Sein Gesprächspartner und wohl einziger Freund in dieser Zeit antwortete: "Aber nicht der, der den Ofen saubermachen muss".
Private Chats genießen hohen Schutz
Neben den selbst versendeten Nachrichten wurde Michael R. auch vorgeworfen, wie er auf verfassungsfeindliche Nachrichten reagiert hatte. Ein Bekannter forderte etwa mehrfach deutlich eine Wiedereinführung von Konzentrationslagern, wobei sich eine spätere Nachricht seitens R. als Antwort interpretieren ließe: "vernünftig wäre es, wirklich".
Gegen die Entscheidung des VG München legten sowohl Michael R. als auch das Polizeipräsidium Berufung ein. Das Präsidium beharrte darauf, dass der Polizist gegen seine Treuepflicht verstoßen habe – ein Verstoß, der in diesem Fall eine vollständige Dienstenthebung rechtfertige. R. wehrte sich weiterhin gegen die Disziplinarklage in Gänze, beantragte hilfsweise aber eine mildere Maßnahme als die ausgesprochene Zurückstufung. Nun hatte der VGH München zu entscheiden, ob das Verhalten des Polizisten nur ein Dienstverstoß war oder schon auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung schließen lässt.
Der VGH stellte insbesondere die heikle verfassungsrechtliche Frage heraus: Die angegriffenen Nachrichten seien zum größten Teil in Einzelchats versendet worden, insbesondere an einen ehemaligen Arbeitskollegen und Freund. Auch Beamten stehe es vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und dem Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) zu, dass die Vertraulichkeit der Kommunikation respektiert werde und staatliche Sanktionen unterblieben. Gerade in der Kommunikation mit Familienangehörigen und Vertrauenspersonen würden "rückhaltlos" Emotionen ausgedrückt, geheime Wünsche und Ängste offenbart, und "freimütig" Urteile kundgegeben.
Würden wie hier anstößige Nachrichten eines Beamten bekannt, seien diese Grundrechte mit dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung abzuwägen. Diese Abwägung falle grundsätzlich zugunsten des Beamten aus, wenn die Nachrichten (nur) gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstießen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei vertraulicher Kommunikation keine Gefahr bestehe, dass die Äußerungen in die Öffentlichkeit drängten.
Anders läge es nur bei einem Verstoß gegen die politische Treuepflicht (§ 33 Abs. 1 BeamtStG). Bei einer solchen sei gerade auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung betroffen – die unverzichtbare Grundlage eines funktionierenden Rechtsstaates. Hätte sich aus den Aussagen von Michael R. hier also auf eine "ernsthafte verfassungsfeindliche Gesinnung" schließen lassen, sei eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt.
Die "Unterhaltungskomponente" menschenfeindlicher Witze
Dafür reicht es aber nach Ansicht des VGH noch nicht aus, dass ein Beamter eine verfassungsfeindliche Gesinnung nur "hat" oder "mitteilt". Er müsse sich auch entsprechend "nach außen hin" verhalten, etwa in seinem Umgang mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder eventuellen politischen Aktivitäten. Das habe das Gericht bei Michael R. jedoch nicht feststellen können.
Gegen eine verfassungsfeindliche Gesinnung spreche schon, dass die menschenverachtenden Bemerkungen im Chat auf "kurzfristige Lacher" ausgelegt gewesen seien. Zwischen R. und seinem Gesprächspartner sei insofern ein "Überbietungswettbewerb" entstanden, der ihn zu besonders schlechten vermeintlichen Witzen hingerissen habe. Die "Unterhaltungskomponente" habe hier im Vordergrund gestanden, ebenso wie die Anerkennung durch seinen ehemaligen Freund und Arbeitskollegen, der zu dieser Zeit sein einziger sozialer Kontakt gewesen sei. Die Postings ließen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zeit, der Thematik und den Umständen des Nationalsozialismus vermissen. Sie bestünden stattdessen überwiegend aus leicht zugänglichem Material und gedankenlosen, "wenn auch inakzeptablen" Äußerungen.
Das Gericht betonte, dass Michael R. in dieser Zeit sozial isoliert gewesen sei und außer dem Gesprächspartner "keine wirklichen Freunde" gehabt habe. Aus Angst, auch diese Freundschaft zu verlieren und in dem Bedürfnis nach Anerkennung habe er sich an der aufschaukelnden Kommunikation beteiligt. Vor diesem Hintergrund sei es immerhin nachvollziehbar, dass er die tabuisierten Inhalte als Ventil genutzt habe, um sich abzureagieren. So habe er, um den Einsatz als Personenschützer Knoblochs zu, wie er es empfand, ertragen, versucht, seine "Mächtigkeit über sich selbst" zurückzugewinnen. Daraus lasse sich nicht unbedingt schließen, dass die Äußerungen allgemein auf Personen jüdischen Glaubens gerichtet seien.
Überspitzte Kritik an Flüchtlingspolitik?
Wiederum andere Nachrichten seien zwar "von ausländerfeindlichem Gedankengut" geprägt und geeignet gewesen, Migrantinnen und Migranten verächtlich zu machen. Ihrem Kontext nach habe man sie aber auch als überspitzte Kritik an der umstrittenen Flüchtlingspolitik der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel verstehen können, gerade vor dem Hintergrund vorangegangener Terroranschläge und der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016.
All dies lasse somit keinen zwingenden Rückschluss auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung zu, meint der VGH. Das sonstige Verhalten des Polizisten weise in eine ähnliche Richtung: Dienstlich sei er bisher nicht dadurch aufgefallen, Menschen mit Migrationshintergrund nachteilig oder anders zu behandeln. Im Gegenteil habe er bei einem Einsatz im April 2016 in besonderer Weise sein Leben riskiert, um einem angeschossenen syrischen Flüchtling Erste Hilfe zu leisten und ihn aus der Schusslinie zu ziehen. Zudem habe er seinen Freund und die dienstliche Polizeigruppe noch im Jahr 2018/2019 dazu angehalten, Posts mit nationalsozialistischen Inhalten zu unterlassen.
Bezüglich dieser Chats durfte das Grundrecht des Polizisten auf vertrauliche Kommunikation nach Ansicht des Senats somit nicht durchbrochen werden. Sie seien deshalb insgesamt nicht disziplinarisch zu ahnden.
Schweigen als Dienstverstoß
Anders lag es bei einem Chatverlauf, in dem Michael R. "widerspruchslos" verfassungsfeindliche Äußerungen eines Bekannten hingenommen habe. Der Bekannte habe dafür plädiert, Dachau bzw. andere Konzentrationslager wieder zu eröffnen und sich im Übrigen generell ausländerfeindlich und nationalsozialistisch geäußert. Die Antwort des Polizisten ("vernünftig wäre es, wirklich") hätte sich zwar auch auf eine andere Nachricht des Verlaufs beziehen können, sei aber jedenfalls zu zweideutig gewesen, so der VGH. Von einem Beamten sei zu erwarten, dass er derartigen Nachrichten entgegentrete, um nicht den Anschein zu erwecken, sein Amt parteiisch zu führen. Bereits eine scheinbare Identifikation mit nationalsozialistischem Gedankengut stelle eine bedeutsame Dienstpflichtverletzung (§ 33 BeamtStG), wenngleich noch keinen Verstoß gegen die politische Treuepflicht dar.
Darüber hinaus habe Michael R. in vier Fällen polizeiliche Informationen an Unbefugte weitergegeben, so etwa das Ergebnis einer Blutprobe eines Cousins oder Details zu Ermittlungen und Einsätzen bezüglich des Star-Fußballspielers Jerome Boateng. Vor dem Hintergrund seines ansonsten "außerordentlich positiven Persönlichkeitsbildes" erkannte der VGH auf eine Zurückstufung um nur einen Dienstgrad: Vom Kriminalhauptmeister (BesGr. A 9) zum Kriminalobermeister (BesGr. A 8).