Die Besatzung palästinensischer Gebiete und die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten verstoßen gegen internationales Recht, heißt es in dem Gutachten, das Richter Nawaf Salam am Freitag in Den Haag verlas. Indem Israel immer neue Siedlungen gründe, betreibe es eine faktische Annexion des Westjordanlands. Damit verstoße Israel gegen das völkerrechtliche Verbot, sich Land gewaltsam einzuverleiben. Es sei daher geboten, dass Israel die Siedlungen räume, so Salam.
Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht lange vor den Ereignissen des 7. Oktober 2023 damit beauftragt, zu klären, welche rechtlichen Folgen die fast 60 Jahre andauernde Besatzungspolitik Israels hat. Mehr als 50 Staaten und internationale Organisationen hatten an dem Verfahren teilgenommen. Das Gutachten ist jedoch nicht bindend.
Trotzdem könnte das Papier in der aktuellen Situation im Gaza-Streifen eine hohe Brisanz sein: Der internationale politische Druck auf Israel könnte steigen, auch könnten sich westliche Kritiker Israels bestärkt sehen, Israel zum Rückzug zu bewegen und der Gründung eines palästinensischen Staates zuzustimmen.
Nicht das erste Gutachten zu Israel
Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete aber für einen eigenen Staat. 2005 hatte Israel Gaza wieder verlassen, aber kontrolliert weiter Grenzen zu Land, Wasser und in der Luft. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 haben die aktiven Kampfhandlungen dort tausende zivile Opfer gefordert.
Es ist das zweite Rechtsgutachten des Gerichtshofes zur Besatzungspolitik Israels. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richterinnen und Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel kam der Aufforderung aber nicht nach.
Verfahren vor dem IGH von dem Gutachten unabhängig
Das heute vorgestellte Gutachten ist unabhängig von dem Verfahren Südafrikas gegen Israel, das beim IGH anhängig ist. Darin verhandelt das UN-Gericht auch darüber, ob Israel in Gaza einen Genozid verübt. Südafrika hatte 2023 geklagt und sich auf die UN-Völkermordkonvention berufen. Zu dieser Frage muss der IGH Stellung noch nehmen. Israel bestreitet die Vorwürfe.