Nach Ha­beck-De­bat­te: Wann Be­lei­di­gun­gen straf­bar sein soll­ten
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Die Frage, wie der Rechts­staat mit Be­lei­di­gun­gen um­ge­hen soll­te, ist nicht erst seit der Durch­su­chung bei einem Mann, der Wirt­schafts­mi­nis­ter Ha­beck be­lei­digt haben soll, vi­ru­lent. Sven Gro­ß­mann mit einer Ana­ly­se, wie­viel Schär­fe die De­mo­kra­tie braucht und wo sie davor ge­schützt wer­den muss.

Vor we­ni­gen Wo­chen sorg­te die Haus­durch­su­chung bei einem 64-jäh­ri­gen Mann für Schlag­zei­len, der Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Ro­bert Ha­beck auf der Platt­form X in einem Meme als "Schwach­kopf" be­zeich­net haben soll. Die Be­rich­te haben zum Teil em­pör­te Re­ak­tio­nen her­vor­ge­ru­fen. Wenn­gleich der Fall hier nicht be­wer­tet wer­den kann und soll, gibt er doch An­lass, noch ein­mal dar­über nach­zu­den­ken, wel­che Ziele der straf­recht­li­che Eh­ren­schutz im Zeit­al­ter di­gi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on rea­lis­ti­scher­wei­se ver­fol­gen kann.

Als Ge­sell­schaft müs­sen wir uns in­ten­siv mit der Ver­ro­hung der Dis­kurs­kul­tur im In­ter­net und den Ge­fah­ren aus­ein­an­der­set­zen, die dar­aus für unser de­mo­kra­ti­sches Ge­mein­we­sen er­wach­sen. Das Straf­recht kann hier­zu zwar einen Bei­trag leis­ten, doch scheint das Ver­trau­en in seine Wirk­sam­keit – wie so oft – zu hoch zu sein. Un­se­re De­mo­kra­tie wird nicht durch ein­zel­ne Be­lei­di­gun­gen ge­fähr­det, son­dern al­len­falls durch deren Ku­mu­la­ti­on. Den ein­zel­nen "ha­tern" kön­nen nicht alle Streu­ef­fek­te und schon gar nicht jene Gro­ß­ri­si­ken zu­ge­rech­net wer­den, die sie al­lein weder aus­lö­sen noch be­herr­schen kön­nen. Sie haf­ten für ihre Schuld, die Platt­for­men für die Ge­fah­ren, die sie be­grün­den. Das Straf­recht mit sei­ner zwin­gend auf die Be­ur­tei­lung des Ein­zel­falls be­schränk­ten Sicht kann daher nur sehr be­grenzt zum Schutz der De­mo­kra­tie bei­tra­gen. Damit sich der Be­lei­di­gungs­tat­be­stand von dem ihm an­haf­ten­den Ba­ga­tell­cha­rak­ter lösen kann, soll­te sein An­wen­dungs­be­reich prä­zi­siert und auf einen be­stra­fungs­wür­di­gen Kern kon­zen­triert wer­den. Dabei soll­te die Be­kämp­fung von di­gi­ta­lem Hass im Mit­tel­punkt ste­hen.

Der Si­len­cing-Ef­fekt  

Der öf­fent­li­che Dis­kurs hat sich zu­neh­mend in den vir­tu­el­len Raum ver­la­gert. Platt­for­men wie X, Face­book oder Te­le­gram er­mög­li­chen es, Mei­nun­gen, aber eben auch Be­lei­di­gun­gen und Hass un­mit­tel­bar und reich­wei­ten­stark zu ver­brei­ten. Auch in den Kom­men­tar­spal­ten von Nach­rich­ten­sei­ten oder Vi­deo­platt­for­men stößt man re­gel­mä­ßig auf men­schen­ver­ach­ten­de und de­mo­kra­tie­feind­li­che Äu­ße­run­gen. Die Ver­brei­tung be­lei­di­gen­der und dif­fa­mie­ren­der In­hal­te im In­ter­net führt dabei nicht nur zu per­sön­li­chen Ver­let­zun­gen, son­dern kann den öf­fent­li­chen Dis­kurs ver­gif­ten und damit lang­fris­tig auch die De­mo­kra­tie als Ganze ge­fähr­den. Ein zen­tra­les Pro­blem dabei ist der so­ge­nann­te Si­len­cing-Ef­fekt. Dar­un­ter ist das Phä­no­men zu ver­ste­hen, dass sich be­trof­fe­ne Per­so­nen aus Angst davor, Ziel­schei­be von Hass und Be­dro­hun­gen zu wer­den, ganz oder the­men­spe­zi­fisch aus dem öf­fent­li­chen Dis­kurs­raum zu­rück­zie­hen. Stu­di­en be­le­gen, dass dies be­son­ders Frau­en be­trifft sowie An­ge­hö­ri­ge mar­gi­na­li­sier­ter Grup­pen – etwa Men­schen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund oder Per­so­nen, die sich der LGBT-Com­mu­ni­ty zu­ord­nen.

Der Si­len­cing-Ef­fekt wirkt sich dar­über hin­aus auch auf Drit­te aus, die sich an­ge­sichts des häu­fig rauen und ver­ächt­li­chen Um­gangs­tons in so­zia­len Me­di­en einer Selbst­zen­sur un­ter­wer­fen. Wie Um­fra­gen zei­gen, be­trifft dies zu­neh­mend auch die Ar­beit von Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten und po­li­tisch en­ga­gier­ten Per­so­nen. Hinzu tritt der Ef­fekt, dass viele Per­so­nen aus Wis­sen­schaft, Po­li­tik und Me­di­en Platt­for­men wie X frus­triert ver­las­sen und die­sen Dis­kus­si­ons­raum po­la­ri­sie­rend-ver­kür­zen­den State­ments über­las­sen. Im rechts- und ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kurs be­fürch­ten daher viele, dass di­gi­ta­ler Hass lang­fris­tig den Mei­nungsplu­ra­lis­mus und die Qua­li­tät des de­mo­kra­ti­schen Aus­tauschs be­ein­träch­ti­gen könn­te.

Die De­mo­kra­tie als Schutz­gut des Be­lei­di­gungs­straf­rechts?

In den letz­ten Jah­ren hat der Ge­setz­ge­ber durch Straf­ver­schär­fun­gen und neue Straf­tat­be­stän­de ver­sucht, die­ser de­mo­kratie­ge­fähr­den­den Di­men­si­on von Be­lei­di­gun­gen und Hass­re­de zu be­geg­nen. So hat er im Jahr 2021 unter an­de­rem den neuen (und lei­der sehr ver­un­glück­ten) Straf­tat­be­stand der ver­het­zen­den Be­lei­di­gung (§ 192a StGB) ge­schaf­fen, § 185 StGB um den Qua­li­fi­ka­ti­ons­tat­be­stand der so­ge­nann­ten öf­fent­li­chen Be­lei­di­gung er­gänzt und § 188 StGB da­hin­ge­hend er­wei­tert, dass gegen Per­so­nen des po­li­ti­schen Le­bens ge­rich­te­te Be­lei­di­gun­gen mit der er­höh­ten Straf­an­dro­hung von bis zu drei Jah­ren Frei­heits­stra­fe be­droht sind. Die Er­wei­te­rung von § 188 StGB be­grün­de­te der Ge­setz­ge­ber unter an­de­rem damit, dass Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­ker in be­son­de­rem Maß Ziel­schei­be von Be­lei­di­gun­gen im In­ter­net sind, was deren po­li­ti­sches En­ga­ge­ment – ins­be­son­de­re auf kom­mu­na­ler Ebene – und damit letzt­lich die Funk­ti­ons­fä­hig­keit un­se­rer De­mo­kra­tie ge­fähr­det. Aus An­lass der Durch­su­chung im Ha­beck-Fall stellt die FDP diese Straf­aus­wei­tung in­zwi­schen wie­der in Frage.

Indem der Ge­setz­ge­ber nun die be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit von Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­kern an­er­kennt, zeigt sich ein Pa­ra­dig­men­wech­sel, der zuvor be­reits in der Recht­spre­chung des BVerfG fest­zu­stel­len war. Das Ge­richt sieht zwar wei­ter­hin in der Ge­währ­leis­tung von Macht­kri­tik einen we­sent­li­chen As­pekt des Schut­zes der Mei­nungs­frei­heit. Nie­mand soll aus Sorge vor straf­recht­li­chen Kon­se­quen­zen davor zu­rück­schre­cken, Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­ker für die Art und Weise ihrer Macht­aus­übung zu kri­ti­sie­ren. Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­kern wird daher ein er­höh­tes Maß an Kri­tik­fä­hig­keit zu­ge­mu­tet, da sie sich frei­wil­lig dem öf­fent­li­chen Dis­kurs stel­len. Diese Vor­ga­ben haben in der Ver­gan­gen­heit zu einer gro­ßen Zu­rück­hal­tung der Ge­rich­te ge­führt, wenn es um Be­lei­di­gun­gen von Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­kern sowie an­de­ren Amts­trä­ge­rin­nen und Amts­trä­gern ging. Eines der be­rühm­tes­ten Bei­spie­le ist hier si­cher­lich die Ent­schei­dung des Ber­li­ner KG, das – al­ler­dings unter Ver­ken­nung we­sent­li­cher ver­fas­sungs­recht­li­cher Vor­aus­set­zun­gen des Be­lei­di­gungs­tat­be­stands – selbst gra­vie­ren­de Her­ab­wür­di­gun­gen von Re­na­te Kün­ast auf Face­book als noch von der Mei­nungs­frei­heit ge­deckt be­wer­te­te

Das BVerfG be­tont auch wei­ter­hin die Be­deu­tung des Schut­zes von Macht­kri­tik, misst mitt­ler­wei­le aber auch dem in­di­vi­du­el­len Schutz der Per­sön­lich­keits­rech­te von Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­kern eine de­mo­kra­tie­schüt­zen­de Be­deu­tung bei: Ge­sell­schafts­po­li­ti­sches En­ga­ge­ment könne – so das BVerfG – näm­lich nur dann er­war­tet wer­den, wenn auch "für die­je­ni­gen, die sich en­ga­gie­ren und öf­fent­lich ein­brin­gen, ein hin­rei­chen­der Schutz ihrer Per­sön­lich­keits­rech­te ge­währ­leis­tet ist." Bei der Be­ur­tei­lung her­ab­wür­di­gen­der Äu­ße­run­gen soll damit auf der per­sön­lich­keits­recht­li­chen Seite der Ab­wä­gung auch das ge­samt­ge­sell­schaft­li­che In­ter­es­se an einer funk­ti­ons­fä­hi­gen De­mo­kra­tie Be­rück­sich­ti­gung fin­den. Damit soll der Schutz der De­mo­kra­tie nicht mehr nur auf der Seite der Mei­nungs­frei­heit (Ge­währ­leis­tung von Macht­kri­tik), son­dern auch auf der Seite des Per­sön­lich­keits­rechts (Schutz der Par­ti­zi­pa­ti­ons­be­reit­schaft) als Ab­wä­gungs­kri­te­ri­um die­nen. Dabei ist je­doch wich­tig, dass das BVerfG die De­mo­kra­tie oder den öf­fent­li­chen Dis­kurs­raum nicht als ei­gen­stän­di­ge über­in­di­vi­du­el­le Schutz­gü­ter ein­füh­ren möch­te, da dies die Ab­wä­gungs­ar­chi­tek­tur des Be­lei­di­gungs­tat­be­stands (Mei­nungs­frei­heit vs. APR) nach­hal­tig er­schüt­tern würde.

Der ein­zel­ne "hater" ge­fähr­det nicht die De­mo­kra­tie

Vor dem Hin­ter­grund der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­din­gun­gen im In­ter­net ist es be­grü­ßens­wert, dass die Recht­spre­chung ihre frü­her sehr re­strik­ti­ve Hand­ha­bung des Be­lei­di­gungs­tat­be­stands im po­li­ti­schen Kon­text ge­än­dert hat. Gleich­zei­tig wer­den aber – wie auch das ein­gangs skiz­zier­te Bei­spiel zeigt – klas­si­sche Be­lei­di­gun­gen über­wie­gend als bloße Ba­ga­tell­ta­ten wahr­ge­nom­men, die ge­ra­de keine schwer­wie­gen­den staat­li­chen Re­ak­tio­nen recht­fer­ti­gen. Auch die Jus­tiz be­wer­tet die meis­ten Be­lei­di­gungs­fäl­le als ge­ring­fü­gig und stellt sie di­rekt gegen Auf­la­gen ein oder ver­weist sie auf den zu­meist aus­sichts­lo­sen Pri­vat­kla­ge­weg. 

Es zeigt sich hier eine be­mer­kens­wer­te Dis­kre­panz zwi­schen dem – für sich ge­nom­men zu­meist sehr ge­rin­gen – Schä­di­gungs­po­ten­ti­al ein­zel­ner Be­lei­di­gun­gen und der gro­ßen Ge­fahr für un­se­re De­mo­kra­tie und Dis­kurs­kul­tur durch mas­sen­haf­te und zum Teil ge­steu­er­te Dif­fa­mie­run­gen von In­di­vi­du­en oder be­stimm­ten Per­so­nen­grup­pen. Wäh­rend wir als Ge­sell­schaft diese Ge­fah­ren in den Blick neh­men müs­sen, ist es frag­lich, wel­chen Bei­trag das Straf­recht dabei leis­ten kann. Trotz der gro­ßen ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Be­dro­hung, die von di­gi­ta­ler Dif­fa­mie­rung und Hass aus­ge­hen, dür­fen wir nicht über­se­hen, dass das Straf­recht stets nur die in­di­vi­du­el­le Ein­zel­tat­schuld zum Ge­gen­stand hat und ge­sell­schaft­li­che Gro­ß­stö­run­gen folg­lich auch nur in­so­weit er­fas­sen kann.

Der straf­recht­li­che Ehr­schutz braucht ein Up­date

Er­kennt man diese be­grenz­te Reich­wei­te in­di­vi­du­al­straf­recht­li­chen Eh­ren­schut­zes an, so las­sen sich auch und ge­ra­de im In­ter­net­zeit­al­ter va­li­de An­knüp­fungs­punk­te für ein mo­der­nes Be­lei­di­gungs­straf­recht fin­den. Dies zeigt auch der ak­tu­ell in Ge­setz­ge­bung und Wis­sen­schaft zu ver­zeich­nen­de Trend, be­son­ders gra­vie­ren­de For­men von Be­lei­di­gun­gen aus dem Grund­tat­be­stand aus­zu­glie­dern und zu Qua­li­fi­ka­tio­nen her­auf­zu­stu­fen. Dabei kris­tal­li­siert sich ein be­stra­fungs­wür­di­ger Kern der Ehr­schutz­de­lik­te her­aus. Es sind eben nicht alle Be­lei­di­gun­gen Ba­ga­tel­len. Um die Jus­tiz zu ent­las­ten und das Straf­ge­setz­buch an die Rechts­wirk­lich­keit an­zu­glei­chen, soll­ten künf­tig aber auch nur noch diese schwer­wie­gen­den An­grif­fe auf die Ehre unter Stra­fe ge­stellt wer­den.  

Zum – für sich ge­nom­men dann nicht mehr straf­ba­ren – Ehr­an­griff soll­ten damit wei­te­re Ele­men­te hin­zu­tre­ten müs­sen, die aus der Ba­ga­tel­le ein straf­wür­di­ges Un­recht ma­chen. Dabei soll­te das Ge­setz auf die Be­ge­hungs­wei­se (z. B. (in­ter­net-)öf­fent­lich), den In­halt der Äu­ße­rung (z. B. An­grif­fe auf die Men­schen­wür­de des Op­fers) oder den Um­stand ab­stel­len, dass das Opfer Be­lei­di­gun­gen in be­son­ders ex­po­nier­ter Weise aus­ge­setzt ist. Auf diese Weise lie­ßen sich Ba­ga­tell­ta­ten ent­kri­mi­na­li­sie­ren, ohne die ge­sell­schaft­lich re­le­van­ten Fälle aus dem Blick zu ver­lie­ren. Ein ge­ziel­ter Ein­satz des Straf­rechts, der schwer­wie­gen­de Ehr­ver­let­zun­gen kon­se­quent ver­folgt, aber All­tags­strei­tig­kei­ten dem zi­vil­recht­li­chen Aus­gleich über­lässt, könn­te nicht nur die Jus­tiz ent­las­ten, son­dern auch die Glaub­wür­dig­keit und Ak­zep­tanz der Rechts­ord­nung stär­ken.

Dr. Sven Gro­ß­mann ist Ha­bi­li­tand am Lehr­stuhl für Deut­sches, Eu­ro­päi­sches und In­ter­na­tio­na­les Straf- und Straf­pro­zess­recht, Me­di­zin- und Wirt­schafts­straf­recht der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Er war Mit­glied einer von Prof. Dr. Elisa Hoven (Uni­ver­si­tät Leip­zig) ge­lei­te­ten Grup­pe von Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten zum Thema "Di­gi­ta­ler Hass".

Redaktion beck-aktuell, Dr. Sven Großmann, 17. Dezember 2024.

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