Gutachten zur Ahrtal-Flut: Katastrophenschutz im Kreis Ahrweiler war defizitär

Die Staatsanwaltschaft Koblenz beauftragte in einem Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Einsatzführung im Landkreis Ahrweiler, um zu erfahren, ob sich Todesfälle bei der Flut hätten vermeiden lassen. Das Gutachten entlastet die konkret zum Zeitpunkt der Katastrophe anwesenden Personen, kritisiert aber das Führungssystem.

Danach war der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler zum Zeitpunkt der Flut "nicht optimal" organisiert. Die Staatsanwaltschaft  zitiert aus dem Gutachten, es habe keine Stabsdienstordnung, kein Einsatzführungskonzept und keinen Verwaltungsstab gegeben. Der Stabsraum sei nicht optimal gewesen, das Informationsmanagementsystem stelle sich als defizitär dar. Das Modulare Warnsystem MoWaS sei als Verteiler nicht genutzt worden. Ferner habe die Technische Einsatzleitung zu wenig Personal gehabt, das außerdem unzureichend ausgebildet gewesen sei, um den Anforderungen in den "Erstphasen eines Maximalereignisses" gerecht werden zu können. Insgesamt sei das Führungssystem im Landkreis Ahrweiler für Maximalereignisse nur unvollständig entwickelt gewesen. Deshalb habe man der Flut nicht angemessen begegnen können.

Die aufgezeigten Defizite hätten dazu geführt, dass die Technische Einsatzleitung die katastrophale Lage in ihren extremen Dimensionen überhaupt nicht habe erfassen können. Sie sei permanent überlastet gewesen. Laut Staatsanwaltschaft sieht der Gutachter die Ursache für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Technischen Einsatzleitung aber nicht im persönlichen Bereich der Mitglieder, sondern im aufbau- und ablauforganisatorischen Bereich. Deren Mitglieder hätten aufgrund der Defizite im Landkreis in der Flutnacht faktisch nicht mehr leisten können, als sie geleistet haben: "Die anwesenden Personen haben alles gegeben – das Führungssystem ließ nur nicht mehr zu", zitiert die Staatsanwaltschaft den Gutachter.

"Dilemma des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens"

Das Gutachten komme weiterhin zu dem Ergebnis, dass ein regional-risikospezifiziertes, leistungsfähiges, vollständig entwickeltes Einsatzführungssystem die Chancen, Personenschäden zu vermeiden, verbessert hätte. Allerdings könne keine Aussage getroffen werden, welche konkreten Erfolgsaussichten im Fall einer optimierten Einsatzführung und verbesserter Rahmenbedingungen konkret bestanden hätten. Eine ausreichend belastbare Aussage dazu, in welchem Umfang der Ereignisverlauf selbst unter Idealbedingungen hinsichtlich der Abwendung von Personenschäden durch die Technische Einsatzleitung und den Landrat hätte tatsächlich beeinflusst werden können, sei nicht möglich.

Das Gutachten lege das Dilemma des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens offen, erklärt der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler. "Einerseits scheint im Landkreis nur ein unzureichendes Einsatzführungssystem vorgehalten worden zu sein, das die Leistungsfähigkeit der Technischen Einsatzleitung maßgeblich gemindert hat. Andererseits ist nach Einschätzung des Sachverständigen eine Aussage darüber, welche Maßnahmen im Falle eines besseren Einsatzführungssystems mit welchem Erfolg tatsächlich hätten umgesetzt werden können und welche konkreten Schäden – insbesondere Personenschäden – hätten abgewendet werden können, nicht möglich. Dies gilt es nun juristisch zu bewerten." In dem Verfahren ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Landrat des Kreises und gegen einen weiteren Beschuldigten aus dem Krisenstab.

Redaktion beck-aktuell, 17. Oktober 2023.