Ursachen für den unverhältnismäßig hohen Aufwand sind laut dem NKR vor allem das verzweigte System von Zuständigkeiten sowie die unzureichende Digitalisierung der Antragsstellung und des Vollzugs staatlicher Leistungen. "Wir brauchen eine effizientere und strukturiertere Aufgabenverteilung zwischen den zuständigen Stellen in Bund, Ländern und Kommunen", erklärte Sabine Kuhlmann, stellvertretende Vorsitzende des NKR. Lutz Goebel, Vorsitzender des NKR stellte zudem klar:" Es geht uns nicht um weniger Leistung, sondern um einfachere Strukturen, leichtere Zugänglichkeit und bessere Qualität."
"Möglicherweise höhere Regelfallbeträge könnten durch entsprechende Einsparungen von Verwaltungsaufwand im Vollzug kompensiert werden", heißt es in dem Gutachten mit dem Titel "Wege aus der Komplexitätsfalle - Vereinfachung und Automatisierung von Sozialleistungen" des Beratungsunternehmens Deloitte. Darin wird zudem vorgeschlagen, Regelfälle zu automatisieren, sodass nur noch spezifische Einzelfälle einer individuellen, persönlichen Bearbeitung unterzogen werden müssten. Solche Einzelfälle seien etwa Leistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen, die einen erhöhten Bedarf hätten.
Pauschal könnte nach Ansicht der Wirtschaftsprüfer beispielsweise die im Bildung-und-Teilhabe-Paket enthaltene Erstattung von Kosten für den Schulweg gewährt werden. "Anstatt in Einzelfallbetrachtungen zu prüfen, ob erstens eine Angewiesenheit auf Schulbeförderung vorliegt und zweitens die nächste Schule besucht wird, bieten sich lokale Pauschalen an", heißt es in dem Gutachten. Erst bei Überschreiten der festgelegten Pauschale würde dann ein Sachbearbeiter für eine Einzelfallprüfung einbezogen.
Außerdem wird vorgeschlagen, die zahlreichen Anrechnungsverhältnisse zwischen den verschiedenen Sozialleistungen auf ein Minimum zu reduzieren. Dafür sollten Leistungen gebündelt und drei Bedarfsebenen festgelegt werden: Haushaltsbedarf, alltäglicher Bedarf für Erwachsene, alltäglicher Bedarf für Kinder und Jugendliche. Wichtig sei auch, dass bei der geplanten Kindergrundsicherung die Leistungsbestandteile "konsequent gebündelt" würden. Dies sei bei diesem Vorhaben bis jetzt noch nicht der Fall, unter anderem weil "angrenzende Leistungen wie Bürgergeld und Wohngeld nicht ausreichend adressiert und Behördenkontakte nicht reduziert, sondern erhöht wurden".
Zweifel an langfristiger Handlungsfähigkeit der Sozialleistungsverwaltung
Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, wertete das Gutachten dennoch als "Rückenwind" für die Kindergrundsicherung. "Wir haben die Chance, die Grundlage zu legen für eine echte Modernisierung unseres Sozialstaates, wir setzen auf Bündelung von Leistungen und Transparenz, auf Digitalisierung der Abläufe und eine automatische Auszahlung", erklärte er. Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, sieht die Koalition ebenfalls bereits auf dem Weg. "Um nicht in Bürokratie zu ersticken, müssen wir uns zudem vom absoluten Fokus auf jederzeitige Einzelfallgerechtigkeit verabschieden."
Der Normenkontrollrat besteht aus zehn ehrenamtlichen Mitgliedern und ist beim Bundesministerium der Justiz angesiedelt. Er hat den Auftrag, Gesetzesvorhaben hinsichtlich des damit verbundenen bürokratischen Aufwands zu prüfen. In dem beauftragten Gutachten heißt es, aufgrund fehlender organisatorischer Vorgaben und technischer Standards verfüge der örtliche Sozialleistungsvollzug in der Regel über jeweils spezifische Strukturen, Prozesse und IT-Systeme. Angesichts des Fachkräftemangels sei es fraglich, ob die Handlungsfähigkeit der Sozialleistungsverwaltung langfristig sichergestellt werden könne.