Gesetzentwurf: Mehr Arbeit für Amtsgerichte, mehr Spezialisierung an Landgerichten
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Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) will deutlich mehr Zivilklagen an die Amtsgerichte verlagern. Im Gegenzug soll es an den Landgerichten mehr Spezialisierung geben. Schaut dabei womöglich die Anwaltschaft am Ende in die Röhre?

Die Zahl der Prozesse an den Amtsgerichten geht seit Jahren drastisch zurück. Was dort landet, entscheidet sich in erster Linie anhand des Streitwerts. Der beträgt seit etwas über 30 Jahren unverändert 5.000 Euro (ursprünglich in D-Mark gerechnet). Ab dieser Grenze landet der Streit bei einem Landgericht. Nun bringt Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) einen Gesetzentwurf auf den Weg und will diese Summe verdoppeln.

In Verfahren wegen bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreitigkeiten sind je nach Fallgestaltung die Amtsgerichte oder die Landgerichte als Eingangsinstanz zuständig. Um eine gut in der Fläche verteilte amtsgerichtliche Struktur aufrecht zu erhalten und die Verfahren insgesamt effektiver abzuwickeln, sieht der Gesetzentwurf eine Anpassung an den Zuständigkeitsregelungen vor.

Bereits die Ampel-Koalition hatte einen Regierungsentwurf zur Erhöhung der Streitwertgrenze beschlossen, diese sollte seinerzeit noch auf 8.000 Euro anwachsen. Der Bundesrat hatte in einer ersten Stellungname auch nur in einem Detail einen Einwand mit Blick auf die Sozialgerichte erhoben, sodass der Weg für die Erhöhung im wesentlichen frei schien. Der Bundestag beriet ebenfalls schon im Oktober 2024 in erster Lesung über den Entwurf, doch dann kamen die vorgezogenen Neuwahlen dazwischen, und das Projekt fiel der Diskontinuität anheim. Schwarz-Rot hat das Vorhaben in seinem Koalitionsvertrag übernommen – was auch einem mehrjährigen Wunsch der Justizministerkonferenz entspricht.

Spezialisierung an den Landgerichten

Mit der Erhöhung der Streitwertgrenze will das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Eingangszahlen von den Landgerichten stärker zu den Amtsgerichten umleiten und so der Schließung kleiner Gerichtsstandorte vorbeugen. "Justiz muss bürgernah sein – und gerade die Amtsgerichte stehen dafür in besonderer Weise", lässt sich Ministerin Hubig in einer Mitteilung ihres Hauses vom Dienstag zitieren. "An über 600 Standorten ermöglichen sie einen einfachen Zugang zum Recht – in Wohnortnähe und in der Regel ohne Anwaltszwang." Die alte Zuständigkeitsaufteilung sei auch durch die Preisentwicklung der vergangenen Jahrzehnte überkommen.

Im Gegenzug sollen komplizierte Prozesse bei den Landgerichten landen, und zwar unabhängig vom Streitwert. Einerseits würden zivilrechtliche Streitigkeiten in einigen Rechtsgebieten zunehmend komplexer, heißt es zur Begründung; bei anderen Rechtsgebieten spiele hingegen die Ortsnähe eine besondere Rolle. "Durch eine Zuweisung von bestimmten Sachgebieten an das Amts- oder das Landgericht wird diesem Umstand Rechnung getragen, so dass Verfahren effizient und ressourcenschonend bearbeitet werden können", heißt es im Entwurf. Bestimmte Streitigkeiten aus dem Nachbarrecht werden demnach generell den Amtsgerichten zugewiesen, egal um wieviel Geld es geht. Klagen zu Vergabesachen oder aus Heilbehandlungen sowie Streitigkeiten um Veröffentlichungen sollen hingegen stets von Landgerichten entschieden werden, um so eine größere Spezialisierung zu erreichen.

Weniger Geschäft für Anwältinnen und Anwälte?

Negativ betreffen könnte die Änderung indes das Geschäft der Anwältinnen und Anwälte, denn vor den Landgerichten ist nach § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO die Vertretung durch einen Rechtsbeistand vorgeschrieben, vor den Amtsgerichten dagegen nicht. Dementsprechend vertreten sich viele Rechtsuchende vor dem Amtsgericht in ihren Verfahren selbst, künftig dann bis zu einem Streitwert von 10.000 Euro. Bereits im Hinblick auf den Ampel-Entwurf hatte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) darauf gepocht, bei einer Erhöhung der Streitwerte den Anwaltszwang ab 5.000 Euro beizubehalten. Dafür führte die BRAK seinerzeit nicht nur wirtschaftliche Sorgen der Anwaltschaft ins Feld, sondern wies auch auf ein Bedürfnis nach anwaltlicher Vertretung aufgrund des höheren wirtschaftlichen Risikos hin.

Das Justizministerium adressiert diese Problematik in seiner Entwurfsbegründung und stützt sich auf eine Auswertung der in den Jahren 2017 bis 2020 vor den Amtsgerichten erledigten Zivilprozesse, wonach sich die Parteien derzeit in 68% aller Fälle vor den Amtsgerichten anwaltlich vertreten ließen. Dass diese Zahl auch in den künftig für die Amtsgerichte geöffneten Streitigkeiten bestehen bleibt, glaubt man in Berlin indes nicht. "Es kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der anwaltlich vertretenen Parteien vor den Amtsgerichten mit zunehmendem Streitwert steigen dürfte", heißt es im Entwurf.

Als Grund für diese Annahme heißt es, dass bei Streitigkeiten über mehr als 5.000 Euro die Anwaltsgebühren verhältnismäßig niedrig seien und zudem das wirtschaftliche Risiko der Parteien steige – ganz nach dem Motto: Bei solchen Summen sollte man nicht am falschen Ende sparen. Das Ministerium geht deshalb davon aus, dass sich die Parteien künftig in 75% der prognostizierten rund 65.000 Zivilverfahren pro Jahr anwaltlich vertreten ließen. Rechnet man dann noch zusätzliche Berufungs- und Beschwerdeverfahren hinzu, bleiben nach Schätzung des Ministeriums nur rund 9.000 Fälle, in denen der Anwaltschaft tatsächlich Geschäft entginge.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn, Maximilian Amos, 24. Juni 2025.

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