Mit den Entscheidungen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz drangen Steuerpflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem sogenannten Bundesmodell durch (Beschlüsse vom 23.11.2023 – 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23, nicht rechtskräftig). Nach den entsprechenden Regelungen wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die die Gemeinden ab 2025 erheben werden, wesentlich durch die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 bestimmt.
Im ersten Fall geht es um die Feststellung des Grundsteuerwerts für ein 1980 erbautes Einfamilienhaus. Das Finanzamt setzte hier den Grundsteuerwert nach dem gesetzlich normierten Mietwert pro Quadratmeter an, obwohl die Grundeigentümerin zuvor geltend gemacht hatte, dass dieser zu hoch sei: Das Haus sei seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einfachverglasten Fenstern versehen. Der zweite Fall betrifft ein 1977 errichtetes Einfamilienhaus, bei dem die Grundeigentümer einen Abschlag von 30% auf den Bodenrichtwert geltend machten. Sie argumentierten, das Grundstück sei nur eingeschränkt nutzbar, weil es an einem Hang liege und nur durch einen Privatweg erschlossen sei. Die Finanzämter berücksichtigten die Einwände in beiden Fällen nicht.
Das FG zweifelt nach der in Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide und der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln. Einfachrechtlich bezweifelt es, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen sind. Das FG stellt infrage, dass die rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse unabhängig sind. Nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung sei die Möglichkeit einer Einflussnahme nicht ausgeschlossen. Das FG zweifelt auch daran, dass die Bodenrichtwerte aus einer ausreichenden Datengrundlage ermittelt werden. In den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse, aus denen die Richtwerte abgeleitet werden, seien erhebliche Datenlücken zu befürchten.
Zudem müsse es Steuerpflichtigen möglich sein, eine Abweichung vom typisierten Grundsteuerwert nachzuweisen. Dies leitet das FG aus einer verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts ab. Anderenfalls könnten aufgrund der nahezu vollständig typisierten Besteuerung erhebliche Härten entstehen. Als Nachweis sei auch kein förmliches Sachverständigengutachten zu fordern.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) begründe für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung, so das FG weiter, das bereits den genauen Belastungsgrund der Grundsteuer nicht eindeutig findet. Es sei daher auch unklar, wie überprüft werden könne, ob die durch das Bewertungssystem erreichten Bewertungsergebnisse "relationsgerecht" seien, also tatsächlich bestehende Wertunterschiede angemessen abbilden können.
Ernstliche Zweifel hat das FG zudem daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet sind, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen. Es befürchtet aufgrund der vielen gesetzlichen Typisierungen und Pauschalierungen Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung. Zudem würden alle individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke "nahezu vollständig" vernachlässigt. Die gewählte Regelungstechnik bewirke eine "gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung". Hochwertige Immobilien würden systematisch unterbewertet und Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen beziehungsweise in schlechterem baulichen Zustand befinden oder deren Ausstattungsmerkmale weniger hochwertig sind, würden überbewertet. Die Regelungen führten zudem in erheblichem Umfang zu Wertverschiebungen. Insgesamt könne nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden.
Außerdem erkannte das FG ein gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte, weil diese Werte häufig aus der Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt würden, ohne dass den Gutachterausschüssen effektive Instrumente zur Sachverhaltsermittlung sowie zur Verifikation der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung stünden.
Finanzrechtsweg umfassend eröffnet
In verfahrensrechtlicher Hinsicht stärkte das FG die gerichtlichen Rechtschutzmöglichkeiten für Steuerpflichtige, indem es – entgegen der Auffassung des Finanzamts, das für den Rechtschutz bezüglich der Bodenrichtwerte die Verwaltungsgerichte als zuständig ansah – von einer umfassenden Eröffnung des Finanzrechtswegs ausgeht. Dies vermeidet für Steuerpflichtige eine zweifache Rechtsverfolgung in verschiedenen Gerichtszweigen.
Das FG Rheinland-Pfalz hat insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Auch beim FG Berlin-Brandenburg ist eine Klage gegen das von der Bundesregierung vorgeschlagene Modell zur Neuberechnung der Grundsteuer anhängig. Zuvor hatte der Verfassungsrechtler Gregor Kirchhoff das in elf Ländern angewandte Gesetz des Bundes in einer Studie als verfassungswidrig bewertet.