Ungarns Asylregelung im Zuge der Corona-Pandemie unionsrechtswidrig

Indem Ungarn während der Corona-Pandemie die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, von der vorherigen Abgabe einer Absichtserklärung bei der Botschaft in einem Drittstaat abhängig machte, hat es laut Europäischem Gerichtshof gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen. Die Regelung sei zur Erreichung des vorgebrachten Ziels, die öffentliche Gesundheit zu schützen, schon nicht geeignet und überdies unverhältnismäßig gewesen.

Vor Asylantragstellung erst Botschaft im Ausland aufzusuchen

2020 erließ Ungarn infolge des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie ein Gesetz, nach dem bestimmte Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich im ungarischen Hoheitsgebiet befinden oder an den ungarischen Grenzen vorstellig werden und internationalen Schutz in Anspruch nehmen möchten, ein Vorverfahren durchlaufen müssen. Sie müssen sich zur ungarischen Botschaft in Belgrad (Serbien) oder in Kiew (Ukraine) begeben, um dort persönlich eine Absichtserklärung zur Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz abzugeben. Nach Prüfung dieser Erklärung können die zuständigen ungarischen Behörden entscheiden, ihnen ein Reisedokument zu erteilen, das ihnen die Einreise nach Ungarn ermöglicht, um dort einen solchen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Regelung verstößt gegen Asylverfahrens-RL

Die EU-Kommission sah einen Verstoß Ungarns gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht – namentlich aus der Asylverfahrens-RL. Sie erhob eine Vertragsverletzungsklage vor dem EuGH - mit Erfolg. Die Richtlinie sehe die vorherige Abgabe einer Absichtserklärung nicht vor. Die Pflicht dazu laufe dem Ziel der Richtlinie zuwider, einen effektiven, einfachen und schnellen Zugang zum Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes zu gewährleisten. Außerdem werde den betroffenen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen mit der ungarischen Regelung die tatsächliche Inanspruchnahme ihres in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Rechts vorenthalten, bei Ungarn um Asyl anzusuchen.

Beschränkung vermag öffentliche Gesundheit nicht zu schützen

Die Beschränkung sei auch nicht mit dem von Ungarn vorgebrachten Ziel, die öffentliche Gesundheit zu schützen und speziell der Ausbreitung von Covid-19 entgegenzuwirken, zu rechtfertigen, führt der EuGH weiter aus. Zwar könnten die Mitgliedstaaten die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz ausnahmsweise von besonderen Modalitäten abhängig machen, mit denen die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit in ihrem Hoheitsgebiet eingedämmt werden soll. Doch müssten die betreffenden Modalitäten im Hinblick auf dieses Ziel auch tauglich und nicht unverhältnismäßig sein. Die Verpflichtung, sich zu einer Botschaft im Ausland zu begeben, mit der die Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen potenziell der Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19 ausgesetzt werden, das sie in der Folge in Ungarn weiterverbreiten könnten, sei aber nicht dazu geeignet, der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Auch sei die Regelung unverhältnismäßig. Ungarn habe nicht dargetan, dass keine anderen Maßnahmen ergriffen werden konnten, mit denen sich die Wirksamkeit des Rechts jedes Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, im Hoheitsgebiet oder an den Grenzen Ungarns einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, mit der Bekämpfung ansteckender Krankheiten angemessen in Einklang bringen lässt.

EuGH, Urteil vom 22.06.2023 - C-823/21

Redaktion beck-aktuell, 22. Juni 2023.