Familienzusammenführung trotz Volljährigkeit: Antragstellung entscheidend

Auch wenn ein als Flüchtling anerkannter unbegleiteter Minderjähriger während des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig wird, behält er sein Recht darauf. Das hat der EuGH entschieden. Dieses Recht dürfe nicht von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags abhängen.

Einem unbegleiteten minderjährigen Syrer wurde in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seine Eltern und seine volljährige Schwester beantragten Aufenthaltstitel, um zu ihm ziehen zu können. Die Schwester ist wegen einer Zerebralparese ständig auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Die österreichischen Behörden wiesen die Anträge ab, weil der junge Syrer nach Stellung der Anträge volljährig geworden war. Ebenso scheiterten spätere Anträge auf Familienzusammenführung. Letztere Ablehnungsbescheide fochten die Eltern und die Schwester beim VG Wien an, das den EuGH anrief.

Der EuGH stellt klar, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling sein Recht auf Familienzusammenführung behält, wenn er während des Verfahrens auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern volljährig wird (Urteil vom 30.01.2024 - C-560/20). Dieses Recht dürfe nicht von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags abhängen. 

Volljährige Schwester profitiert

Laut EuGH muss unter den außergewöhnlichen Umständen hier auch der volljährigen Schwester ein Einreise- und Aufenthaltstitel zuerkannt werden. Denn anderenfalls würde ihrem Bruder sein Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern de facto genommen. Denn wegen der Zerebralparese ihrer Tochter könnten die Eltern nicht ohne sie zu ihrem Sohn ziehen.

Dabei dürfe weder vom minderjährigen Flüchtling noch von seinen Eltern verlangt werden, dass sie für sich und für die schwer kranke Schwester über ausreichend großen Wohnraum, eine Krankenversicherung sowie hinreichende Einkünfte verfügen. Denn es sei nahezu unmöglich, dass ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling diese Voraussetzungen erfüllt. Ebenso könnten dessen Eltern diese Voraussetzungen kaum erfüllen, bevor sie zu ihrem Kind gezogen seien. Den Nachzug an diese Bedingungen zu knüpfen, hieße, unbegleiteten Minderjährigen ihr Recht auf Familienzusammenführung zu nehmen.

Der EuGH hatte bereits 2018 entschieden, dass ein unbegleiteter Minderjähriger sein Recht auf Familienzusammenführung behält, wenn er während des Asylverfahrens volljährig wird. Ein solcher Antrag auf Familienzusammenführung muss jedoch innerhalb einer angemessenen Frist gestellt werden.

EuGH, Urteil vom 30.01.2024 - C-560/20

Redaktion beck-aktuell, hs, 30. Januar 2024.