EuGH gibt Zuständigkeiten ab und erlaubt häufiger Videoverhandlungen

Für den EuGH und das EuG gelten seit 1. September neue Verfahrensvorschriften. Die Satzung des EuGH wurde geändert, damit er bestimmte Vorabentscheidungsverfahren an den EuG abgeben kann, der eine neue Mittlere Kammer erhält. Auch Videokonferenzen werden geregelt.

Ab 1. Oktober wird die Zuständigkeit für Vorabentscheidungen teilweise vom EuGH auf das EuG übertragen. Dazu war eine Änderung der Satzung des EuGH erforderlich. So können künftig die Vorlagen in den folgenden sechs Sachgebieten an den EuG übertragen werden: das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, Verbrauchsteuern, Zollkodex, die zolltarifliche Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug- und Fahrgäste im Fall der Nichtbeförderung, bei Verspätung oder bei Annullierung von Transportleistungen sowie das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten.

Laut EuGH wurden diese Sachgebiete gewählt, weil sie selten Grundsatzfragen aufwerfen, die die Einheit oder Kohärenz des Unionsrechts berühren. Außerdem gebe es in diesen Gebieten bereits eine umfangreiche Rechtsprechung, auf die sich das EuG stützen könne. Der EuGH bleibt aber weiter zuständig, wenn zwar eine der genannten Thematiken betroffen ist, die Entscheidung des Vorabentscheidungsersuchens aber auch andere Bereiche betreffen könne.

Auch bei Grundsatzentscheidungen soll weiterhin der EuGH zuständig sein. Die Verfahrensregeln geben vor, dass der EuG in den genannten Sachgebieten an den EuGH verweist, wenn ein Vorabentscheidungsverfahren eine Grundsatzentscheidung erfordert.

Schließlich sollen die von den Beteiligten eingereichten schriftlichen Erklärungen in Vorabentscheidungsverfahren, über die ab dem 1. September 2024 entschieden wird, innerhalb einer angemessenen Frist nach Abschluss des Verfahrens online veröffentlicht werden, es sei denn, ein Beteiligter hat hiergegen Einwände erhoben. Die neuen Praktischen Anweisungen für die Parteien enthalten nähere Angaben dazu, wie solche Einwände vorgebracht werden können.

Neue Mittlere Kammer am EuG

Das EuG erhält eine Mittlere Kammer zwischen den Kammern mit fünf Richtern und der Großen Kammer mit 15 Richtern. Diese ist mit neun Richtern besetzt und steht unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Gerichts. Die Vorabentscheidungsersuchen werden grundsätzlich den Kammern mit 5 Richtern zugewiesen, die speziell mit der Entscheidung dieser Rechtssachen beauftragt sind. Es bleibt aber möglich, sie je nach Schwierigkeit und Bedeutung der Rechtssache an einen anderen Spruchkörper zu verweisen.

Weitere Vorschriften regeln, wie die vom EuGH weitergeleiteten Vorabentscheidungsersuchen vom EuG behandelt werden. Den nationalen Gerichten und den Beteiligten sollen die gleichen Garantien geboten werden, die beim EuGH angewendet werden. Dazu hat das EuG die Bestimmungen der Verfahrensordnung des EuGH, die für Vorabentscheidungsersuchen gelten, im Wesentlichen übernommen.

Verhandlungen in Videokonferenzen vor dem EuGH

Aber auch jenseits der Zuständigkeitsänderung gibt es Neues: So können die Parteien vor dem EuGH ab sofort per Videokonferenz verhandeln. Dazu gibt es nun Vorschriften, die präzisieren, wie personenbezogene Daten geschützt werden und wie Verfahrensschriftstücke einzureichen und zuzustellen sind.

Außerdem werden die Regeln, die es bereits für die Übertragungen der mündlichen Verhandlungen der Großen Kammer und die Termine zur Verkündung von Urteilen und zur Verlesung von Schlussanträgen gibt, nunmehr auch auf die öffentlichen Sitzungen des EuGH angewendet.

Daneben gibt es zahlreiche Änderungen, die Details des Verfahrens vor dem EuG betreffen. So wurden die  Kanzleigebühren für Auszüge aus dem Register der Kanzlei, Abschriften der Verfahrensschriftstücke sowie Ausfertigungen der Beschlüsse und Urteile abgeschafft und die Vorschriften über die Einreichung und Zustellung von Verfahrensschriftstücken modernisiert.

Es ist nun möglich, durch schlichte Entscheidung verfahrensleitende Verfügungen zu erlassen, die bisher den Erlass eines Beschlusses erforderten (etwa bei der Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens und der Verbindung von Rechtssachen ohne Antrag auf vertrauliche Behandlung).

Eine Beweiserhebung, mit der die Erteilung von Auskünften oder die Vorlage eines Schriftstücks verlangt wird, kann unmittelbar beschlossen werden – ohne vorherigen Erlass einer prozessleitenden Maßnahme. Die Vorschriften für die Zuweisung akzessorischer Anträge an einen Spruchkörper (Berichtigung, Unterlassen einer Entscheidung, Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, Drittwiderspruch, Auslegung, Wiederaufnahme, Streitigkeit über die Kosten) wurden geklärt und vereinfacht. Eine weitere Neuerung ist die Übertragung von öffentlichen Sitzungen des Gerichts (erst nach Inkrafttreten eines Durchführungsbeschlusses).

Redaktion beck-aktuell, bw, 2. September 2024.