"Die Spieler haben zu viel Macht" ist bereits heute ein häufig zu hörendes Lamento aus Profifußball-Klubs. Und ein Stück weit ist es nachvollziehbar: Manche Stars unterschreiben mit zig Millionen dotierte Verträge, die auf eine bestimmte Laufzeit angelegt sind, nur um dann ein Jahr später den Transfer zu einem anderen Klub zu erzwingen - einige treten gar in Streik, weil sie wissen, dass sie am längeren Hebel sitzen. Verträge, so monieren Fußball-Manager, seien das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben seien. Wer sich an die unzähligen Transferpossen um Spieler - es geht hier vornehmlich um den Herrenfußball - wie Mbappe, Lewandowski, Dembele und Co. erinnert, der mag dem zustimmen.
Nun aber könnten Sie noch mächtiger werden - und Vereine wie Verbände im gleichen Zug machtloser. Hintergrund ist, dass sich die Spielregeln für Transfers von Fußballern nach einer Art eigenem Fußball-Arbeitsrecht richten, den sogenannten "Reglements bezüglich Status und Transfers der Spieler" (RSTS) des Weltfußballverbandes FIFA. Eben diese wurden nun aber vom EuGH in Teilen für rechtswidrig befunden (Urteil vom 04.10.2024 - C-650/22).
FIFA-Regeln bestimmen den Fußball-Weltmarkt
Ausgangspunkt war der Fall des ehemaligen französischen Nationalspielers Lassana Diarra. Dieser hatte nach einer großen Karriere, die über Vereine wie Chelsea, Arsenal, Real Madrid und Paris Saint-Germain verlief, 2013 beim russischen Klub Lokomotive Moskau angeheuert, wo er einen auf vier Jahre befristeten Vertrag unterzeichnete. Kurz darauf überwarf er sich jedoch mit seinem Trainer und kündigte nach nur einem Jahr seinen Vertrag. Der russische Klub hielt das nicht für rechtmäßig, löste aber den Vertrag auf und verlangte sodann eine Entschädigung in Höhe von 20 Millionen Euro von Diarra. Zudem verhinderte er, dass der Spieler vom nationalen Verband einen internationalen Freigabeschein bekam, der Voraussetzung ist für die Anmeldung bei einem anderen Fußballverband. Diarra war somit ein Job bei anderen Fußballklubs unter dem FIFA-Dach - und damit praktisch überall - versperrt.
Die FIFA-Regularien sehen vor, dass Spieler auch ohne triftigen Grund ihren Vertrag einseitig beenden können, in diesem Fall aber schadensersatzpflichtig werden. Das nationale Arbeitsrecht des jeweiligen Staates spielt hierfür keine Rolle - praktisch jeder Fußballer unterwirft sich bei Vertragsunterzeichnung dem FIFA-System. Sinn und Zweck der Regelung ist es eigentlich, lange Kündigungsprozesse zu vermeiden, die Spieler davon abhalten würden, zwischenzeitlich einen neuen Verein zu finden. Doch nach Art. 17 der FIFA-RSTS ist nicht nur der Spieler zum Schadensersatz verpflichtet, auch dessen neuer Verein haftet für die vom alten Verein geforderte Entschädigungssumme. Außerdem kann gegen den neuen Verein unter Umständen auch eine sportliche Sanktion in Form eines Verbots der Verpflichtung neuer Spieler für eine vorgegebene Periode verhängt werden. Der nationale Fußballverband, dem der frühere Klub angehört, darf für den Spieler zudem keinen internationalen Freigabeschein ausstellen, bis der Streit beigelegt ist. Faktisch entsteht so dennoch eine Situation, in der sich Spieler ohne die Zustimmung ihres derzeitigen Vereins keinen neuen Arbeitgeber suchen können. Das FIFA-System ist allumfassend. Es gibt keinen relevanten Verein oder Verband, der nicht dazugehören würde.
Diarra behauptet nun, Opfer dieses Systems zu sein: Ein neuer Vertrag mit dem belgischen Verein Sporting du Pays de Charleroi sei aufgrund der Schadensersatzforderung seines russischen Ex-Klubs nicht zustande gekommen. Er verklagte daher die FIFA und den belgischen Fußballverband vor einem belgischen Gericht auf Schadensersatz und Verdienstausfall in Höhe von 6 Millionen Euro. Dieses wollte sodann vom EuGH wissen, ob die Regularien der FIFA nicht gegen europäische Binnenmarktregeln verstießen.
EuGH sieht Verstoß gegen Freizügigkeit und Wettbewerbsrecht
Die Antwort aus Luxemburg hat es in sich: Ja. Alle vorgelegten Bestimmungen verstießen gegen Unionsrecht, urteilten die Richterinnen und Richter und folgten damit im Wesentlichen den Schlussanträgen des Generalanwalts. Der EuGH sieht nicht nur einen Verstoß gegen die Arbeitnehmer-Freizügigkeit, sondern auch gegen europäisches Wettbewerbsrecht.
Die FIFA-Regeln seien aufgrund des wirtschaftlichen und sportlichen Drohpotentials geeignet, die Freizügigkeit von Berufsfußballspielern zu behindern. Zwar erkannte der Gerichtshof ein allgemeines Interesse daran an, "die Ordnungsmäßigkeit der Fußballwettbewerbe zwischen den Vereinen zu gewährleisten, indem ein gewisser Grad an Beständigkeit in den Mannschaften der Profifußballvereine aufrechterhalten wird", die gegenwärtigen Bestimmungen gingen jedoch über das hinaus, was dazu erforderlich sei.
Schließlich sah man auch den grenzüberschreitenden Wettbewerb durch die FIFA-RSTS beeinträchtigt. Die Möglichkeit, miteinander in den Wettbewerb zu treten, indem man bereits ausgebildete Spieler verpflichte, spiele im heutigen Profifußball eine wichtige Rolle. Die Bestimmungen, die diese Art des Wettbewerbs beschränkten, würden "indem sie die Verteilung der Arbeitnehmer auf die Arbeitgeber festschreiben sowie die Märkte abschotten, einer Abwerbeverbotsvereinbarung ähneln". Solche gibt es auch in anderen Bereichen, wie etwa der amerikanischen Tech-Branche, wo die größten Unternehmen einander keine Beschäftigten abwerben. Ein solches System ist mit dem europäischen Binnenmarkt aber in den Augen des EuGH nicht vereinbar.
"Große Veränderungen im Transfersystem"
Die FIFA wollte in einer Mitteilung das Urteil nicht als Absage an die Grundzüge des gegenwärtigen Transfer-Systems verstanden wissen. "Die FIFA ist davon überzeugt, dass die Rechtmäßigkeit der wichtigsten Grundsätze des Transfersystems durch das heutige Urteil erneut bestätigt worden ist", teilte der Weltverband mit. Lediglich zwei Absätze von zwei Artikeln des Reglements seien beanstandet worden. Man werde das Urteil nun analysieren. Anders sahen es die Anwälte des Ex-Profis Lassana Diarra, Jean-Louis Dupont und Martin Hissel, die das Urteil als großen Sieg werteten. Auch die Spielergewerkschaft Fifpro, die ebenfalls für Diarra eintrat, teilte mit, der EuGH habe ein "wichtiges Urteil zur Regulierung des Arbeitsmarktes im Fußball gefällt, das die Landschaft des Profifußballs verändern wird".
Ähnlich wie die Diarra-Seite sieht es auch Mark-E. Orth, Rechtsanwalt für Sport- und Kartellrecht in München, der den Fall und die Szene gut kennt. "Es wird große Veränderungen im Transfersystem geben" erklärt Orth auf Anfrage von beck-aktuell. "Die Clubs können die Spieler nicht mehr so einfach an sich binden, wie das vor dem Urteil der Fall war. Vor allem Fußballspieler, die man nicht zu den Top-Spielern gezählt hat, bekommen nun größere Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten." Zudem sei davon auszugehen, dass die Gehälter für die Topspieler weiter steigen würden.
Größere Auswirkungen als Bosman?
Im Vorfeld der Entscheidung war spekuliert worden, ob das Urteil in seiner Tragweite dem berühmten Bosman-Urteil des EuGH von 1995, das schon einmal den Fußball-Transfermarkt durcheinandergewirbelt hatte, nahekommen könnte. Orth sagt nun sogar: "Ich sehe noch eine größere Auswirkung auf die Welt des organisierten Sports als damals. Dieses Diarra-Urteil wird auch für andere Sportverbände jenseits des Fußballs große Auswirkungen haben." Schon das im Dezember vergangenen Jahres ergangene Super-League-Urteil des EuGH habe "viele Freiheitsräume abgesteckt, die auch in diesem Diarra-Urteil sehr positiv zum Tragen kamen. Es wird den Sportverbänden nicht mehr so einfach sein, einseitig die Freiheiten der Athleten zu beschränken. Auch für Regelungen wie etwa 50+1 ist das Urteil ein deutliches Signal. Beschränkungen der Märkte für Fußballspieler sind nicht mehr so einfach möglich", so Orth. Anders als bei Bosman habe der EuGH nun auch das Kartellrecht gegen Regelungen von Sportverbänden zur Anwendung gebracht. "Gerade das Kartellrecht gibt aber viel weitergehende Ansprüche als die Grundfreiheiten."
Während sich die Topspieler künftig wohl über noch höhere Gehälter freuen können, mit denen Clubs ihnen einen Verbleib schmackhaft machen wollen, sieht Orth vor allem für weniger hochbezahlte Fußballspieler bessere Entwicklungsmöglichkeiten durch das Urteil. Diese könnten nun deutlich leichter den Verein auch mit einem laufenden Arbeitsvertrag verlassen. Gleichzeitig, so Orth, "werden auch die Vereine gestärkt, die Spieler auch mit anderen Mitteln als nur Geld an sich binden können. So wie es etwa die FCB-Familie mit ihren Spielern macht."
Ein Manager a la Uli Hoeneß, der für seine Spieler immer ein offenes Ohr hat, könnte im Zweifel, so darf man dies verstehen, wichtiger sein als Geld. Ob sich diese Hoffnung, die vielleicht auch einige Fußball-Romantikerinnen und -Romantiker teilen werden, erfüllt, wird sich zeigen. Klar ist: Das Transfergeschäft des modernen Fußballs wird wohl noch schnelllebiger als zuvor.