Der Markt für (vor allem männliche) Profifußballer folgt nicht unbedingt den Gesetzmäßigkeiten des normalen Arbeitsmarktes, hat er doch einige Besonderheiten an sich: Die Spieler verdienen einerseits mitunter sehr viel Geld, haben andererseits aber auch nur eine begrenzte Zeit für ihre Karriere, die sie in der Regel mit Mitte 30 beenden. Fußballclubs schielen zudem regelmäßig darauf, die besten Spieler anderer Vereine abzuwerben und auch für die Spieler selbst ist es meist das Ziel, am Ende bei einem möglichst renommierten oder zahlungskräftigen Verein unterzukommen.
Wenn Profifußballer den Verein wechseln, läuft das normalerweise folgendermaßen: Der Spieler hat einen auf einige Jahre befristeten Vertrag mit Verein A. Verein B möchte den Spieler gern vor Ablauf dieses Vertrags verpflichten und steigt dazu in Verhandlungen mit beiden Seiten ein: mit dem Spieler über dessen Gehalt und mit Verein A über die Modalitäten einer Vertragsauflösung, die in der Regel eine Ablösesumme vorsehen. So weit, so bekannt.
Es kann aber auch anders laufen, wie der Fall des französischen Spielers Lassana Diarra zeigt. Diarra war ein hoch dekorierter Spieler, der unter anderem für Real Madrid und die französische Nationalmannschaft auflief und in England und Spanien Meister wurde. Im Spätherbst seiner Karriere verschlug es ihn 2013 zum russischen Klub Lokomotive Moskau, wo er einen auf vier Jahre befristeten Vertrag unterzeichnete. Nach kurzer Zeit überwarf er sich allerdings mit seinem Trainer und kündigte nach nur einem Jahr den Vertrag. Der Verein war der Ansicht, dass kein Kündigungsgrund vorliege, löste den Vertrag aber auf und verlangte anschließend eine Entschädigung in Höhe von 20 Millionen Euro von Diarra. Außerdem weigerte sich der Club, Diarra einen internationalen Freigabeschein auszustellen, der für die Anmeldung bei einem anderen Fußballverband nötig ist.
FIFA-Regularien erlauben Kündigung von befristeten Verträgen
Möglich machen das die Transfer-Regularien des Weltfußballverbandes FIFA, wonach Spieler auch ohne triftigen Grund ihren Vertrag einseitig beenden können, in diesem Fall aber schadensersatzpflichtig werden. Diese Regeln könnten jedoch mit der unionsrechtlich verbürgten Arbeitnehmerfreizügigkeit und den Regeln für einen freien Wettbewerb kollidieren, wie der EuGH-Generalanwalt am Dienstag in seinen Schlussanträgen nahelegt (Az. C-650/22).
Aus der Perspektive des deutschen Arbeitsrechts scheint der Fall merkwürdig: Ein Spieler kann einen befristeten Arbeitsvertrag ohne triftigen Grund einfach kündigen, um sich einem anderen Verein anzuschließen - und der Vertrag ist damit verbandsrechtlich tatsächlich beendet. Das nationale Arbeitsrecht ist für diese Frage gar nicht relevant. Die FIFA ist mit ihren Regularien für Spielertransfers den Fußballern entgegengekommen, da deren ohnehin zeitlich begrenzte Karriere in Gefahr geriete, würden sie infolge einer Kündigungsstreitigkeit möglicherweise über Jahre davon abgehalten, den Verein zu wechseln.
Allerdings steht diesem Ziel unter Umständen Art. 17 des FIFA-Reglements bezüglich Status und Transfers der Spieler (RSTS) im Weg, wonach ein Spieler zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er einen befristeten Vertrag ohne gültigen Grund vorzeitig beendet. Geschieht dies während einer Schutzzeit von zwei bzw. drei Jahren, besteht auch die Möglichkeit der FIFA, sportliche Sanktionen gegen den Spieler zu verhängen. Die möglichen Sanktionen ändern zwar nichts daran, dass der neue Verein des Spielers diesen zunächst provisorisch registrieren und einsetzen kann. Allerdings kann der nationale Fußball-Verband, dem der frühere Verein des Spielers angehört, gegenüber dem Verband des neuen Vereins die Ausstellung eines internationalen Freigabescheins verweigern, solange der Rechtsstreit mit dem ehemaligen Verein anhängig ist.
Neuer Verein haftet im Zweifel für Schadensersatzforderungen
Diarra fand nach seiner Kündigung bei seinem Moskauer Verein - trotz nach eigenen Angaben diverser Interessenten - zunächst keinen neuen Club. Den Grund dafür sieht er in Art. 17 Abs. 2 der FIFA-RSTS, wonach neben dem Spieler auch dessen neuer Verein für die vom alten Verein geforderte Entschädigungssumme haftet. Die Interessenten, so Diarra, hätten nicht das Risiko einer solchen Haftung eingehen wollen, indem sie ihn unter Vertrag genommen hätten. So sei ein möglicher Vertragsabschluss mit dem belgischen Verein Sporting du Pays de Charleroi aufgrund der Schadensersatzforderung nicht zustande gekommen. Diarra verklagte daher die FIFA und den belgischen Fußballverband vor einem belgischen Gericht auf Schadensersatz und Verdienstausfall in Höhe von 6 Millionen Euro. Das zuletzt damit befasste Gericht zweifelte indes an der Vereinbarkeit der Haftung mit EU-Recht und legte seine Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Generalanwalt Szpunar äußert in seinen nun vorgelegten Schlussanträgen Zweifel daran, ob die Mithaftung des neuen Vereins unionsrechtlich zulässig ist. Hinsichtlich der in Art. 45 AEUV garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit, so Szpunar, könne kein Zweifel am restriktiven Charakter der RSTS bestehen. Aufgrund der dort vorgesehenen Mithaftung dürften Vereine aus Furcht vor einem finanziellen Risiko davon absehen, einen mutmaßlich vertragsbrüchigen Spieler zu verpflichten. Auch die möglichen sportlichen Sanktionen würden Vereine abschrecken und so die Spieler hindern, ihren Beruf bei einem Verein in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben.
Generalanwalt fordert Schutzmaßnahmen für Spieler und neuen Verein
Diese Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ließe sich ggf. rechtfertigen, wenn es möglich sei, die Regeln zur gesamtschuldnerischen Haftung dann nicht anzuwenden, wenn der neue Verein nachgewiesenermaßen nicht an der Vertragsauflösung des Spielers beteiligt gewesen sei, so Szpunar.
Die Regeln für die Ausstellung des internationalen Freigabescheins können in den Augen des Generalanwalts indes nur bestehen bleiben, wenn gleichzeitig wirksame einstweilige Maßnahmen für den Fall zur Verfügung stünden, dass lediglich behauptet werde, ein Spieler habe Bedingungen des Vertrags nicht eingehalten, was zu dessen Auflösung durch den Verein geführt habe.
Auch im Hinblick auf Art. 101 AEUV hat Szpunar Bedenken gegen die RSTS: Indem für Vereine die Möglichkeit der Verpflichtung von Spielern einschränkt werde, beeinträchtige das Regelwerk "zwangsläufig" den Wettbewerb zwischen den Vereinen. Dies ließe sich in seinen Augen nur dann rechtfertigten , wenn die Wettbewerbsbeschränkungen nachweislich für die Verfolgung eines oder mehrerer Ziele erforderlich und unbedingt notwendig seien.
Diarras Anwälte begrüßten die Einschätzung des Generalanwalts in einer Mitteilung. Sollte der EuGH in seinem Urteil folgen, werde dies ein "Meilenstein" der Fußballregeln in der Europäischen Union sein.