Mutter bringt Kinder über die Grenze: Keine Schlepperei
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Wer bei der illegalen Einreise von seinen minderjährigen Kindern begleitet wird, macht sich nicht wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise strafbar. Das hat der EuGH entschieden und damit den Anwendungsbereich des EU-Schleuserpakets eingeschränkt.

Die Beihilfe zur unerlaubten Einreise ist strafbar, und zwar grundsätzlich unabhängig von den Beweggründen der helfenden Person. So schreibt es das sogenannte "EU-Schleuserpaket" von 2002 vor (Richtlinie 2002/90/EG und Rahmenbeschlusses 2002/946/JI), das Deutschland in in § 96 Abs. 1 AufenthG umgesetzt hat. Nun hat der EuGH entschieden: Wer sein Kind mitbringt, erfüllt den Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise nicht (Urteil vom 03.06.2025 - C-460/23 "Kinsa").

In dem zugrundeliegenden Fall war eine Kongolesin 2019 mit ihrer Tochter und ihrer Nichte nach Bologna eingereist. Dort hatte sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die beiden Kinder waren minderjährig und nutzten gefälschte Reisepässe. Daraufhin wurde die Frau wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise, oft Schleusen genannt, festgenommen und anschließend strafrechtlich verfolgt. Im Rahmen des Verfahrens gab sie an, die beiden Kinder aus Angst um deren Leben und körperliche Unversehrtheit mitgenommen zu haben. 

Im Strafverfahren wandte sich ein Gericht in Bologna dann an den EuGH. Es wollte wissen, wie weit der allgemeine Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise im Sinne des Unionsrechts reiche. Dabei äußerte das italienische Gericht in der Vorlagefrage auch grundlegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der europäischen Norm. Dass der Unionsgesetzgeber die Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe stelle, ohne dabei von den Mitgliedstaaten eine Sonderregelung zu verlangen, wenn die Beihilfe ohne Gewinnerzielungsabsicht erfolgt, hielt das Gericht für unverhältnismäßig. In seinen Schlussanträgen war auch Generalstaatsanwalt Richard de la Tour der Meinung gewesen, die Beweggründe für die Beihilfe müssten für die Strafbarkeit relevant sein.

Verantwortung übernehmen ist nicht Schleusen

Der EuGH allerdings hielt nun schon die Bestimmungen zur strafbaren Beihilfe für nicht anwendbar. Er stellte klar, dass das Handeln der Kongolesin nicht als Schleusen zu werten sei. Sie habe die tatsächliche Sorge über die zwei Kinder ausgeübt. Ein solches Verhalten stelle eben keine Beihilfe zur illegalen Einwanderung dar, die mit dem Unionsrecht bekämpft werden solle. Es handle sich vielmehr um die Ausübung der Verantwortung dieser Person für die Minderjährigen, "die sich aus ihrer familiären Verantwortung ergibt". Das Unionsrecht stehe daher nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die ein solches Verhalten mit Strafe bedrohten.

Die gegenteilige Auslegung würde zu einem besonders schweren Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und in die Grundrechte des Kindes führen, die in den Art. 7 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind. Der Eingriff ginge so weit, dass der Wesensgehalt dieser Grundrechte verletzt würde, so das Gericht.

Das gelte auch für das Recht auf Asyl, führte der EuGH weiter aus. Weil die Frau einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, könne sie grundsätzlich nicht als illegal aufhältig angesehen werden, solange über ihren Antrag nicht entschieden wurde. Daher könne sie auch nicht strafrechtlich sanktioniert werden.

EuGH, Urteil vom 03.06.2025 - C-460/23

Redaktion beck-aktuell, js, 3. Juni 2025.

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