Die deutsche Rechtsbranche braucht zuweilen ihre Zeit, um sich mit technischen Neuerungen anzufreunden. Das berühmt-berüchtigte beA, Videoverhandlungen oder auch Legal-Tech-Unternehmen – es benötigte stets seine Zeit (und in manchen Fällen auch eine Pandemie), um Innovationen zu etablieren.
Mehr als ein bloßes Fremdeln mit dem Neuen darf man aber wohl die mittlerweile jahrelange Auseinandersetzung zwischen der 67. Kammer des LG Berlin (seit Januar ist nunmehr ausschließlich das LG Berlin II für Zivilsachen zuständig) und dem Berliner Start-Up Conny nennen. Conny, das früher noch wenigermiete.de hieß, verrichtet aus Sicht vieler Mieterinnen und Mieter – nicht zuletzt in der Hauptstadt mit ihrem notorisch umkämpften Wohnungsmarkt – wertvolle Dienste. Conny macht Ansprüche von Menschen geltend, die der Meinung sind, zu viel Miete zu zahlen – in der Regel bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse. Die Betroffenen treten dazu ihre Ansprüche an Conny ab und der Dienstleister macht diese gerichtlich selbst geltend.
Das Unternehmen macht aber nicht nur das: Es verschickt Schreiben, in denen es überhöhte Mieten rügt, macht Auskunfts- oder Rückzahlungsansprüche geltend, schreibt Unterlassungsaufforderungen – klassische Anwaltstätigkeit, könnte man sagen. Aus diesem Grund war – bzw. man darf wohl sagen: ist – das LG Berlin der Überzeugung, dass Conny mit seinem Geschäftsmodell gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt. Denn bereits in mehreren Entscheidungen wurde diese Ansicht des Gerichts – vor allem der 67. Zivilkammer, die hierdurch sogar schon Berichterstattung von Tageszeitungen auf sich gezogen hat – von höheren Gerichten, u.a. auch dem BGH, revidiert.
Verbraucherschutzrecht als Vehikel
Nun versuchen es die Richterinnen und Richter aus der Bundeshauptstadt auf einer anderen Schiene: Sie haben den EuGH um Entscheidung ersucht zur Frage, ob Conny gegen europäisches Verbraucherschutzrecht verstößt. Ihr Argument ist, dass Nutzerinnen und Nutzer auf der Website nicht ausreichend darauf hingewiesen würden, dass sie eine kostenpflichtige Leistung in Anspruch nehmen (Az.: C-400/22).
Wenn der Legal-Tech-Anbieter mit seinem Vorgehen erfolgreich ist und die zu viel gezahlte Miete eintreiben kann, zahlen Kundinnen und Kunden nämlich eine Provision. Aber auch für eine Mahnung an die Vermieterin oder den Vermieter müssen sie zahlen, und zwar eine Vergütung in der Höhe, wie sie nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) anfallen würde. Nach Ansicht des LG könnte darin ein Verstoß gegen § 312 j Abs. 3 BGB und die dahinterstehende europäische Verbraucherschutznorm des Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 VR-RL liegen, da diese Zahlungsverpflichtung nicht hinreichend transparent gemacht würde.
Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen einem Berliner Mieter und dessen Vermieterin. Er war der Meinung, dass die Wohnungseigentümerin gegen die Mietpreisbremse verstoße, und verlangte eine Senkung seines Mietzinses – und außerdem, das zu viel gezahlte Geld zu erstatten. Um seine Ansprüche durchzusetzen, wandte er sich an Conny, genau genommen an deren Website. Dort konnte man seinerzeit den Auftrag über einen Button, der mit "Mietsenkung beauftragen" oder "Mietendeckelersparnis retten" beschriftet war, einreichen. Die dortigen AGB akzeptierte der Mieter und unterzeichnete zudem ein mit "Bestätigung, Vollmachtserteilung und Abtretung, Genehmigung" überschriebenes Formular, das indes nichts zu einer Zahlungspflicht seinerseits aussagte. Der Online-Dienst klagte daraufhin die Ansprüche des Mieters aus abgetretenem Recht vor dem AG Berlin-Mitte ein – und gewann.
Vermieterin beruft sich auf unwirksame Abtretung
Grund der Vorlage an den EuGH ist aber nicht etwa, dass sich hier irgendein Verbraucher beschwert hätte. Im Gegenteil ist dem Kunden wohl weiterhin daran gelegen, dass Conny an seiner statt klagen darf. Doch sofern der Dienstleister mit seinem Auftrags-Button objektiv gegen Verbraucherrecht verstößt, kommt es vielleicht gar nicht mehr darauf an, ob es dem betroffenen Verbraucher recht ist oder nicht. Denn in der Berufung machte die beklagte Vermieterin geltend, die Abtretung der Ansprüche verstoße gegen EU-Recht und sei damit unwirksam. So hätte der Button, auf den der Mieter klickte, darauf hinweisen müssen, dass mit dem Auftrag in jedem Fall eine Zahlungspflicht verbunden ist, etwa durch eine Aufschrift "Bestellung mit Zahlungsverpflichtung".
Dass sogenannte Bestell-Buttons im Internet präzise als solche gekennzeichnet sein müssen, ist in § 312j Abs. 3 BGB klar geregelt. Können Kundinnen und Kunden, die sich beispielsweise in einem Online-Shop für die Bestellung einer Ware interessieren, nicht eindeutig erkennen, dass sie durch den Klick auf eine Schaltfläche einen Vertrag schließen, ist dies rechtswidrig. Deshalb müssen solche Buttons, sofern sie – ohne weiteren Zwischenschritt – zu einer verbindlichen Buchung oder einem Kauf führen sollen, mit den Wörtern "zahlungspflichtig bestellen" oder einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein.
Die 67. Zivilkammer griff diese Argumentation auf und legte dem EuGH die Rechtsfrage vor, ob nach EU-Verbraucherschutzrecht ein Bestell-Button auch entsprechend beschriftet sein muss, wenn der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur eine bedingte Zahlungspflicht eingeht –etwa ausschließlich im späteren Erfolgsfall oder bei einer späteren Versendung einer Mahnung. Denn bei einem Klick auf den Bestell-Button stand keineswegs fest, ob und was der Kunde würde zahlen müssen.
Bei Conny war man vermutlich besorgt wegen der erbetenen Entscheidung des EuGH, jedenfalls versuchte man noch im Verfahren vor dem LG, durch Verzicht auf die Forderung die Entscheidung durch das Luxemburger Gericht zu verhindern, was die Kammer allerdings nicht mitmachte.
Generalanwalt sieht möglichen Verstoß gegen EU-Recht
Die Schlussanträge von Generalanwalt Giovanni Pitruzzella gehen denn zunächst einmal auch in eine für Conny ungünstige Richtung. Der Italiener schlägt darin dem Gerichtshof die Einschätzung vor, dass ein Button auf der Website, wie das Berliner Start-Up ihn hier verwendete, auch dann den Anforderungen des einschlägigen Verbraucherschutzrechts entsprechen müsse, wenn die Zahlungspflicht bei Vertragsschluss noch unsicher sei und der Kunde darauf keinen Einfluss habe.
Eine Bestellung über einen solchen Bestell-Button muss also auch dann als zahlungspflichtig ausgewiesen werden, wenn die tatsächliche Zahlungspflicht noch nicht feststeht – eben im Fall einer Erfolgsprovision. Der Generalanwalt argumentiert, er wolle verhindern, dass der eigentlich bezweckte Verbraucherschutz ausgehöhlt werde. Schließlich hänge in vielen Fällen des täglichen Lebens die tatsächliche Zahlungspflicht des Verbrauchers von späteren Ereignissen ab, die er nicht beeinflussen könne.
Können sich Dritte auf Unwirksamkeit berufen?
Ob dies allerdings zur Folge haben darf, dass der geschlossene Vertrag unwirksam ist, auch wenn der Verbraucher ihn aufrechterhalten will, steht auf einem anderen Blatt. Hierzu führt der Generalanwalt aus, die einschlägige Richtlinie wolle Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, sodass im Ergebnis auch diese entscheiden müssten, ob sie von der Unwirksamkeit profitieren wollten oder nicht. Es sei damit ausgeschlossen, dass Dritte eine solche Klausel für unwirksam erklären ließen, wenn dies dem Willen der Kundinnen und Kunden widerspreche.
Sollte sich also im vorliegenden Fall der Wille des Mieters zeigen, den Vertrag mit Conny aufrechtzuerhalten, so müsste nach Einschätzung des Generalanwalts das LG Berlin § 312j Abs. 3 und 4 BGB entsprechend unionsrechtskonform auslegen und den Vertrag aufrechterhalten. Auf Nachfrage von beck-aktuell wollte sich Daniel Halmer, Gründer und Geschäftsführer von Conny, vorab nicht zum anstehenden Urteil äußern. Man wolle der Entscheidung nicht vorgreifen, hieß es. Der Bestell-Button auf der Website ist inzwischen mit den Worten "Entgeltpflichtig abschliessen" beschriftet. Nichtsdestotrotz dürfte man nicht nur im Unternehmen, sondern auch auf den Fluren des LG Berlin gespannt auf die Entscheidung warten.