Italien verliert vor EuGH: Ob ein Herkunftsstaat "sicher" ist, müssen Gerichte prüfen können
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Der EuGH rügt Italiens Asyl-Regelung zu sicheren Herkunftsstaaten. Ministerpräsidentin Meloni kritisiert das als Einmischung in politische Angelegenheiten. Experten sehen Auswirkungen auch auf die aktuellen deutschen Pläne für sichere Herkunftsstaaten.

Italiens "Albanien-Modell" steht seit Langem in der Kritik. Es sieht vor, dass die Asylanträge männlicher Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern, die im Mittelmeer aufgegriffen wurden, in Lagern außerhalb der EU geprüft werden. Italien hat dafür ein bilaterales Abkommen mit Albanien geschlossen. Jetzt hat der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens darüber entschieden, welche Anforderungen eine nationale Regelung im Hinblick auf die Bestimmung als "sicherer Herkunftsstaat" erfüllen muss. Nach Rückschlägen vor italienischen Gerichten hatte die Regierung in Rom per Erlass beschlossen, künftig auch abgelehnte Asylbewerber in die albanischen Lager zu überstellen.

Geklagt hatten zwei bangladeschische Staatsangehörige, die in Italien um internationalen Schutz ersuchten. In Anwendung des Protokolls Italien-Albanien waren die beiden Männer in ein Zentrum für Inhaftierung in Albanien verbracht worden. Dort prüften die italienischen Behörden das Ersuchen auf internationalen Schutz und lehnten es im beschleunigten Verfahren als unbegründet ab, da es sich bei Bangladesch um einen "sicheren Herkunftsstaat" handele.

Die Richtlinie 2013/32/EU erlaubt den Mitgliedstaaten der EU grundsätzlich, die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz in einem beschleunigten Verfahren an der Grenze durchzuführen, wenn die Anträge durch Angehörige von sicheren Drittstaaten gestellt werden. Die Einordnung als solcher erfolgt in Italien seit Oktober 2024 durch ein Gesetzesdekret, das jedoch keine Informationsquellen dafür enthält, wieso der jeweilige Drittstaat als sicher eingeordnet wurde.

Nationales Gesetz muss Informationsquellen für Einordnung angeben

Die Ablehnungsentscheidung fochten die Antragsteller vor einem italienischen Gericht an, das wiederum den EuGH anrief. Das vorlegende Gericht führte zur Begründung aus, dass die neue italienische Regelung vom Oktober 2024 keine Informationsquellen dafür angebe, wieso der Gesetzgeber Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat eingeordnet habe. Die Justizbehörden und die Antragsteller hätten deswegen keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit dieser Sicherheitsvermutung zu überprüfen.

Der EuGH folgte dieser Argumentation in seiner Entscheidung am Donnerstag (Urteil vom 01.08.2025 - C-758/24 - Alace und C-759/24 - Canpelli. Zwar dürften die Mitgliedstaaten durch einen Gesetzgebungsakt Drittstaaten zum sicheren Herkunftsstaat bestimmen. Diese Bestimmung müsse aber, so die Luxemburger Richterinnen und Richter, wirksam gerichtlich überprüfbar sein, und zwar auch mit Blick auf die Einhaltung der materiellen Voraussetzungen. Das gelte insbesondere dann, wenn es um die Frage des sicheren Herkunftsstaates im beschleunigten Verfahren gehe.

Um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, sei es notwendig, dass die Informationsquellen, auf denen die Einordnung als sicherer Herkunftsstaat beruht, für den Antragsteller und das zuständige Gericht hinreichend zugänglich seien. Das Gericht dürfe darüber hinaus aber auch Informationen berücksichtigen, die es selbst eingeholt hat, sofern es deren Zuverlässigkeit prüft und den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.

Meloni kritisiert "Einmischung der Gerichte in politische Angelegenheiten"

Italien darf nun bis zum Inkrafttreten einer neuen Verordnung, welche die derzeit geltende Richtlinie ersetzt, keinen Drittstaat zum sicheren Herkunftsstaat erklären, der die materiellen Voraussetzungen dafür in Bezug auf bestimmte Personengruppen nicht erfüllt. Zudem müsse die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher sein.

Constantin Hruschka betonte gegenüber beck-aktuell, dass deswegen in Italien "einige der aktuellen sicheren Herkunftsländer nicht auf der Liste sein dürften." Bestimmte Teilregionen oder Personengruppen wie Homosexuelle seien dort nicht sicher, so der Asylrechtler von der EH Freiburg.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat das Urteil des EUGH als überraschend bezeichnet. Es schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen weiter ein, teilte sie mit. "Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte." Die Entscheidung des Gerichtshofs schwäche die Politik zur Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen, sagte die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens).

Sie kritisierte die Entscheidung als Einmischung der Gerichte in politische Angelegenheiten. Die Justiz - diesmal die europäische - beanspruche Zuständigkeiten, "die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt", teilte sie mit. Kritisch sieht Rom auch den Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung. Das Urteil ergeht rund ein Jahr vor Ablauf der Frist zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), das unter anderem strengere Regeln für den Umgang mit sicheren Herkunftsländern vorsieht.

Liste sicherer Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung?

Auch die schwarz-rote Koalition in Deutschland müsse ihren umstrittenen Gesetzentwurf nach dem Urteil aus Luxemburg noch einmal anpassen, meint Hruschka. Das Kabinett hat im Juni einen Gesetzentwurf beschlossen, der es möglich macht, sichere Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung zu bestimmen. Die Regelung soll es laut Bundesregierung ermöglichen, Länder mit geringer Anerkennungsquote schneller und einfacher als sichere Herkunftsstaaten einzustufen und Asylverfahren zu beschleunigen.

Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen die Verfassung. "Einer Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung steht weiterhin das Grundgesetz entgegen, da Art. 16a Abs. 3 GG diese Kompetenz dem Gesetzgeber zuweist. Eine Rechtsverordnung genügt aktuell weder den verfassungsrechtlichen noch den europarechtlichen Vorgaben", ordnet Migrationsrechtler Hruschka ein.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert, dass der Gesetzentwurf das Asylverfahren sogar langsamer mache. Das Grundgesetz sehe bei der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten zwingend eine Beteiligung des Bundesrates vor. Die geplante Neuerung könne daher nur den unionsrechtlich begründeten Schutzstatus betreffen. "Dies wird unweigerlich zu einer Zweigleisigkeit im Prozess führen, Verwaltungspraxis und Gerichte zu unnötig komplexen Differenzierungen veranlassen und gerade keine Beschleunigung bewirken", kritisiert Christoph Tometten, Mitglied im Ausschuss Migrationsrecht des DAV.

EuGH, Urteil vom 01.08.2025 - C-758/24

Redaktion beck-aktuell, jss, 1. August 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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