EuG bestätigt Geldbußen gegen Unternehmen des "Stromkabel-Kartells"

Das Gericht der Europäischen Union hat die von der Europäischen Kommission wegen Beteiligung an einem weltweiten Kartell gegen die führenden europäischen und asiatischen Hersteller von Hochspannungs- beziehungsweise Höchstspannungs-Stromkabeln verhängten Geldbußen von mehr als 300 Millionen Euro mit Urteilen vom 12.07.2018 bestätigt (T-419/14, T-422/14, T-438/14, T-439/14, T-441/14, T-444/14 bis T-451/14, T-455/14 sowie T-475/14).

Kartell währte fast zehn Jahre

Mit Beschluss vom 02.04.2014 hatte die Kommission wegen Beteiligung an einem wettbewerbswidrigen Kartell Geldbußen von mehr als 300 Millionen Euro gegen mehrere Hersteller von Hochspannungs- beziehungsweise Höchstspannungserd- und -unterwasserkabeln verhängt. Diese Kabel werden üblicherweise zur Übertragung und Verteilung von Strom verwendet und verbinden die Stromnetze mehrerer Länder. Der Kommission zufolge beteiligten sich die führenden europäischen, japanischen und südkoreanischen Hersteller von Stromkabeln ab 1999 für annähernd zehn Jahre an einem Kartell, das darauf gerichtet war, den Wettbewerb für Projekte in bestimmten Gebieten dadurch zu beschränken, dass Märkte und Kunden aufgeteilt wurden und somit der normale Wettbewerbsprozess verfälscht wurde.

EuG: Kommission durfte Festplatten betroffener Hersteller spiegeln

Die meisten der betroffenen Hersteller haben vor dem EuG eine Klage auf Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses sowie auf Aufhebung der verhängten Geldbußen oder eine Herabsetzung ihres Betrags erhoben. Das Gericht hat sämtliche Klagen abgewiesen. Es billigte insbesondere die bei den Nachprüfungen in den Räumlichkeiten der betroffenen Unternehmen von der Kommission durchgeführte Spiegelung der Festplatten der Computer der Angestellten dieser Unternehmen zu dem Zweck, später in den Räumlichkeiten der Kommission in Brüssel nach relevanten Informationen zu suchen. Die Kommission war laut EuG auch nicht verpflichtet, die Dokumente ausschließlich in den Räumlichkeiten des Unternehmens zu prüfen. Sie habe die Prüfung in Anwesenheit der Anwälte der betroffenen Unternehmen in ihren Räumlichkeiten in Brüssel fortsetzen dürfen.

Belgische Wettbewerbsbehörde musste nicht informiert werden

Schließlich sei die Kommission bei der Fortsetzung ihrer Nachprüfungen in ihren Räumlichkeiten in Brüssel nicht gehalten gewesen, die belgische Wettbewerbsbehörde zu informieren, da die Prüfung der Dokumente nicht in den Räumlichkeiten eines Unternehmens in Belgien, sondern auf dem Gebiet anderer Mitgliedstaaten begonnen hatte.

Kommission wegen Auswirkungen des Kartells auf EU-Binnenmarkt auch örtlich zuständig

In Bezug auf die örtliche Zuständigkeit der Kommission für die Sanktionierung von Verhaltensweisen und Projekten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) weist das Gericht darauf hin, dass das Unionsrecht in einem solchen Fall anwendbar ist, wenn vorhersehbar ist, dass die betreffenden Verhaltensweisen eine unmittelbare und wesentliche Auswirkung auf den Binnenmarkt haben. Die Kommission habe nicht für jedes außerhalb des EWR durchzuführende Projekt eine hinreichende Auswirkung in der Union darlegen müssen, um eine Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union zu rechtfertigen. Dessen Anwendbarkeit sei nämlich nach den (als Ganzes und nicht voneinander getrennt zu betrachtenden) Wirkungen der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu beurteilen.

Gesamtschuldnerische Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaften rechtens

Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass das Kartell vorhersehbare und unmittelbare Wirkungen auf die Lieferung von Stromkabeln und auf den Wettbewerb in der Branche hatte. In Anbetracht der Bedeutung und der Anzahl der am Kartell beteiligten Hersteller, der großen Bandbreite der betroffenen Waren, des Schweregrads der fraglichen Verhaltensweisen und der erheblichen Dauer der einheitlichen Zuwiderhandlung sei die Kommission außerdem zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Kartell wesentliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt hatte. Bezogen auf die Klagen, die einige zur gesamtschuldnerischen Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße verurteilten Unternehmen erhoben haben, bestätigt das Gericht die Beurteilung der Kommission, nach der diese Unternehmen einen Einfluss auf das Verhalten der fraglichen Tochtergesellschaften ausübten. Das Gericht kommt wie die Kommission insoweit zu dem Ergebnis, dass bei einer Muttergesellschaft, im vorliegenden Fall einer Investmentbank, die – insbesondere in Verbindung mit einer überwiegenden Mehrheitsbeteiligung am Gesellschaftskapital dieser Tochtergesellschaft – alle an die Anteile ihrer Tochtergesellschaft gebundenen Stimmrechte hält, vermutet werden kann, dass die Muttergesellschaft die Strategie der Tochtergesellschaft in Wirtschafts- und Handelsfragen auch dann bestimmt, wenn sie nicht das gesamte oder annähernd das gesamte Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft hält.

Anlehnung an Urteil im Fall Akzo

Das Gericht erstreckt somit die mit dem Urteil Akzo (WM 2009, 2048) eingeführte Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf den Fall, in dem eine Muttergesellschaft, obwohl sie das Gesellschaftskapital ihrer Tochtergesellschaft nicht zu 100% hält, sämtliche an die Anteile der Tochtergesellschaft gebundenen Stimmrechte ausüben kann. Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission auch weitere objektive Anhaltspunkte, die die Feststellung erlauben, dass dieses Unternehmen tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf seine Tochtergesellschaft ausgeübt hat, zutreffend berücksichtigt, nämlich die Befugnis der Muttergesellschaft zur Berufung von Mitgliedern in den Vorstand der Tochtergesellschaft, die Befugnis, die Anteilsinhaber zu Versammlungen einzuberufen, die Befugnis zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern, die Rolle, die der Vorstand der Muttergesellschaft im Strategischen Ausschuss der Tochtergesellschaft spielte, oder auch den Umstand, dass die Muttergesellschaft regelmäßige Aktualisierungen und Monatsberichte über die Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaft erhielt.

Keine reine Finanzinvestition

Abschließend stellt das Gericht fest, dass das betroffene Unternehmen keine ausreichenden Argumente für die Annahme vorgebracht hat, dass seine Beteiligungen an der Tochtergesellschaft lediglich auf die Durchführung einer einfachen Finanzinvestition gerichtet gewesen seien, nicht aber auf die Führung und Kontrolle der fraglichen Tochtergesellschaft.

EuG, Urteil vom 12.07.2018 - T-419/14

Redaktion beck-aktuell, 13. Juli 2018.