EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärte, Ungarn habe mit den jüngsten Justizreformen alle vereinbarten Anforderungen erfüllt und es gebe nun ausreichend Garantien dafür, dass man sagen könne, die Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn werde gestärkt. Im Mai hatte das ungarische Parlament eine Gesetzesnovelle beschlossen, die die Unabhängigkeit der Justiz stärken soll. Die heutige Entscheidung sei jedoch nicht das Ende des Prozesses. Man werde die Lage weiterhin aufmerksam beobachten und frühzeitig reagieren, falls es Rückschläge geben sollte.
Mit Spannung wird nun erwartet, ob sich die Freigabe der Gelder auf die vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbans angedrohte Blockade beim anstehenden EU-Gipfel auswirken wird. Bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag in Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über den Start von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine entscheiden. Außerdem wird es beim Treffen um die Bearbeitung des langfristigen EU-Haushalts für den Zeitraum 2021 bis 2027 gehen.
Bloße Drohgebärde Ungarns?
Ungarn hat allerdings bei beiden Themen mit einem Veto gedroht. Orban argumentierte, dass der Vorschlag der EU-Kommission für den Start von Beitrittsverhandlungen nicht vereinbar mit einem Gipfelbeschluss aus dem Juni 2022 sei.
Er spielte damit darauf an, dass die Brüsseler Behörde den Start ungeachtet von noch nicht ganz erfüllten Reformauflagen empfiehlt. In dem Gipfelbeschluss steht aber, über weitere Schritte im Beitrittsprozess solle erst entschieden werden, wenn "alle diese Bedingungen vollständig erfüllt sind". Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Start von EU-Beitrittsverhandlungen vor allem ein symbolischer Schritt wäre, da die Gespräche viele Jahre dauern dürften und ein Beitritt der Ukraine vor einem Ende des russischen Angriffskriegs als ausgeschlossen gilt. Den Kommissionsvorschlag zum Haushaltsentwurf bezeichnete Orban als substanzlos, unausgewogen und unrealistisch. Er bekräftigte seine ablehnende Haltung zum Ukraine-Beitritt am Mittwoch erneut.
Unklar blieb zuletzt, ob Orban damit nur den Druck erhöhen wollte, um an die eingefrorenen Fördermittel für sein Land zu kommen. Denn weiter blockiert bleiben andere Haushaltsmittel in Höhe von knapp zwölf Milliarden Euro sowie milliardenschwere Corona-Hilfen. Manche EU-Diplomaten halten dies für denkbar, andere verweisen darauf, dass Orban zuletzt behauptet hat, auch nach einer Freigabe von Geldern beim Thema Ukraine nicht klein beigeben zu wollen.
EU-Parlamentarier kritisieren Gelder-Freigabe scharf
Aus dem Europaparlament kam scharfe Kritik an der Entscheidung der EU-Kommission. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund sagte: "Ursula von der Leyen bezahlt heute mit zehn Milliarden Euro das größte Schmiergeld in der Geschichte der EU an den Autokraten und Putin-Freund Viktor Orban." Auch die Fraktionsspitzen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen im Europaparlament hatten der Behörde vorgeworfen, die Gelder zu Unrecht freizugeben.
Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner warf von der Leyen vor, die Demokratie in Ungarn zu opfern, um die Demokratie in der Ukraine zu retten. Monika Hohlmeier von der CSU sagte, es müsse allen klar sein, dass das Geld nur in den Händen von Orbans Parteifreunden und regierungstreuen Oligarchen lande. "Oppositionspolitiker, NGOs und Gemeinden, die sich Orbán in den Weg stellen, haben null Chancen sich auf diese EU-Gelder zu bewerben."
Kommission verneint Zusammenhang mit Blockadedrohungen
Aus der EU-Kommission hieß es am Mittwoch dagegen: Wenn man sich nicht selbst angreifbar machen wolle, dürfe man die zehn Milliarden Euro nach den jüngsten ungarischen Reformen nicht weiter zurückhalten. Ärgerlich sei allerdings, dass die Entscheidung nun direkt vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag getroffen werde müsse und nun der Eindruck entstehe, dass es einen Zusammenhang mit Blockadedrohungen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban geben könnte.
Die EU hatte die Mittel in Höhe von rund 22 Milliarden Euro blockiert wegen Bedenken, dass unter Regierungschef Orban zu wenig gegen Korruption und für die Wahrung des Rechtsstaats getan wird. Die EU-Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und Grundwerte zu untergraben. Die Behörde startete etliche Vertragsverletzungsverfahren und verklagte Ungarn mehrfach vor dem EuGH.