Das Streikverbot für verbeamtete Lehrer und Lehrerinnen in Deutschland ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 14.12.2023, Beschw.-Nr.: 59433/18, 59477/18, 59481/18, 59494/18) rechtmäßig. Die Bundesrepublik habe damit das Recht auf Vereinigungsfreiheit nicht verletzt, teilten die Richterinnen und Richter am Donnerstag in Straßburg mit. Ein allgemeines Streikverbot für alle Beamten werfe zwar menschenrechtliche Fragen auf, allerdings gebe es trotzdem noch genügend Möglichkeiten für die Betroffenen und Gewerkschaften, wirksam für ihre beruflichen Interessen einzutreten. Die verhängten Bußgelder gegen drei Lehrerinnen und Lehrer lägen daher im Ermessensspielraum des Staates.
Die drei hatten 2009 und 2010 für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Doch da sie verbeamtet waren, hätten sie ihre Arbeit nicht niederlegen dürfen. Deswegen wurden gegen sie Disziplinarmaßnahmen verhängt. Bevor der Fall in Straßburg landete, hatte er schon deutsche Gerichte beschäftigt. Das BVerfG bestätigte schließlich 2018 das Streikverbot für Beamte. Das Beamtenverhältnis fuße auf einem wechselseitigen System von Rechten und Pflichten, und das lasse ein "Rosinenpicken" nicht zu, hieß es damals.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren Mitte 2022 rund 665.000 Beamtinnen und Beamte an deutschen Schulen beschäftigt. Anders als Angestellte dürfen sie nicht streiken, denn das Beamtentum in Deutschland basiert auf dem Prinzip "Geben und Nehmen". Beamte haben eine Verpflichtung zur Treue gegenüber dem Staat, um sicherzustellen, dass der Staat handlungsfähig bleibt, selbst in Krisenzeiten. Als Gegenleistung hat der Staat eine Verpflichtung der "Fürsorge". Beamte und Beamtinnen haben eine lebenslange Anstellung und müssen angemessen bezahlt werden. Gewerkschaften argumentieren dagegen, dass es ein Menschenrecht auf Kollektivverhandlungen zur fairen Aushandlung der Arbeitsbedingungen gibt.
BMI begrüßt Urteil - GEW fordert Weiterentwicklung des Beamtenrechts
Der EGMR argumentierte nun ganz ähnlich wie 2018 das BVerfG. Deutsche Beamte könnten Gewerkschaften gründen und ihnen beitreten und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes hätten ein gesetzliches Mitwirkungsrecht bei der Ausarbeitung von Dienstvorschriften. Daher könnten sich verbeamtete Lehrer trotz Streikverbots an der Festlegung der Arbeitsbedingungen beteiligen. Außerdem seien die gegen die Kläger verhängten Disziplinarmaßnahmen nicht schwerwiegend gewesen und hätten ein konkretes Ziel verfolgt: Das Recht auf Bildung zu gewährleisten. Zudem müssten Lehrerinnen und Lehrer sich ja auch nicht verbeamten lassen, sondern könnten in einem Angestelltenverhältnis arbeiten, in dem sie streiken dürften. Das Bundesinnenministerium begrüßte das Urteil.
Die Erziehungsgewerkschaft GEW, die die Lehrer bei der Klage unterstützt hatte, sprach dagegen von einer "enttäuschenden Entscheidung". Dennoch gebe es in dem Urteil Ansätze, das Beamtenrecht in Deutschland fortzuentwickeln. Dieses müsse jetzt eingehend geprüft und bewertet werden. "Das Urteil des EGMR ist eine Aufforderung an Bund und Länder, sich mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes an einen Tisch zu setzen und über eine demokratische Fortentwicklung des Beamtenrechts in Deutschland zu sprechen", sagte der GEW-Vorsitzende Maike Finnern.
Der Beamtenbund dbb begrüßte das Urteil dagegen: Die GEW habe sich aus rein dogmatischen Gründen gegen die eindeutige Bewertung des höchsten deutschen Gerichts gewandt und versucht, auf europäischer Ebene einen Konflikt über die Verfassung heraufzubeschwören.