Verbeamtete Lehrer wurden wegen Streikteilnahme disziplinarisch sanktioniert
Die Beschwerdeführer, vier beamtete Lehrkräfte, hatten während der Dienstzeit an Protesten oder (Warn-)Streiks einer Gewerkschaft teilgenommen. Dafür wurden sie mit Disziplinarmaßnahmen sanktioniert. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar. Insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführer letztlich erfolglos gegen die jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.
Verletzung der Koalitionsfreiheit durch Streikverbot gerügt
Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten sie eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG. Als nicht hoheitlich tätige Beamte unterfielen sie nicht dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG. In der Folge finde Art. 33 Abs. 5 GG und das daraus abgeleitete Streikverbot keine Anwendung. Jedenfalls wäre ein Streikverbot für Lehrer aber unverhältnismäßig. Ferner monierten die Beschwerdeführer eine Missachtung der Vorgaben des Art. 11 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
BVerfG: Streikverbot für Beamte gerechtfertigt
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen und Disziplinarverfügungen seien verfassungskonform. In der jeweils zugrunde liegenden Annahme eines Streikverbots für deutsche Beamte liege keine Verkennung der maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Zwar umfasse der persönliche Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG auch Beamte. Auch unterfalle die Streikteilnahme der Beschwerdeführer dem sachlichen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, obwohl Beamte von der tariflichen Lohngestaltung ausgeschlossen seien. Denn entscheidend sei im konkreten Fall, dass die Disziplinarverfügungen die Teilnahme an gewerkschaftlich getragenen, auf - wenngleich nicht eigene - Tarifverhandlungen bezogene Aktionen sanktionieren. Ein solches umfassendes Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG greife im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung auch die Wertungen des EGMR zu Art. 11 EMRK auf, wonach auch der Unterstützungsstreik jedenfalls ein ergänzendes Element der Koalitionsfreiheit darstelle. Die Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit durch die disziplinarische Ahndung und deren disziplinargerichtliche Bestätigung ist laut BVerfG jedoch durch hinreichend gewichtige, verfassungsrechtlich geschützte Belange gerechtfertigt.
Streikverbot für Beamte ist hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums
Wie das BVerfG ausführt, stellt das Streikverbot für Beamte einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG dar. Es erfülle die für eine Qualifikation als hergebrachter Grundsatz notwendige Voraussetzung der Traditionalität, da es auf eine jedenfalls in der Staatspraxis der Weimarer Republik begründete Traditionslinie zurück gehe, und diejenige der Substantialität, da es eine enge inhaltliche Verknüpfung mit den verfassungsrechtlichen Fundamenten des Berufsbeamtentums in Deutschland, namentlich der beamtenrechtlichen Treuepflicht sowie dem Alimentationsprinzip, aufweise.
Streikverbot untrennbar mit Kernprinzipien des Berufsbeamtentums verbunden
Das Streikverbot sei Teil der institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG und vom Gesetzgeber zu beachten, so das BVerfG weiter. Ein Streikrecht, auch nur für Teile der Beamtenschaft, griffe in den grundgesetzlich gewährleisteten Kernbestand von Strukturprinzipien ein und gestaltete das Verständnis vom und die Regelungen des Beamtenverhältnisses grundlegend um. Es hebelte die funktionswesentlichen Prinzipien der Alimentation, der Treuepflicht, der lebenszeitigen Anstellung sowie der Regelung der maßgeblichen Rechte und Pflichten einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber aus, erforderte jedenfalls aber deren grundlegende Modifikation. Für eine Regelung etwa der Besoldung durch Gesetz bliebe im Fall der Zuerkennung eines Streikrechts kein Raum. Könnte die Besoldung von Beamten oder Teile hiervon erstritten werden, ließe sich die derzeit bestehende Möglichkeit des einzelnen Beamten, die verfassungsmäßige Alimentation gerichtlich durchzusetzen, nicht mehr rechtfertigen. Das Alimentationsprinzip diene aber zusammen mit dem Lebenszeitprinzip einer unabhängigen Amtsführung und sichere die Pflicht des Beamten zur vollen Hingabe für das Amt ab.
Streikverbot für Beamte muss nicht ausdrücklich gesetzlich normiert sein
Eine ausdrückliche gesetzliche Normierung des Streikverbots für Beamte ist dem BVerfG zufolge nicht erforderlich. Die in den Landesbeamtengesetzen enthaltenen Regelungen zum Fernbleiben vom Dienst und die gesetzlich normierten beamtenrechtlichen Grundpflichten der uneigennützigen Amtsführung zum Wohl der Allgemeinheit sowie der Weisungsgebundenheit stellten jedenfalls in ihrer Gesamtheit eine hinreichende Konkretisierung des aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Streikverbots dar.
Streikverbot für Beamte verhältnismäßig
Das BVerfG erachtet das Streikverbot für Beamte für verfassungskonform. Es trage auch dem Grundsatz der praktischen Konkordanz Rechnung. Das Spannungsverhältnis zwischen Koalitionsfreiheit und Art. 33 Abs. 5 GG sei zugunsten eines für Beamte bestehenden Streikverbots aufzulösen. Der Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG treffe Beamte nicht unzumutbar schwer. Ein Streikverbot führe nicht zu einem vollständigen Zurücktreten der Koalitionsfreiheit und beraube sie nicht gänzlich ihrer Wirksamkeit. Auch habe der Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die zu einer Kompensation der Beschränkung von Art. 9 Abs. 3 GG bei Beamten beitragen sollen, namentlich Beteiligungsrechte der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse. Ein weiteres Element der Kompensation ergebe sich aus dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, das dem einzelnen Beamten das grundrechtsgleiche Recht einräume, die Erfüllung der dem Staat obliegenden Alimentationsverpflichtung erforderlichenfalls auf dem Rechtsweg durchzusetzen.
Keine "Rosinenpickerei" - Streikrecht würde Grundfeste des Berufsbeamtentums erschüttern
Bei diesem wechselseitigen System von aufeinander bezogenen Rechten und Pflichten der Beamten zeitigten Ausweitungen oder Beschränkungen auf der einen in der Regel auch Veränderungen auf der anderen Seite des Beamtenverhältnisses. Ein "Rosinenpicken" lasse das Beamtenverhältnis nicht zu, betont das BVerfG. Ein Streikrecht (für bestimmte Beamtengruppen) würde eine Kettenreaktion in Bezug auf die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses auslösen und wesentliche beamtenrechtliche Grundsätze und damit zusammenhängende Institute in Mitleidenschaft ziehen.
Keine Ausnahme für nicht hoheitlich tätige Beamte
Eine praktisch konkordante Zuordnung von Koalitionsfreiheit und hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums verlangt laut BVerfG auch nicht, das Streikverbot unter Heranziehung von Art. 33 Abs. 4 GG auf Beamte zu beschränken, die schwerpunktmäßig hoheitsrechtliche Befugnisse ausübten. Gegen eine solche funktionale Aufspaltung des Streikrechts sprächen die damit einher gehenden Abgrenzungsschwierigkeiten. Unabhängig hiervon verzichtete die Anerkennung eines Streikrechts für "Randbereichsbeamte" auf die Gewährleistung einer stabilen Verwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung jenseits hoheitlicher Tätigkeiten. Davon abgesehen schüfe ein solchermaßen eingeschränktes Streikrecht eine Sonderkategorie der "Beamten mit Streikrecht" oder "Tarifbeamten", die das klar konzipierte zweigeteilte öffentliche Dienstrecht in Deutschland durchbräche. Während im Kernbereich hoheitlichen Handelns das Alimentationsprinzip weitergälte, würde den sonstigen Beamten die Möglichkeit eröffnet, Forderungen zur Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen bei fortbestehendem Beamtenstatus gegebenenfalls mit Arbeitskampfmaßnahmen durchzusetzen.
Streikverbot für deutsche Beamte auch mit EMRK vereinbar
Das BVerfG sieht das Streikverbot für Beamte in Deutschland auch mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang und hält es insbesondere auch für vereinbar mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in der jüngeren Vergangenheit die Gewährleistungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK (Koalitionsfreiheit) wie auch die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK weiter präzisiert. Dieser Rechtsprechung komme eine Leit- und Orientierungswirkung zu, wobei jenseits des Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles im Sinne einer Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen seien. Vor diesem Hintergrund ließen sich eine Konventionswidrigkeit der gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland und damit eine Kollision zwischen nationalem Recht und EMRK nicht feststellen. Art. 9 Abs. 3 GG sowie die hierzu ergangene BVerfG-Rechtsprechung, wonach auch deutsche Beamte ausnahmslos dem persönlichen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit unterfielen, allerdings das Streikrecht als eine Einzelausprägung von Art. 9 Abs. 3 GG aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts (Art. 33 Abs. 5 GG) von dieser Personengruppe nicht ausgeübt werden könne, stünden mit den konventionsrechtlichen Wertungen in Einklang.
Streikverbot durch Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums gerechtfertigt
Nach Ansicht des BVerfG ist das Streikverbot für deutsche Beamte unabhängig davon, ob es einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK darstelle, wegen der Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK gerechtfertigt. Das Streikverbot sei in Deutschland im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK gesetzlich vorgesehen. Notwendig hierfür sei eine Grundlage im nationalen Recht. Eine solche Grundlage sei gegeben. Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder enthielten für alle Beamten konkrete Regelungen zum unerlaubten Fernbleiben vom Dienst und zur Weisungsgebundenheit. Mit diesen Vorgaben sei eine nicht genehmigte Teilnahme an Streikmaßnahmen unvereinbar. Im Übrigen sei das Streikverbot für Beamte eine höchstrichterlich seit Jahrzehnten anerkannte Ausprägung des Art. 33 Abs. 5 GG. Das Streikverbot erfülle auch die Anforderungen aus der EGMR-Rechtsprechung, soweit danach die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 11 Abs. 1 EMRK ein dringendes soziales oder gesellschaftliches Bedürfnis voraussetze und die Einschränkung verhältnismäßig sein müsse. Betreffe eine Einschränkung den Kern gewerkschaftlicher Tätigkeit, habe der nationale Gesetzgeber einen geringeren Beurteilungsspielraum. Werde hingegen nur ein Nebenaspekt der Gewerkschaftstätigkeit berührt, sei der Beurteilungsspielraum weiter und der jeweilige Eingriff eher verhältnismäßig.
Ziel der Übertragung eines Tarifabschlusses gehört nicht zum Kern gewerkschaftlicher Tätigkeit
Vor diesem Hintergrund sieht das BVerfG das Streikverbot für deutsche Beamte und konkret für beamtete Lehrkräfte nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK gerechtfertigt. Die Beschwerdeführenden hätten als beamtete Lehrkräfte an Streikmaßnahmen teilgenommen, zu denen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen habe. In dieser seien sowohl beamtete als auch angestellte Lehrkräfte vertreten. Tarifverträge handle die GEW mit der Tarifgemeinschaft der Länder aufgrund der Rechtslage aber nur in Bezug auf die angestellten Lehrkräfte aus. Der für die Festlegung der Beschäftigungsbedingungen der Beamten allein zuständige Gesetzgeber in Bund und Ländern entscheide darüber, ob und in welchem Umfang die in Tarifverhandlungen für Angestellte im öffentlichen Dienst erzielten Ergebnisse auf Beamt übertragen werden. Teilweise hätten die Beschwerdeführer mit ihrer Streikteilnahme eine solche Übertragung erreichen wollen. Dieses Verhalten falle nicht in den Kernbereich der Gewährleistungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK.
Beurteilungsspielraum nicht überschritten
Der der Bundesrepublik Deutschland daher im Grundsatz zukommende erweiterte Beurteilungsspielraum sei vorliegend auch nicht überschritten, so das BVerfG weiter. Maßgeblich sei, dass im System des deutschen Beamtenrechts mit dem Beamtenstatus aufeinander abgestimmte Rechte und Pflichten einhergehen und Ausweitungen oder Beschränkungen auf der einen Seite in der Regel auch Veränderungen auf der anderen Seite des Beamtenverhältnisses zeitigen. Insbesondere die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte wäre unvereinbar mit der Beibehaltung grundlegender beamtenrechtlicher Prinzipien. Dies beträfe vor allem die Treuepflicht des Beamten, das Lebenszeitprinzip sowie das Alimentationsprinzip, zu dessen Ausprägungen die Regelung der Besoldung durch Gesetz zählt. Die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte würde das System des deutschen Beamtenrechts, eine nationale Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland, im Grundsatz verändern und damit in Frage stellen. In die nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK vorzunehmende Interessenabwägung mit den Rechten und Freiheiten anderer sei zudem einzustellen, dass im Fall der Beschwerdeführenden das Streikverbot dem Recht auf Bildung und damit dem Schutz eines in Art. 2 ZP 1 EMRK und anderen völkerrechtlichen Verträgen verankerten Menschenrechts dient. Weitere Gesichtspunkte seien die vorerwähnten Kompensationen für das Streikrecht, namentlich die Beteiligung von Gewerkschaften im Gesetzgebungsverfahren und die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Alimentation.
Verbeamtete Lehrer gehören zur Staatsverwaltung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK
Im Übrigen seien die Beschwerdeführenden als beamtete Lehrkräfte dem Bereich der Staatsverwaltung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK zuzuordnen. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK könne die Ausübung der Gewährleistungen des Art. 11 Abs. 1 EMRK für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung beschränkt werden. Die Einschränkungen, die den genannten Personengruppen auferlegt werden könnten, seien dabei eng auszulegen. Für den im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Bereich der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ergebe sich aber ein besonderes Interesse des Staates an der Aufgabenerfüllung durch Beamte, das solche Einschränkungen rechtfertige. Schulwesen und staatlicher Erziehungs- und Bildungsauftrag nähmen im Grundgesetz (Art. 7 GG) und den Verfassungen der Länder einen hohen Stellenwert ein.