Der Jahresauftakt des Deutschen Anwaltvereins (DAV) verlief in diesem Jahr etwas anders als sonst. Üblicherweise dient die Veranstaltung dem Verband dazu, mit Rechtspolitikerinnen und -politikern ins Gespräch zu kommen, Forderungen zu platzieren und etwas über den Fahrplan für das angebrochene Jahr zu erfahren. Beim Auftakt am Dienstag machte der parteilose Bundesjustizminister Volker Wissing gleich zu Beginn deutlich, dass es dieses Mal anders sein werde: "Ich kann Ihnen heute keine Agenda für dieses Jahr vorstellen", beteuerte er. Kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar ist naturgemäß noch unklar, welche Themen – und Menschen – die Rechtspolitik der kommenden Legislaturperiode bestimmen werden.
Zu konkreten Forderungen der Anwaltschaft an die Politik konnte Wissing deshalb kaum etwas sagen. Es blieb bei dem Versprechen, die Zusammenarbeit auch in unruhigen Zeiten eng halten zu wollen. Stattdessen schworen Politik und Anwaltschaft einander auf die gemeinsame Verantwortung im Kampf um eine liberale Demokratie ein, die es 2025 mehr denn je zu verteidigen gelte.
Gemeinsame Aufgabe: Der Schutz von Demokratie und Rechtsstaat
In ihrer Begrüßungsrede sprach die Präsidentin des DAV Edith Kindermann vor den rund 100 Teilnehmenden über die umbruchreichen Zeiten, die nun anstünden. Sie seien geprägt von der Sorge um den Rechtsstaat als Fundament der Demokratie. Auch wenn viele es mit Blick auf 2025 kaum mehr wagten, an Frieden zu glauben, appellierte sie an die Politik, ebenso wie an die Anwaltschaft, alle Ressourcen zu bündeln und es nicht bei guten Wünschen zu belassen. Nicht umsonst stehe der Jahresauftakt 2025 unter dem Motto "Gemeinsam für den Rechtsstaat und die Demokratie". "Es wird ein spannendes Jahr, ein herausforderndes Jahr – aber wir können es gestalten", sagte die Präsidentin und fügte hinzu: "Es gibt viel zu tun."
Damit war der Ton der Veranstaltung gesetzt. Auch Justizminister Wissing stimmte ein und betonte die Verantwortung jedes einzelnen Demokraten und jeder Demokratin in unsicheren Zeiten. Das gelte auch für die Politik: "Die Aufgabe von Demokraten ist es, Kompromisse zu finden", sagte Wissing. "Ein Kompromiss ist in einer Demokratie keine Schande, sondern das Ziel. Die Polarisierung darf nie das letzte Wort haben." Es müsse gelingen, dass die Parteien den Bürgerinnen und Bürgern einerseits ein pluralistisches Angebot machten, zugleich aber Brücken zueinander bauten. Es genüge nicht, nur auf die Ränder eines politischen Spektrums zu schauen: "Eine starke liberale Demokratie schuldet Erfolg", so Wissing. Dafür sei es nötig, vor der eigenen Tür zu kehren und zu fragen: Was können wir besser machen?
Zurückhaltung beim RVG, Bekenntnisse zur Justiz-Digitalisierung
Abseits der Bekenntnisse zu Demokratie und Rechtsstaat wurden die Anliegen der Anwaltschaft bei dem kurzen Treffen recht stiefmütterlich behandelt. Kindermann nutzte die Chance, noch einmal das Thema Erhöhung der Anwaltsvergütung anzuschneiden: "Wir Anwälte leben nicht von Luft und Liebe", sagte sie an Wissing gewandt. Wenn es schon eine gesetzliche Gebührenordnung gebe, dann müsse der Gesetzgeber seinen Pflichten auch nachkommen, so Kindermann. "Wir brauchen die Anpassung des RVG noch in dieser Legislaturperiode".
Erst in der vergangenen Woche hatte der DAV ein Eckpunktepapier mit seinen rechtpolitischen Forderungen veröffentlicht, das vor der Bundestagswahl "eine Richtschnur für die künftige Rechtspolitik" sein soll. Darin fordert der Verband ebenfalls eine regelmäßige RVG-Erhöhung. Weitere Forderungen sind eine einheitliche Regelung für den Schutz des Berufsgeheimnisses – insbesondere im Gefahrenabwehr- und Strafrecht – und die Umsetzung der Überwachungsgesamtrechnung. Außerdem solle die Politik Tempo bei der Digitalisierung der Justiz machen und dürfe Modernisierungsprojekte nicht verschleppen.
Das Eckpunktepapier habe man im Bundesjustizministerium wahrgenommen, versicherte Wissing. Er verwies auch auf die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter des BMJ, die den Weg in die Littenstraße gefunden hätten, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Inhaltlich konnte er jedoch keine Zusagen machen. Er habe zwar eine Erhöhung der RVG-Sätze auf den Weg gebracht und werbe auch fleißig dafür, die Entscheidung liege aber beim Bundestag. Auch für die kommende Legislaturperiode könne er nichts versprechen.
Zuversichtlicher zeigte sich Wissing bei der Digitalisierung der Justiz, auch wenn man dort "noch viel aufzuholen" habe. Er lobte etwa die kürzlich gestartete Justizcloud und versicherte: "Die Digitalisierung geht weiter." Dabei sei es auch in Zukunft wichtig, dass der Bund seine Aufgabe als Gestalter wahrnehme: "Wir dürfen den Föderalismus nicht zum Problem werden lassen", erklärte Wissing und bezog sich damit auf die teils uneinheitlichen Lösungen einzelner Bundesländer bei der Digitalisierung. Ganz zum Ende seiner Rede kam der Minister schließlich doch noch mit einem rechtpolitischen Versprechen um die Ecke: "Die Überwachungsgesamtrechnung wird kommen".
"Wir haben 24/7 ein offenes Ohr"
Ob die Forderungen des DAV im Namen der Anwaltschaft nach der Bundestagswahl gehört werden, wird sich zeigen. Präsidentin Kindermann war es sichtlich ein Anliegen, dass die Anwaltschaft auch zukünftig in rechtspolitische Projekte und Gesetzgebungsverfahren eingebunden wird – ebenfalls eine zentrale Forderung des Eckpunktepapiers. "Der DAV ist ihr Ansprechpartner!", betonte sie. "Kommen Sie auf uns zu. Wir haben 24/7 ein offenes Ohr."
Das nahm Wissing gerne an und bedankte sich auch dafür, dass der DAV eine treibende Kraft bei vielen rechtspolitischen Vorhaben sei, etwa der Absicherung des BVerfG gegen verfassungsfeindliche Angriffe. Man schätze die Zusammenarbeit und werde sie auch in Zukunft weiter pflegen, so Wissing.