DAV: Arbeitszeitgesetz kollidiert mit anwaltlichen Berufspflichten

Der Deutsche Anwaltverein hat in einer Initiativstellungnahme darauf hingewiesen, dass die Vorgaben des Arbeitszeitrechts bei angestellten Rechts- und Syndikusrechtsanwälten zu einer unauflöslichen Kollision mit den anwaltlichen Berufspflichten führen können, weil ein Eingreifen unmittelbar und zu jeder Zeit erforderlich werden kann. Er forderte den Gesetzgeber zu einer sachgerechten Lösung auf.

Wahrnehmung der Mandanteninteressen kann nicht immer warten

Die Wahrnehmung der Mandanteninteressen gebiete - unabhängig von Größe und Organisationsform der Kanzlei und unabhängig von dem beruflichen Rechtsgebiet - oftmals unmittelbares Tätigwerden ohne zeitliche Verzögerung. Als mögliche zeitkritische Konstellationen nennt der DAV etwa eine Hausdurchsuchung mit anschließender Verhaftung außerhalb der üblichen Arbeitszeiten, einen Mandanten, der sich am letzten Tag der Berufungsfrist meldet und wünscht, Rechtsmittel einzulegen oder Eltern, denen laut Anordnung des Jugendamtes am folgenden Morgen das Kind entzogen werden soll. Um die Rechtsgüter dieser Personen bestmöglich zu schützen, müssten angestellte Anwältinnen und Anwälte unverzüglich tätig werden. Das Arbeitszeitgesetz gebe jedoch tägliche Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten vor, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und untersage die Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Ein Verstoß würde gegenüber der anstellenden Kanzlei als Ordnungswidrigkeit oder sogar als Straftat geahndet. Dies könnte wiederum arbeitsrechtliche Sanktionen zur Folge haben.

Ausnahmetatbestand des § 14 ArbZG weder ausreichend noch geeignet

Dieser Konflikt sei für angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie auch für die Kanzlei nicht auflösbar. Der Tatbestand des § 14 ArbZG sehe zwar Ausnahmen für außergewöhnliche Fälle vor, doch gelten diese gerade nicht für regelmäßig eintretende Krisensituationen, die sich aus der Eigenart der betrieblichen Tätigkeit mit einer gewissen Häufigkeit ergeben. § 14 Abs. 1 ArbZG erlaube nur vorübergehende Arbeiten, die nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. § 14 Abs. 2 ArbZG erlaube keine Abweichung vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit und biete im Hinblick auf die Frage, welche Vorkehrungen einer Kanzlei zugemutet werden können, keine Rechtssicherheit. Problematisch sei auch, dass die Aufsichtsbehörde bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall des § 14 ArbZG vorgelegen hat, gemäß § 17 Abs. 4 ArbZG vom Arbeitgeber Auskünfte verlangen könne. Die Kanzlei müsste dann unter Umständen auch Mandantenunterlagen vorlegen. Dem stehe aber die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a BRAO entgegen, die auch die Weitergabe mandatsbezogener Informationen an Behörden verbiete.

Personalreserve ist kleineren Kanzleien nicht zumutbar

Auch mit Blick auf die interne Kanzleiorganisation führten die Arbeitszeitvorgaben zu Problemen. So sei eine Personalreserve, die nicht plan- oder quantifizierbare Arbeitsbelastungssituationen verlässlich abdeckt, für kleine und mittlere Kanzleien nicht finanzierbar. Die Arbeitsbedingungen der "Springer" müssten derart flexibel ausgestalten werden, dass fraglich sei, ob diese noch angemessen im Sinne des § 26 BORA seien. Schließlich sei dem Mandanten ein Austausch des anwaltlichen Beraters gerade in einer Ausnahmesituation nicht zumutbar und werde dem anwaltlichen Pflichten- und Aufgabenkanon nicht gerechtet.

DAV fordert gesetzliche Lösungen

Der DAV fordert daher den Gesetzgeber auf, diese Pflichtenkollision einer sachgerechten Lösung zuzuführen. Die anwaltlichen Berufspflichten müssten mit den Interessen der angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten an einer sachgerechten Ausgestaltung ihres Gesundheitsschutzes, dem zu dienen das Arbeitszeitrecht bestimmt ist, in Einklang gebracht werden. Der DAV verweist auf eine aktuelle Entscheidung des BVerwG vom 12.01.2023, nach welcher der berufliche Einsatz von Richterinnen und Richtern nicht nach vorgegebenen Arbeitszeiten, sondern in Arbeitspensen gemessen wird. Diese Wertung sollte der Gesetzgeber ebenso berücksichtigen wie die arbeitsschutzrechtliche Erkenntnis, dass Arbeitszeitsouveränität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen wesentlichen Beitrag zu deren Gesundheitsschutz leisten und unter diesen Voraussetzungen auch Ausnahmen von den geltenden Schranken rechtfertigen kann.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 3. März 2023.