Tiefgreifender Grundrechtseingriff: Kurzes Aufenthaltsverbot für Fußball-Ultra reicht nicht

Bei typischerweise kurzfristigen, insbesondere polizeilichen Maßnahmen kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Möglich ist sie zum Beispiel nach einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, so das BVerwG. Einen solchen verneinte es aber für ein wenige Stunden andauerndes Aufenthaltsverbot gegen einen Fußball-Ultra.

Im April 2019 kam es in Dortmund zum Revierderby zwischen den Rivalen Borussia Dortmund und Schalke 04 – das damals noch in der ersten Liga spielte. Dem im Stadion den Ton angebenden "Capo" der Dortmunder Ultra-Fans wurde für den Spieltag (10 - 20 Uhr) das Betreten und der Aufenthalt in der Dortmunder Innenstadt verboten. Die Polizei rechnete ihn der gewaltbereiten Fanszene zu und befürchtete aufgrund bisheriger Erfahrungen Gewalt und Randale. Der Ultra-Fan begehrte im Nachhinein die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbots. VG und OVG hielten die Klage bereits für unzulässig.

So sah es auch der 6. Senat des BVerwG, der die Revision des Ultras jetzt zurückwies (Urteil vom 24.04.2024 - BVerwG 6 C 2.22). Es fehle an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Da sich das Aufenthaltsverbot bereits erledigt hatte, kam eine Anfechtungsklage nicht mehr in Betracht. Das Ziel der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme ließ sich nur mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage erreichen. Diese ist aber nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes hat (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

In der Rechtsprechung anerkannt sind mehrere Fallgruppen, darunter eine Wiederholungsgefahr, ein Rehabilitationsinteresse und die Vorbereitung eines Schadensersatzprozesses. Diese drei Fallgruppen kamen hier laut BVerwG nicht in Betracht, auch keine Wiederholungsgefahr, "aufgrund einer Änderung der persönlichen Verhältnisse". Nach Erkenntnissen der Polizei hatte sich der Fan aus seiner aktiven Rolle als Ultra und Capo zurückgezogen.

Kurzfristige Maßnahmen: Tiefgreifender Grundrechtseingriff erforderlich

Es gibt aber noch eine weitere anerkannte Fallgruppe für Klagen gegen Verwaltungsakte, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass ohne Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses keine gerichtliche Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren möglich wäre. Das BVerwG unterstreicht nun, dass in diesen Fällen ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse aber einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff voraussetzt. "Denn Art. 19 Abs. 4 GG verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann."

Einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff begründet das zehnstündige Betretungs- und Aufenthaltsverbot laut BVerwG aber nicht: Das zeitlich und räumlich beschränkte Verbot habe weder den Schutzbereich der Freizügigkeit (Art. 11 GG) noch den der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) berührt. "Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) hatte mangels einer gesteigerten, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbaren Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung des Klägers kein solches Gewicht."

Vor seiner Entscheidung hatte der 6. Senat zunächst beim 8. Senat angefragt, ob dieser an seiner 2021 geäußerten Auffassung festhalte, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen auch bei nicht sonderlich schwerwiegenden Eingriffen bestehe. In der Entscheidung des 8. Senats ging es um Sonntagsarbeit.

BVerwG, Urteil vom 24.04.2024 - 6 C 2.22

Redaktion beck-aktuell, hs, 25. April 2024.