Der Mann war in der Türkei wegen Diebstahls und mehrfachen "qualifizierten Diebstählen" zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Die Türkei verlangte seine Auslieferung, das OLG ordnete Auslieferungshaft an. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Mann im Maßregelvollzug. Dort versuchte er, sich selbst zu töten. Die ärztliche Leitung der Einrichtung warnte, dass ein hohes Risiko eines erneuten Suizidversuchs bestünde. Der Mann sei aufgrund der drohenden Auslieferung und Haft in der Türkei "nicht ausreichend von seiner Suizidalität distanziert". Nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug wurde der Haftbefehl aber in Vollzug gesetzt und der Mann inhaftiert.
Das OLG erklärte die Auslieferung schließlich für zulässig. Daran änderten auch die Stellungnahmen zweier weiterer Ärzte nichts, die der Mann dem OLG vorlegte. Darin hatte der JVA-Anstaltsarzt dringend von einer Auslieferung in die Türkei abgeraten. Der Inhaftierte müsse wegen der Verletzungen, die er bei seinem Suizidversuch davongetragen habe, täglich medizinisch behandelt werden, diese Behandlung sei in der Türkei nicht möglich. Außerdem hatte ein Facharzt für Psychiatrie ihn als nicht transporttauglich eingestuft. Das OLG sah die Suizidalität des Mannes dessen Auslieferung nicht entgegenstehen. Es verwies darauf, dass die Haftanstalt Yalvaç über einen festangestellten Psychologen verfüge. Damit könne suizidalen Tendenzen "ausreichend belastbar" begegnet werden. Im vorigen Dezember hatte das BVerfG die Auslieferung des Mannes einstweilig untersagt.
Unzureichende Aufklärung
Auf die Verfassungsbeschwerde des Mannes hat das BVerfG nun die Entscheidungen des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (Beschluss vom 21.05.2024 - 2 BvR 1694/23). Das OLG habe ihn in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, indem es seine Auslieferung für zulässig erklärt hat. Es habe nicht ausreichend aufgeklärt, ob der Gesundheitszustand des Mannes Maßnahmen zur Verhinderung eines erneuten Suizidversuchs erfordert. Gerade angesichts des unternommen Suizidversuchs sei unklar, warum das OLG keinen Sachverständigen hinzugezogen habe. Die ärztlichen Stellungnahmen "enthielten gewichtige Gründe im Sinne der Rechtsprechung des EGMR für die Annahme, dass im Falle der Durchführung der Auslieferung tatsächlich die Gefahr eines erneuten Suizidversuchs bestehe". Dass die Stellungnahme des Psychiaters laut OLG Tendenzen eines "Gefälligkeitsgutachten" aufweise, ändere in Anbetracht der Bedenken von drei weiteren Ärzten nichts.
Der pauschale Hinweis des OLG auf eine psychologische Betreuung in der türkischen Justizvollzugsanstalt genüge nicht. Es sei schon ungeklärt, ob dies reiche, um einen suizidalen Häftling adäquat zu behandeln. Außerdem weist das BVerfG darauf hin, dass die Suizidgefahr nicht nur nach der Auslieferung, sondern gerade auch während des Transports bestehen könne – was das OLG übersehe.
Im Dezember hatte das BVerfG eine Entscheidung des OLG Celle über eine Auslieferung in die Türkei gekippt, weil das OLG nicht genügend aufgeklärt hatte, ob der Auszuliefernde dort ein faires Verfahren bekomme.
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