US-Kampfdrohnen-Einsätze über Ramstein: Darf die Bundesregierung einfach wegschauen?
© boscorelli / Adobe Stock

Die USA benötigen für ihre Drohnen-Einsätze im Jemen die Militärbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein als Relais-Station. Ist Deutschland damit verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, die mit den Drohnen begangen werden? Darüber verhandelt am Dienstag das BVerfG.

Ramstein-Miesenbach ist ein beschaulicher Ort mit etwas mehr als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, gelegen in der Nähe von Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz. Wer unbedarft hindurchfährt, würde wohl nicht vermuten, dass hier weltpolitisch relevante Dinge geschehen. Doch Ramstein könnte bald ein Grund für weitere Spannungen im schon jetzt nicht unbedingt entspannten Verhältnis zwischen Deutschland und den USA werden. Ob es so kommt, hängt u. a. vom BVerfG ab, das am Dienstag über die Frage verhandelt, wie unkritisch die Bundesrepublik mit dem transatlantischen Partner in militärischen Angelegenheiten zusammenarbeiten darf (2 BvR 508/21).

1951 wurde nämlich in Ramstein-Miesenbach die Ramstein Air Base gebaut, heute der größte Luftwaffenstützpunkt der USA in Europa. 9.000 Menschen arbeiten hier, insgesamt sind in der Region um Kaiserslautern rund 50.000 Amerikanerinnen und Amerikaner inklusive deren Familien stationiert. Wichtiger aber ist in diesen Tagen, was von Ramstein aus gesteuert wird: bewaffnete Drohnen, die u. a. im Jemen Einsätze fliegen und dort auch Menschen töten – nicht immer nur Kombattanten, wie es im Völkerrecht heißt, sondern mutmaßlich auch Zivilistinnen und Zivilisten. Dies legen jedenfalls Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nahe.

So soll sich im August 2012 folgender Vorfall ereignet haben: Faisal bin Ali Jaber lebte mit seiner Familie im jemenitischen Dorf Khashamir, wo sie gerade die Hochzeit seines ältesten Sohnes gefeiert hatten. Am Tag danach saß die Familie beim Abendessen, als sie draußen das typische Donnern von Drohnen hörten. Kurz darauf schlugen Raketen ein und töteten mehrere Familienmitglieder. Die Leichen konnten die Überlebenden nur mit Mühe identifizieren. So schildert jedenfalls das ECCHR den Fall – die Organisation betreut seit Jahren Faisal bin Ali Jaber und zwei weitere Familienmitglieder. Im Oktober 2014 verklagte die Familie wegen des Vorfalls die Bundesrepublik Deutschland.

Jemeniten: Bundesregierung verantwortlich für Drohnen-Angriff 

Zuvor hatten sie auch Klagen in den USA angestrengt, waren hiermit aber nicht durchgedrungen. Nun pochen sie auf die Verantwortung Deutschlands, weil die Drohnen über deutsches Territorium in Ramstein gesteuert werden. Dabei wird das Steuer-Signal aus den USA über die Airbase Ramstein umgeleitet. Die Männer aus dem Jemen verlangen deshalb von der Bundesregierung, solche Drohnen-Einsätze künftig zu unterbinden. Die Station in Ramstein begründe eine eigene Verantwortung Deutschlands für Menschenrechtsverletzungen, die mit diesen Drohnen begangen würden. 

Nachdem die Jemeniten mit dieser Argumentation vor dem VG Köln gescheitert waren, gab ihnen das OVG in Münster in einer aufsehenerregenden Entscheidung recht: Zwar müsse die Bundesregierung die Drohnenangriffe über Ramstein nicht unterbinden. Jedoch sei sie in der Pflicht, sich zu vergewissern, "ob die generelle Praxis der amerikanischen Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen, soweit dabei Einrichtungen in Deutschland genutzt werden, mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang steht", sagte der Vorsitzende des 4. Senats bei der Urteilsverkündung im Jahr 2019. 

Vor dem BVerwG hielt diese Sichtweise jedoch nicht durch. Die Leipziger Richterinnen und Richter sahen schon keinen qualifizierten Bezug zum deutschen Staatsgebiet, der eine deutsche Verantwortung für die Drohnen-Angriffe begründe. Außerdem räumten sie der Bundesregierung einen weiten Einschätzungsspielraum im Bereich der Außenpolitik ein. Es reichte dem Senat daher aus, dass die Bundesregierung in Konsultationen mit den USA eingetreten sei und die Zusicherung eingeholt habe, dass keine Menschenrechtsverletzungen begangen würden. Dies sei jedenfalls kein evident ungeeignetes Mittel, um Rechtsverletzungen vorzubeugen, befand das Gericht und sah, obwohl es zudem weitere Belege für etwaige Rechtsverstöße der USA einforderte, von einer Zurückverweisung an das OVG ab.

Staatsrechtler: "Es kann nicht darauf ankommen, wo die Entscheidung fällt"

Um all diese Fragen geht es nun erneut, diesmal vor dem Zweiten Senat des BVerfG in Karlsruhe. Dessen vorab veröffentlichte Verhandlungsgliederung weist bereits darauf hin, was diesen Fall juristisch spannend macht: Ein Großteil des Rechtsgesprächs wird sich wohl um die Frage drehen, inwiefern die Bundesregierung überhaupt für Menschenrechtsverstöße anderer Länder außerhalb ihres Bundesgebiets verantwortlich gemacht werden kann. 

"Das BVerfG hat im Urteil zur Ausland-Fernmeldeaufklärung durch den BND in grundsätzlicher Weise festgestellt, dass die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt ist", erläutert dazu Mehrdad Payandeh, Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Bucerius Law School in Hamburg, gegenüber beck-aktuell. Auch in seinem berühmten Klimaschutz-Beschluss habe das Gericht grundrechtliche Schutzpflichten gegenüber im Ausland lebenden Personen erwogen. Dass Grundrechte nicht prinzipiell an Staatsgrenzen Halt machen, ist damit jedenfalls keine neue Erkenntnis. Das Ramstein-Verfahren könnte nun klären, wie weit grundrechtliche Schutzpflichten außerhalb Deutschlands reichen: "Aus grundrechtlicher Sicht erscheint es problematisch, wenn die Bundesrepublik einem anderen Staat erlaubt, etwas auf deutschem Territorium zu machen, was ihr selbst grundrechtlich untersagt wäre. Es leuchtet nicht ohne Weiteres ein, warum das verfassungsrechtlich zulässig sein soll", meint Payandeh. 

Hier ist eine Präzisierung notwendig, um zu verstehen, warum das BVerwG anderer Meinung war: Die bewaffneten Drohnen werden nicht von deutschem Territorium, aber über jenes gesteuert. Das bedeutet: Die Person, welche die Drohne lenkt und ggf. eine Rakete abfeuert, sitzt in den USA – das Signal, das sie sendet, wird jedoch über Deutschland umgeleitet. Diesen rein "technischen Übermittlungsvorgang ohne Entscheidungselement" hält das BVerwG nicht für ausreichend, um eine grundrechtliche Verantwortung zu begründen. 

Mehrdad Payandeh hält das indes nicht für überzeugend: "Der entscheidende Aspekt ist meines Erachtens, dass die Nutzung der Airbase Ramstein auf deutschem Boden einen maßgeblichen Beitrag zu den US-amerikanischen Drohneneinsätzen darstellt". Dadurch, dass die Bundesrepublik den USA die Nutzung des deutschen Staatsgebiets gestatte, trage sie "eine grundrechtlich sowie völkerrechtlich fundierte Verantwortung dafür, dass keine rechtswidrigen Maßnahmen von ihrem Staatsgebiet aus durchgeführt werden", so Payandeh. "Ob die konkrete Entscheidung des Drohneneinsatzes auf deutschem Territorium erfolgt oder nicht, kann meines Erachtens für die rechtliche Bewertung der Verantwortung der Bundesrepublik und damit auch für die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht keinen Unterschied machen."

Aussagen der Bundesregierung bislang schwammig

Klar ist, dass es vor dem BVerfG nicht darum gehen wird, ob die USA tatsächlich gegen Völkerrecht verstoßen haben, wie viele Berichte von Medien und Menschenrechtsorganisationen nahelegen. Es wird vielmehr darauf ankommen, ob die Zweifel am amerikanischen Vorgehen dazu führen, dass die Bundesregierung weitere Nachforschungen anstellen und die Zusicherungen einholen muss, dass sie keine Hilfe zu Menschenrechtsverletzungen leistet. "Die Drohneneinsätze der USA stehen schon seit langer Zeit in der Kritik und sehen sich erheblichen völkerrechtlichen Zweifeln ausgesetzt", erklärt Payandeh. "Und diese Zweifel werden nicht nur vom ECCHR und anderen Menschenrechtsorganisationen vorgebracht, sondern auch von anderen Staaten und internationalen Organisationen. Und sie werden breit in der Wissenschaft diskutiert."

Welche Anstrengungen die Bundesregierung bisher unternommen hat, um dem nachzugehen, sei nicht wirklich erkennbar: "Die öffentlichen Äußerungen der Bundesregierung zu dieser Frage sind regelmäßig sehr allgemein", meint Payandeh. "Sie beschränken sich zumeist auf die Aussage, dass die Bundesregierung mit ihren US-amerikanischen Partnern in einem kontinuierlichen Dialog steht, in dem auch völkerrechtliche Fragen thematisiert werden. Zudem weist die Bundesregierung darauf hin, dass die USA regelmäßig bestätigten, dass sie das relevante Völkerrecht achten." Das, so Payandeh, reiche jedoch für sich genommen nicht aus, um Zweifel an der Völkerrechtskonformität der Drohneneinsätze zu beseitigen. "Auf der Grundlage dieser Informationen ist keine Aussage darüber möglich, ob und inwiefern die Bundesregierung Zweifeln an der Völkerrechtskonformität der US-amerikanischen Drohnenangriffe Ausdruck verleiht oder in irgendeiner Weise konkret auf die Einhaltung der völkerrechtlichen Vorgaben hinwirkt."

Ob das Verfahren auch Bedeutung über die hiesige Konstellation hinaus – etwa für den Gaza-Krieg oder auch Fragen des Klimaschutzes – erlangen könnte, ist nach Meinung von Mehrdad Payandeh schwer abzusehen. Die Konstellation sei speziell, denn es gehe hier darum, dass die Bundesrepublik einem anderen Staat die Nutzung ihres Staatsgebiets einräume und dabei auch die Ausübung von Hoheitsgewalt gestatte. "Zudem bestehen große Unsicherheiten im Hinblick auf die einschlägigen völkerrechtlichen Maßstäbe sowie die für die Prüfung der Völkerrechtskonformität erforderliche Tatsachengrundlage."

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 16. Dezember 2024.