Das BVerfG hat die Sondersitzungen des Bundestages, in denen die zur geplanten zusätzlichen Schuldenaufnahme nötigen Grundgesetzänderungen beschlossen werden sollen, gebilligt. Indem sie den alten Bundestag noch einmal zusammenkommen lässt, verletze Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) nicht die Beteiligungsrechte der neuen Fraktionen und Abgeordneten (Beschlüsse vom 14.03.2025 - 2 BvE 3/25 u. a.).
In den Sondersitzungen, von denen eine bereits am Donnerstag stattfand und die zweite für den 18. März geplant ist, wollen Union und SPD mit den Stimmen der Grünen noch schnell ein Finanzpaket schnüren, bevor sich die Mehrheitsverhältnisse ändern und AfD und Linke eine Sperrminorität erhalten. Durch eine Verfassungsänderung soll zum einen der Weg für milliardenschwere Sondervermögen für Rüstung und Infrastruktur geebnet werden. Außerdem soll die Schuldenbremse gelockert werden. Bei der ersten Sondersitzung am Donnerstag hatten die Grünen, auf deren Stimmen CDU/CSU und SPD angewiesen sind, noch keiner Einigung zustimmen wollen. Inzwischen haben sich die Parteien jedoch auf einen Kompromiss geeinigt.
Gegen dieses Prozedere hatten am vergangenen Montag einzelne Abgeordnete der AfD und der Linken geklagt und entsprechende Eilanträge eingereicht. Am Mittwoch hatte dann die Fraktion die Linke eine weitere Klage eingereicht. Die Organklagen richten sich gegen den Bundestag und sein Präsidium sowie gegen die Bundesregierung. Die Abgeordneten wollten mit ihren Anträgen eine einstweilige Anordnung erreichen, womit die Sondersitzungen an sich oder jedenfalls die Beschlussfassung untersagt würde.
"Heilmann-Argument" nicht hinreichend begründet
Im Wesentlichen hatten die Abgeordneten und die Fraktion drei rechtliche Argumente vorgebracht, warum der alte Bundestag nicht noch im Rausgehen eine Verfassungsänderung durchpeitschen dürfe, die dann die Haushaltsregeln für die kommende Legislatur verändern würde. Zum einen argumentierten sie, der alte Bundestag sei nicht ordnungsgemäß einberufen worden. Gemäß Art. 39 Abs. 3 GG muss die Bundestagspräsidentin einberufen, wenn ein Drittel der Mitglieder es verlangt. Hier seien es aber die Fraktionen gewesen, die die Einberufung verlangt hätten - nicht die Abgeordneten, was unzulässig sei. Hierzu erklärt das BVerfG jedoch knapp, dass sich Fraktionen oder Abgeordnete nicht auf ein verfassungsmäßiges Recht berufen könnten, dass das alte Parlament nicht zusammentreten solle. Sprich: Selbst wenn das Quorum nicht erfüllt wäre, könnten die antragstellenden Parteien das nicht rügen.
Auch das Argument, die Abgeordneten hätten nicht genug Zeit, um sich vor der Abstimmung ausreichend mit der Materie auseinanderzusetzen, findet sich in den Anträgen. Mit derselben Argumentation, die inzwischen als das "Heilmann-Argument" bezeichnet wird, war es im Jahr 2023 dem CDU-Mann Thomas Heilmann gelungen, vor dem BVerfG einen Aufschub bei der Abstimmung über das sogenannte Heizungsgesetz zu erwirken. Hierzu hält sich der Senat kurz: Die Abgeordneten hätten schon nicht hinreichend substantiiert dazu vorgetragen.
Sitzung des alten Bundestags verletzt neuen nicht in seinen Rechten
Das zentrale Argument schließlich betraf die Handlungsbefugnis des alten – eigentlich bereits abgewählten – Bundestags. Nach Ansicht der Abgeordneten verletzt es das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs 1 GG), wenn der alte Bundestag nach der Wahl des neuen noch so entscheidende Änderungen vornimmt. Nach Art. 39 Abs. 2 GG bleibe der alte Bundestag zwar noch bis zur Konstituierung des neuen Parlaments im Amt, sei aber nicht voll handlungsfähig. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hätte vielmehr den neuen Bundestag einberufen müssen, der bereits konstitutionsfähig sei.
Der Zweite Senat verwies dazu jedoch auf den Wortlaut von Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG, wonach der alte Bundestag erst durch den Zusammentritt des neuen Bundestages abgelöst wird. Bis dahin sei der alte Bundestag in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt, so das BVerfG. Wann die Konstituierung stattfinde, entscheide allein der neue Bundestag. Art. 39 Abs. 2 GG sieht hierfür lediglich eine Frist von 30 Tagen vor, die noch nicht abgelaufen sei. Die neu gewählten Parlamentarier würden durch die Einberufung des alten Bundestages auch nicht am Zusammentritt gehindert, betonen die Karlsruher Richterinnen und Richter. Die Bundestagspräsidentin handele nicht pflichtwidrig, wenn sie das alte Parlament einberufe, nach Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG sei sie dazu schließlich verpflichtet.
Verfassungsrechtler nicht überrascht
Für Hans-Detlef Horn, Professor für Öffentliches Recht an der Philipps-Universität in Marburg ist die Argumentation schlüssig: "Die Regelung des Art. 39 hat ja ihren Sinn. Nach dem Grundgesetz soll es keine parlamentslose Zeit geben", so Horn im Gespräch mit beck-aktuell. Es gebe zudem innerhalb der 30-Tages-Frist keinen Anspruch darauf, dass gewählte Abgeordnete ihr künftiges Gesetzgebungsrecht bereits geltend machen könnten und "auch kein Recht, dass eine einberufene Sitzung auf Antrag nicht stattfindet." Der Bundestag solle zu jeder Zeit voll handlungsfähig sein, darauf lege die Verfassung Wert, betont Horn.
Auch Sina Fontana, Staatsrechtslehrerin von der Universität Augsburg, zeigte sich gegenüber beck-aktuell wenig überrascht: "Es entspricht der überwiegenden Auffassung in der Staatsrechtslehre, dass weder gegen das Tätigwerden des alten Bundestags noch gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens Bedenken bestehen. Daher entspricht die Ablehnung beider Anträge den Erwartungen." Der Wortlaut von Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG stelle ausdrücklich klar, dass der alte Bundestag weiterhin uneingeschränkt handlungsfähig sei. Zwar habe das BVerfG im Eilverfahren lediglich eine Folgenabwägung vorgenommen, "aber mit der Entscheidung dennoch die Verfahrensautonomie des Parlaments gestärkt".
Inwieweit hingegen eine Pflicht der Bundestagspräsidentin besteht, der Konstituierung des neuen Bundestages den Vorzug zu geben, ließ das BVerfG in seinen Beschlüssen offen. Eine solche Pflicht bestünde allenfalls, wenn der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hätte, schreibt der Senat. Das sei hier aber gar nicht geschehen. Hier zeigt sich Horn von den Ausführungen des Gerichts überrascht, das damit zumindest theoretisch die Tür für den Vorrang des neuen Parlaments innerhalb der 30 Tage bis zu seiner Konstituierung offenlässt. Zwar habe das BVerfG hier nicht über diese Frage entscheiden müssen, da das neue Parlament kein entsprechendes Verlangen geäußert habe. "Damit bleibt aber die Frage offen, ob das 'spätestens' in Art. 39 Abs. 2 GG im Sinne eines 'möglichst frühzeitig' zu verstehen ist, oder nur im Sinne einer 'früheren Möglichkeit‘." Unklar sei auch, wie in einem solchen Fall der neue Bundestag praktisch überhaupt eine Willensbildung betreiben und kommunizieren solle.