BGH-Urteil mit drastischen Folgen: Online-Fortbildungen vor dem Aus?
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Online-Fortbildungen per Video sind nicht nur für Fachanwälte längst Standard. Doch das könnte bald vorbei sein. Laut dem BGH braucht jede noch so kleine Fortbildung nun eine Zulassung, die - je nach Entgelt - Tausende Euro kosten kann. Der Gesetzgeber muss eingreifen, meint Daniel Effer-Uhe.

Mitte Juli hat der BGH ein Urteil vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) veröffentlicht. Der III. Zivilsenat legt darin das 1976 in Kraft getretene Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) aus. Und kommt zu dem Ergebnis, dass der dort streitige Vertrag über ein Mentoring-Programm nichtig gewesen sei, weil das Programm ohne behördliche Zulassung durchgeführt worden war.

Über die Angebote von Coaches und Mentorinnen geht die Entscheidung aus Karlsruhe weit hinaus,  sie betrifft die gesamte Fortbildungsbranche. Das gilt auch für viele Anbieter wie Anwaltskammern und -vereine, die sich der Existenz des FernUSG bisher womöglich gar nicht bewusst sind. Gerade für beliebte Formate wie "Aktuelle Rechtsprechung zu …" könnte das Urteil das Ende bedeuten.

Kein Fernunterricht ohne Zulassung

Das FernUSG sieht in § 12 Abs. 1 vor, dass Fernlehrgänge einer behördlichen Zulassung bedürfen. Diese Zulassung bezieht sich auf den einzelnen Lehrgang – wer als Anbieter unterschiedliche Lehrgänge im Portfolio hat, muss für jeden einzelnen die Zulassung erlangen.

Schließt ein Anbieter einen Fernunterrichtsvertrag ohne die erforderliche Zulassung, ist dieser nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig, der Teilnehmer kann Rückzahlung des Entgelts verlangen. Überdies begeht der Anbieter durch sein nicht zugelassenes Fernlehrgangsangebot eine Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 FernUSG.

Eine Bagatellgrenze sieht das FernUSG nicht vor. Die Zulassungsbedürftigkeit kann schon bei ganz geringem Entgelt und kürzester Dauer des Fernlehrgangs entstehen. So wurden schon Rechtsstreitigkeiten um 99 Euro Teilnehmerbeitrag für eine zweieinhalbstündige Videoschulung nach § 15 FAO geführt.

Fernunterricht: Was jetzt geklärt ist

Alles hing also davon ab, was als Fernunterricht im Sinne des Gesetzes gilt. Nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 FernUSG setzt Fernunterricht voraus, dass auf vertraglicher Grundlage entgeltlich Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden und dies ausschließlich oder überwiegend unter räumlicher Trennung von Lehrendem und Lernendem erfolgt; überdies muss der Lehrende oder ein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.

Unentgeltlicher Fernunterricht ist nach § 1 Abs. 2 FernUSG dann erfasst, wenn dies ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist. Die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten legt der BGH weit aus, es gibt keine nennenswerte Eingrenzung.

Spannender und für eine ganze Branche von entscheidender Bedeutung waren andere Fragen. Zwei davon hat die Rechtsprechung nun abschließend und mit für Anbieter unangenehmem Ergebnis geklärt. Die beiden anderen Fragen hat der BGH dagegen offengelassen, was für die Anbieterseite zu erheblicher Unsicherheit führt.

Überwachung des Lernerfolgs

Die Anforderung einer Überwachung des Lernerfolgs sieht der BGH – im Anschluss an frühere Rechtsprechung – schon dann als erfüllt an, wenn der Lernende den Anspruch hat, – beispielsweise durch mündliche Fragen zum Stoff – eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs zu erhalten. Obwohl § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG explizit eine Überwachung durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten fordert, verlangen die Bundesrichterinnen und -richter keineswegs, dass der Lehrende dem Lernenden Fragen zur Lernstandskontrolle stellt. Vielmehr soll es genügen, dass umgekehrt der Lernende dem Lehrenden Fragen stellen kann, so dass dieser Rückschlüsse auf den Lernstand ziehen kann. Mit dem Wortlaut des Gesetzes ist das nur schwer zu vereinbaren – eine "Überwachung" des Lernerfolgs durch den Lehrenden liegt gerade nicht vor, wenn es dem Lernenden überlassen ist, ob er Fragen stellt oder nicht.

Für die Praxis aber ist die Frage geklärt – Karlsruhe locuta, causa finita. Es kommt also nicht darauf an, ob irgendeine formale Überprüfung des Lernerfolgs stattfindet – wann immer der Lernende die Möglichkeit hat, Fragen zu stellen, ist die Voraussetzung der Lernerfolgsüberwachung erfüllt.

Auch für B2B-Verträge

Ob B2B-Verträge dem FernUSG unterfallen, wurde in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung bislang uneinheitlich gesehen.

Der BGH hat nun entschieden, dass der Wortlaut keine Beschränkung des Anwendungsbereichs des FernUSG auf B2C-Verträge zulässt. Auch einer teleologischen Reduktion unter dem Gesichtspunkt der explizit verbraucherschützenden Zielsetzung des FernUSG erteilt er eine Absage.

An der Überzeugungskraft seines Arguments, dass dem FernUSG nicht der Verbraucherbegriff des § 13 BGB zugrunde liegen könne, weil die Vorschrift erst nach dem FernUSG in Kraft getreten sei, kann man mit Fug und Recht zweifeln. Schließlich gab es auch beim Inkrafttreten des FernUSG im Jahr 1976 natürlich bereits Überlegungen zum Verbraucherbegriff, die jedenfalls eine gewisse Nähe zu dem in § 13 BGB jetzt gesetzlich Normierten haben. Die Ablehnung der teleologischen Reduktion erscheint angesichts der Verbraucherschutzzielsetzung, die in den Gesetzgebungsmaterialien deutlich zum Ausdruck kam (BT-Drucks. 7/4245, S. 13, 32), ebenfalls zumindest zweifelhaft.

Und Onlinekonferenzen?

Die Fragen, ob auch synchrone Angebote (Onlinekonferenzen) und individuell auf den Kunden zugeschnittene Coachings als Fernunterrichtsangebote der Zulassung bedürfen, konnte der BGH  offenlassen.

Für Anbieter führt das allerdings zu erheblicher Rechtsunsicherheit: Wer Onlinefortbildungen oder auch Onlinecoachings anbietet, muss nicht nur damit rechnen, dass er ordnungswidrig handelt, sofern er nicht vorher eine Zulassung erwirkt – sondern auch mit Entgeltrückforderungen der Kunden aufgrund nichtiger Verträge.

Die Lösung könnte darin liegen, die Zulassung zu beantragen. Das ist nach § 12 Abs. 3 FernUSG auch vorläufig möglich, bevor alle Unterrichtsmaterialien vorliegen - dass bei Onlinefortbildungen die Folien erst kurz vor Beginn des Unterrichts vollständig fertig werden, ist sicher kein völlig exotischer Ausnahmefall.

Allerdings ist die Zulassung nicht nur zeitaufwändig, sondern auch kostspielig, die Gebühren können schnell jenseits von 1000 Euro liegen.  Während sie sich bei mehrmaligem Angebot desselben Lehrgangs auf die Dauer amortisieren dürften, könnten diese Kosten für viele Lehrgänge, die nur einmalig angeboten werden sollen, prohibitiv sein. Veranstaltungen wie "Aktuelle Rechtsprechung zu …", die schon aufgrund ihrer Aktualität nicht mehrmals mit demselben Inhalt wiederholbar sind, könnten damit praktisch nicht mehr online angeboten werden.

Der Gesetzgeber muss eingreifen

Der Gesetzgeber sollte dringend eingreifen. Angebracht wäre zunächst eine Klarstellung, dass Onlinekonferenzen, die auch nicht aufgezeichnet und dann als Video zur Verfügung gestellt werden, vom Anwendungsbereich des FernUSG nicht erfasst sein sollen, um der Fortbildungsbranche Planungssicherheit zu geben. Solche rein synchronen Angebote, bei denen eine Interaktion zwischen Lehrendem und Lernendem möglich ist, führen zu einer Lernsituation, in der die Lernenden nicht schutzbedürftiger sind als bei einem Lehrangebot in Präsenz.

Für diese heute verbreitete synchrone Onlinelehre, die sich der Gesetzgeber 1976 noch überhaupt nicht vorstellen konnte, passt das FernUSG nicht. Das Gesetz führt die Vorteile, die die Digitalisierung im Fortbildungsbereich mit sich bringt, jedenfalls in der Auslegung, die der BGH nun gewählt hat, ad absurdum. Sinnvolle Angebote von überschaubarer Dauer und überschaubaren Kosten drohen unrentabel und vom Markt verdrängt zu werden – zum Schaden der Kunden.

Tatsächlich hatte der Gesetzgeber des Jahres 1976 keine Onlinelehre vor Augen, die es damals noch gar nicht gab, sondern allein eine asynchrone Fernlehre durch Zusendung von Unterrichtsmaterial. Selbst eine Fernlehre via Telefon, die zumindest theoretisch schon möglich war, hat nie irgendeine praktische Relevanz erlangt und dürfte dem Gesetzgeber nicht vor Augen gestanden haben.

Bei einer Lehre durch Zusendung von Lehrmaterialien oder heutzutage durch asynchrone Videolehre passt die vom FernUSG vorgesehene Zulassung nach Überprüfung des Lehrmaterials deutlich besser. Hier ist im Regelfall eine mehrfache Verwendung desselben Kurses ohne weiteres möglich und sinnvoll, so dass sich die Kosten über mehrere Kursdurchgänge amortisieren lassen.

B2B-Verträge und Einzelcoaching-Angebote ausnehmen

Wünschenswert wäre es auch, Fortbildungsverträge mit Unternehmern und generell Fortbildungsangebote mit einem Entgelt unterhalb einer bestimmten Bagatellgrenze sowie explizit auch individuelle Coachings vom Anwendungsbereich des Gesetzes auszunehmen.

So sachgerecht eine staatliche Kontrolle bei mehrmonatigen Fortbildungsangeboten für Zehntausende von Euros im Verbraucherschutzinteresse ist, so wenig gibt es einen Grund, einen selbständigen Rechtsanwalt, der einen kurzen Videokurs für 99 Euro bucht, für schutzbedürftig zu halten.

Erst recht sollten Einzelcoaching- und Mentoring-Angebote vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden. Hier steht nicht die standardisierte (und anhand der Lehrmaterialien überprüfbare) Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Vordergrund, sondern die individuelle Arbeit an Verhaltensweisen und -kompetenzen.

Bis es – hoffentlich – zu einer gesetzgeberischen Klarstellung kommt, bleibt es den Anbietern überlassen, ob sie das beträchtliche Risiko von Fernunterricht nach bisherigem Muster weiter eingehen. Mit einer Flut von Zulassungsverfahren für Kurz-Fortbildungen im unteren Preissegment ist wohl nicht zu rechnen – eher schon mit dem Fortfall dieser Fortbildungen. Spätestens dann, wenn kleine Anbieter – wie in der juristischen Welt die Anwaltskammern und -vereine - sich der Existenz des FernUSG und der Risiken bewusst werden, die der BGH nun geschaffen hat.

Der Autor Prof. Dr. Daniel Effer-Uhe ist Professor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte, Rechtstheorie und Rechtspsychologie an der BSP Business and Law School Berlin.

Prof. Dr. Daniel Effer-Uhe, 1. August 2025.

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