Ein ehemaliger langjähriger 1. Konzertmeister im Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester wurde angeklagt, erst seiner 93-jährige Mutter und einen Tag später zwei seiner Kollegen heimlich chinesisches Rattengift verabreicht zu haben. Alle drei Opfer konnten gerettet werden. Die Staatsanwaltschaft ging in allen Fällen davon aus, dass der 62-jährige Musiker mit Tötungsvorsatz gehandelt habe. Das LG Hannover sah das im Fall der Orchesterkollegen anders und nahm hier nur Verletzungsvorsatz an – schließlich seien die drei Männer miteinander befreundet gewesen. Daher verurteilte es den Violinisten, der die Vorwürfe bestritt, nur zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil erfolgreich Revision ein.
Feststellungen tragen die Gründe nicht
Der BGH bemängelte zum einen, dass das LG dem Konzertmeister einfach unterstellt hatte, er habe seinen Kollegen nur "einen Denkzettel erteilen" wollen. Für diese Annahme gebe es nach den Feststellungen keine Anhaltspunkte. Der 6. Strafsenat in Leipzig sieht zwar die Schwierigkeit, das Vorstellungsbild eines die Vorwürfe bestreitenden Täters zu ermitteln. Das aber dürfe nicht dazu führen, zu seinen Gunsten von Annahmen auszugehen, für die es keinerlei Anhaltspunkte gebe.
Außerdem erkannte der BGH Lücken in der Beweiswürdigung: Wenn das LG davon ausgehe, dass der Geiger keinen Tötungsvorsatz hinsichtlich der Kollegen gehabt habe, weil sie viel jünger und fitter als die Mutter gewesen seien, müsse aus den Feststellungen auch hervorgehen, wie wenig vulnerabel die Kollegen im Vergleich zur Mutter gewesen sind.
Freundschaft lässt bedingten Tötungsvorsatz nicht per se entfallen
Die Leipziger Richter und Richterinnen stellten heraus, dass allein die Freundschaft zwischen den Kollegen und dem ehemaligen 1. Konzertmeister den bedingten Tötungsvorsatz nicht ausschließt. Menschen, die mit bedingtem Tötungsvorsatz handeln, hätten in der Regel überhaupt kein Tötungsmotiv, so der BGH. Daher könne man dem Handlungsantrieb nur insoweit Bedeutung zumessen, als er auf die Bereitschaft schließen lasse, den Tod des anderen in Kauf zu nehmen.
Der BGH bemängelte weiter, dass sich das LG Hannover nicht ausreichend mit dem toxikologischen Gutachten auseinandergesetzt habe. Dieses besagte unter anderem, dass die Einnahme des Rattengifts innere Blutungen verursachen könne. Bereits geringste alltägliche Bagatelltraumen könnten tödliche Blutungen zur Folge haben. Die Annahme, der Musiker habe geglaubt, dass seine Freunde sich selbstständig ärztliche Hilfe suchen, sobald sie die Symptome wahrnehmen, entbehre daher tatsächlicher Anhaltspunkte. Das LG Hannover muss nun erneut in dieser Sache entscheiden.