Der Geiger mit dem Rattengift – sechseinhalb Jahre Gefängnis

Ein Orchestermusiker hat Mordgedanken, besorgt sich Rattengift und versucht, drei Menschen zu vergiften, darunter seine Mutter. Die Vorwürfe scheinen für den Geiger des Sinfonieorchesters Schleswig-Holstein unvorstellbar zu sein – das Urteil des LG Hannover wohl auch: Er soll für sechseinhalb Jahre in Haft.

Versuchten Giftmord und gefährliche Körperverletzung wirft das Gericht ihm vor. "Der Tenor wird einige überrascht haben", sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht Hannover, Martin Grote, am Montag. Verteidiger Matthias Waldraff kündigte umgehend an, Revision einlegen zu wollen.

"Die Fäden laufen ohne Zweifel bei Ihnen zusammen", sagte Grote an den 62-Jährigen Geiger gerichtet in seiner Urteilsbegründung (Urteil vom 23.10.2023 - 39 Ks 7/23). "Sie sind das Bindeglied dieser Fälle." Der verurteilte Deutsche hatte nach Überzeugung des Gerichts im September 2022 in einem Seniorenheim in Hannover Rattengift in Lebensmittel seiner 93 Jahre alten Mutter gemischt. Einige Tage später reichte er zwei Kollegen auf einer Konzertreise einen Knoblauchdip mit dem Gift. Die Opfer erlitten Blutgerinnungsstörungen, an denen sie hätten sterben können. Die Mutter des Mannes erhielt mehrere Blutkonserven. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Taten zwölf Jahre Gefängnis gefordert, außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung. Die Anwälte des Mannes forderten dagegen einen Freispruch.

Demenzerkrankung der Mutter als Tatmotiv?

Warum aber hatte der Verurteilte die ihm vorgeworfenen Taten begangen? "Es ist nicht so, dass Sie kein Motiv hatten – wir wissen nur nicht, welches", sagte Grote in der Urteilsbegründung weiter. Eine Reihe von Motiven sei vorstellbar – und die Fakten erlaubten es, sicher auf den 62-Jährigen als Täter zu schließen. Zwar habe das Gericht keinen Zweifel daran, dass der Mann ein enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte. Deren Gesundheitszustand aber habe sich rapide verschlechtert, auch Demenz sei diagnostiziert worden. Man gehe davon aus, dass er aus Verzweiflung über die Demenzerkrankung versucht habe, die alte Frau zu töten.

Bei der Vergiftung der Kollegen aus dem Orchester ging das Gericht von einer gefährlichen Körperverletzung aus und verneinte einen Tötungsvorsatz – es habe sich wohl um einen Denkzettel wegen fehlenden Beistands in einer "von Ihnen als existenziell empfundenen Lebenskrise" gehandelt, sagte Grote. Der 62-Jährige hatte sich von einem weiteren Musiker des Orchesters angegriffen und gemobbt gefühlt – in der Folge verstärkten sich seine Depressionen und er hatte Suizidgedanken.

Er gab auch zu, das Gift Brodifacoum bestellt zu haben, um diesem Kollegen zu schaden. Den Plan habe er aber aufgegeben, das Gift entsorgt. Richter Grote sagte nun, das Gericht glaube ihm nicht, dass er das Gift tatsächlich weggeworfen habe.

Rechtlich gehe er von versuchtem Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im Fall der Mutter aus, sagte der Richter. Als Einzelstrafe wurden fünf Jahre und neun Monate festgelegt. Im Fall der vergifteten Kollegen ging das Gericht für die gefährliche Körperverletzung von einer Einzelstrafe von drei Jahren aus. Daraus ergebe sich eine Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten.

Verteidiger hält Urteil für revisibel

Der 62-Jährige hatte in seinem Schlusswort dagegen betont, es sei für ihn unvorstellbar, seiner Mutter oder seinen alten Freunden zu schaden. Im September war bekanntgeworden, dass das Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester ihn entlassen hatte.

Anwalt Matthias Waldraff erklärte, dass Gericht arbeite mit Konstrukten und bewege sich mit seinem Urteil auf dünnem Eis – nun müsse der Bundesgerichtshof feststellen, "ob das hält". Er sehe bei seinem Mandanten keinen Tötungsvorsatz. Schon vorher hatte er den Musiker als Feingeist bezeichnet, dessen Leben von Musik und Noten geprägt sei. Der Verteidiger betonte, es sei beruhigend, dass das Gericht fünfeinhalb Jahre unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft geblieben sei, auch habe eine Sicherungsverwahrung keine Rolle gespielt.

LG Hannover, Urteil vom 23.10.2023 - 39 Ks 7/23

Redaktion beck-aktuell, Thomas Strünkelnberg, 23. Oktober 2023 (dpa).