Will die Polizei im Ermittlungsverfahren an Daten auf dem Mobiltelefon eines Beschuldigten gelangen, darf sie unter Umständen sogar unter Zwang seinen Finger auf den Sensor des Handys legen, um es zu entsperren. So hat es jüngst er BGH entschieden (Beschluss vom 13.03.2025 – 2 StR 232/24). Die Entscheidung fällt in eine seit Jahren intensiv geführte Debatte über die Reichweite einfachgesetzlicher Befugnisnormen im Licht grundrechtlicher Vorgaben und technischer Innovationen.
Im zugrunde liegenden Fall wurde ein Mann im Rahmen einer richterlich angeordneten Wohnungsdurchsuchung mit mehreren Mobiltelefonen konfrontiert, mit denen er kindesgefährdende Kontakte angebahnt haben sollte. Da der Beschuldigte, der entgegen einem Berufsverbot als Kinderbetreuer tätig war, das Handy nicht freiwillig entsperren wollte, legten die Ermittlungsbeamten seinen Finger unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf das Smartphone.
BGH: EU-Richtlinie lässt zwangsweise Entsperrung mit Finger zu
Damit stellte sich die Frage nach der Zulässigkeit dieser Maßnahme. Der BGH arbeitet in seinem Beschluss dazu ausführlich eine Argumentationskette ab. Dabei stellt er zunächst klar, dass der Versuch, mittels Fingerauflegen Zugriff auf ein Mobiltelefon zu erlangen, den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2016/680 zum Schutz personenbezogener Daten im Strafverfahren eröffnet. Der Zugriff stelle eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der Richtlinie dar, die der Maßnahme jedoch nicht generell entgegenstehe.
Zwar handele es sich um einen schwerwiegenden, unter Umständen sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten. Gleichwohl sei ein solcher Eingriff im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen zulässig, sofern er auf einer klaren gesetzlichen Grundlage beruhe, einem legitimen Ziel diene und verhältnismäßig sei. Der BGH verweist auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach auch erhebliche Eingriffe in die Privatsphäre im Kontext der Strafverfolgung nicht ausgeschlossen sind, wenn sie einem dem Gemeinwohl dienenden Zweck dienen und die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRCh erfüllen. Die Verarbeitung im Rahmen der zwangsweisen Entsperrung sei demnach gerechtfertigt. Dass der Beschuldigte die Entsperrung nicht freiwillig vornehme, ändere daran nichts, da die Richtlinie keine absolute Einwilligungspflicht normiere.
Der Körper des Beschuldigten als "natürlicher Schlüssel"
Die notwendige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sieht der BGH in § 81b Abs. 1 StPO und stellt klar, dass das zwangsweise Fingerauflegen eine "ähnliche Maßnahme" im Sinne des § 81b Abs. 1 StPO sei. Der BGH stützt sich dabei auf eine funktional-teleologische Auslegung der Norm. Der Wortlaut des § 81b Abs. 1 StPO erlaubt erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Durchführung des Strafverfahrens und nennt exemplarisch auch die Abnahme von Fingerabdrücken. Entscheidend ist für den BGH jedoch die in der Vorschrift enthaltene Formulierung "ähnliche Maßnahmen", die er als technikoffen versteht. Dies erlaube es, auch neue technische Einsatzformen biometrischer Merkmale wie das Entsperren eines Smartphones durch Fingerabdruck unter die Norm zu subsumieren.
Dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm solche Anwendungen nicht vor Augen hatte, stehe einer dynamischen Interpretation nicht entgegen, meint der Senat; vielmehr betont er, dass es sich hier nicht um eine aktive Mitwirkung des Beschuldigten handele, sondern um eine Maßnahme, die er passiv zu dulden habe. Damit sei die Maßnahme nicht vom Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit umfasst. Denn: Es wird der Körper des Beschuldigten lediglich als "natürlicher Schlüssel" zur Überwindung einer technischen Sicherung genutzt, was die Strafprozessordnung in vergleichbaren Fällen – etwa bei der klassischen daktyloskopischen Analyse – längst erlaubt. Die Maßnahme sei zudem ihrem Wesen nach weniger eingriffsintensiv als etwa die vollständige Speicherung und Verarbeitung biometrischer Daten zur Identifizierung durch Polizei oder andere Behörden, da sie auf eine einmalige Entsperrung beschränkt sei.
Auch die Zielrichtung der Maßnahme sieht der Senat durch § 81b Abs. 1 StPO gedeckt: Es gehe nicht darum, die Persönlichkeit umfassend auszuforschen, sondern um einen zielgerichteten Zugriff zur Beweissicherung im Rahmen eines konkreten Strafverfahrens. Dass die Maßnahme zugleich der Vorbereitung eines Zugriffs auf digitale Inhalte dient, nimmt ihr aus Sicht des BGH nicht den Charakter einer erkennungsdienstlichen Maßnahme im weiteren Sinne, da die Entsperrung lediglich ein notwendiger Zwischenschritt sei. Der Zugriff auf die eigentlichen Daten werde durch andere Normen – insbesondere §§ 94 ff. und 110 StPO – getragen.
Zweistufige Prüfung
Damit begründet der BGH ein zweistufiges Modell, in dem § 81b Abs. 1 StPO die erste Stufe – die Zugangseröffnung – abdeckt, während der Datenzugriff auf der zweiten Stufe einer eigenständigen rechtlichen Bewertung unterliegt. Die schlussendlich zu prüfende Verhältnismäßigkeit beruht mit dem BGH auf der richterlich angeordneten Wohnungsdurchsuchung, die gezielt dem Auffinden von Mobiltelefonen diente. Das erzwungene Fingerauflegen sei hier geeignet und erforderlich gewesen, weil ein Zugriff auf die gespeicherten Daten anders nicht möglich gewesen sei, insbesondere weil der Beschuldigte die Entsperrung verweigerte.
Für die Angemessenheit entscheidend ist für den BGH, dass die Datenerhebung und -auswertung grundsätzlich auf das beschränkt bleibe, was für die Aufklärung der verfahrensgegenständlichen Straftat notwendig sei. Diese Eingrenzung der Datenverarbeitung sei auch Ausdruck einer sachlich-funktionalen Zweckbindung, wie sie das Datenschutzrecht verlange. Weiter betont der BGH, dass der Zweck der Maßnahme auf ein strafprozessuales Erkenntnisinteresse bezogen sein müsse, das sich auf eine konkrete, im Verfahren zu untersuchende Straftat richte.
Hard cases make bad law
Die Entscheidung folgt inhaltlich den zuvor ergangenen Beschlüssen des AG Baden-Baden, des LG Ravensburg und zuletzt des OLG Bremen, die § 81b Abs. 1 StPO ebenfalls als technologieoffene und geeignete Ermächtigungsgrundlage heranzogen. Die Literatur zeigt sich dagegen gespalten: Während einige diese Auslegung auch für Zwecke der Datenentsperrung befürworten, treten diverse Kritikerinnen und Kritiker dem entgegen. Ihr Argument ist, dass § 81b StPO primär für Identifizierungszwecke geschaffen worden sei und ein Zugriff auf gespeicherte Daten eine qualitativ andere Maßnahme darstelle, die einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Die Gegenposition verweist indes auf die Struktur der Maßnahme: Die Entsperrung sei ein vorgelagerter Schritt zur Datensicherung, der sich funktional von der eigentlichen Auswertung trennen lasse und daher eigenständig zu rechtfertigen sei. Diesen Aspekt hat der BGH nun aufgegriffen.
Die Entscheidung ist ein prägnantes Beispiel für den Grundsatz "Hard cases make bad law": Mit Blick auf das besondere Gefährdungspotenzial eines als Kinderbetreuer tätigen potenziellen Sexualstraftäters war dieser Fall nicht der ideale, um ein solches Beweisverwertungsverbot höchstrichterlich zu klären. Der praxisorientierte Ansatz auf Basis von § 81b Abs. 1 StPO ist damit gefestigt und wird weiter ausufern. Dass der Gesetzgeber biometrische Entsperrverfahren nicht antizipierte, als er die Norm schuf, stellt der BGH zutreffend fest. Das Grundgesetz fordert jedoch bei grundrechtsintensiven Maßnahmen eine normenklare Regelung, während sich § 81b StPO hier eher zu einer Art Generalklausel entwickelt.
Bald auch Gesichts- und Irisscan?
Jedenfalls nicht überzeugend ist, wie der BGH die Verhältnismäßigkeit begründet: Die auf diesem Wege eröffneten Ermittlungsoptionen – inklusive einer Totaldurchsuchung von Kommunikationsinhalten – verlangen nach einer präzisen gesetzlichen Eingriffsgrundlage, zumal der sensible Bereich der digitalen Intimsphäre betroffen ist. Der BGH hat die Büchse der Pandora geöffnet: So treffend die Ausführungen zur Beschränkung auf die für den Tatvorwurf erheblichen Informationen auch sind, verkennt der BGH die Rolle der Zufallsfunde. De facto durchleuchten Ermittlungsbehörden Smartphones längst vollständig und verwerten jegliche Anhaltspunkte für weitere Straftaten. Hinzu kommen neue Möglichkeiten verfahrensübergreifender Datenverknüpfung wie bei "Hessendata", die zu mehr Kontrolle schon bei der Erhebung digitaler Spuren zwingen sollten. Die Argumentation, man werde nicht zum Beweismittel gegen sich selbst, greift ebenfalls zu kurz, da sich eine normale erkennungsdienstliche Behandlung in sich selbst erschöpft, während hier nur eine Vorstufe betroffen ist, die einen umfassenden Zugriff ermöglicht.
Zu befürchten steht, dass die dogmatische Ausweitung des § 81b Abs. 1 StPO als technikoffene Ermächtigungsgrundlage ein Einfallstor für eine zunehmende Funktionalisierung des Körpers des Beschuldigten als Ermittlungsressource schafft. Es liegt nahe, künftig auch weitere Methoden – etwa Gesichts- oder Irisscan, Venenmustererkennung oder gar Verhaltensbiometrie – unter denselben rechtlichen Maßstab zu stellen, obwohl es sich dabei um subtilere und technisch aufwendigere Formen staatlicher Einflussnahme handelt. Die Aushöhlung der Grenze zwischen schlichtem Erdulden und unzulässigem Zwang gegen sich selbst hat bereits begonnen – und man kann nur raten, dauerhaft sämtliche biometrische Sperrfunktionen auf seinen Geräten zu deaktivieren.
Der Autor Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht und IT-Recht. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Strafverteidigung, insbesondere in der Schnittmenge von IT-Recht und Strafrecht.