"Wir möchten das Berliner Testament nicht verteufeln", sagte die Vorsitzende des II. Senats, Anette Kugelmüller-Pugh: "Es kann aber steuerliche und zivilrechtliche Nachteile haben." Verbreitet ist dabei die "Jastrowsche Klausel": Sie bestraft Kinder, die nach dem Tod des ersten Elternteils ihren Pflichtteil beanspruchen, mit anschließender Enterbung. Denn dann muss der erbende Vater oder Mutter womöglich seine Immobilie verkaufen, um Sohn oder Tochter auszahlen zu können. "Brave" Kinder sollen (im Gegensatz zu etwaigen Geschwistern, die gleich Geld fordern) hingegen mit einem Vermächtnis belohnt werden, das ihnen ausgezahlt wird, wenn dann auch der andere Elternteil stirbt.
Im aktuellen Streitfall hatte eine Tochter dagegen geklagt, dass dieses Vermächtnis nominell zweimal besteuert worden war – zunächst beim Ableben des Vaters als Teil der Erbschaft der Mutter und dann nach deren Tod noch einmal bei der jungen Frau selbst. Die konnte das allerdings als "Nachlassverbindlichkeit" bei der von ihr zu zahlenden Erbschaftsteuer abziehen.
Bei der zweiten Entscheidung, die BFH-Vize Meinhard Wittwer nur mit vielen Worten und anhand eines komplizierten Schaubilds erläutern konnte, ging es um Mitarbeiterbeteiligungen für Manager. Demnach müssen Führungskräfte, denen ein Start-up-Unternehmen Anteile an sich einräumt, keine Lohnsteuer darauf bezahlen, wenn sie diese später mit immensem Gewinn zum aktuellen Marktpreis über die Börse verkaufen. Der Fiskus beteiligt sich dann trotz einer zwischenzeitlichen Gesetzesverschärfung nur über den Weg als Einkünfte aus Kapitalvermögen – dies aber zu einem deutlich niedrigeren Tarif.
Klagen mehrheitlich per Video
BFH-Präsident Hans-Josef Thesling machte deutlich, dass am obersten Steuergericht mittlerweile über 50% der Verhandlungen als Videokonferenz durchgeführt werden. Allerdings hat das BVerfG kürzlich eine BFH-Entscheidung dazu, wonach dabei ständig sämtliche Richter auf dem Monitor zu sehen sein müssten, als zu harsch aufgehoben. Thesling geht davon aus, dass dieses Karlsruher Verdikt Auswirkungen auf die laufenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat über die Förderung von Videokonferenzen an Zivil- und Fachgerichten haben könnte. Wenngleich sein Gericht diesen digitalen Verfahren aufgeschlossen gegenüber sei, äußerte er Sympathie für einige Einwände der Bundesländer gegen die von der Ampelregierung gewünschte Ausweitung: Während an den Bundesgerichten nur über Rechtsfragen gestritten werde, gehe es in den unteren Instanzen auch um die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen, Klägern und Beklagten. Wie schon die künftige BSG-Präsidentin Christine Fuchsloch zeigte Thesling sich skeptisch gegenüber Teilen der von der rot-grün-gelben geplanten Kindergrundsicherung.
Am BFH selbst habe es erhebliche personelle Veränderungen gegeben, was nach Einschätzung des Gerichtschefs auch für die Rechtsprechung relevant sein wird. Die Erfolgsquote von Bürgern, die gegen den Staat klagen, lag im vergangenen Jahr fast unverändert bei Revisionen bei 44% und bei Nichtzulassungsbeschwerden bei 15%. Insgesamt trafen 1.816 neue Akten ein (2022: 1.958). Im laufenden Jahr rechnet Deutschlands oberster Steuer- und Zollrichter mit spannenden Verfahren zu Auskunfts- und Akteneinsichtsrechten nach der DS-GVO, zur Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums, nach der bei mangelhafter Buchführung branchentypische Aufschläge auf den vermuteten Umsatz vorgenommen werden können, und schon bald zur reformierten Grundsteuer. Das FG Rheinland-Pfalz hat sie kürzlich in zwei Eilentscheidungen für verfassungswidrig gehalten. Das ist besonders spannend, weil dieses Bundesland wie die meisten anderen auch dem sogenannten Bundesmodell folgt, so dass ein abschließendes Urteil – das allerdings erst vom BVerfG erwartet wird – Breitenwirkung hätte.