Über­stun­den: "Voll­zeit­quo­te" dis­kri­mi­niert Teil­zeit­be­schäf­tig­te
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Mil­lio­nen Ar­beit­neh­mer in Deutsch­land ar­bei­ten in Teil­zeit - vor allem Frau­en. Bis­her wer­den sie bei Über­stun­den­zu­schlä­gen schlech­ter be­han­delt als Voll­zeit­be­schäf­tig­te. Das muss sich nach einer Ent­schei­dung des BAG jetzt än­dern.

Das BAG hält in einem Grund­satz­ur­teil fest, dass die Ver­gü­tung von Über­stun­den nicht pau­schal davon ab­hän­gig ge­macht wer­den darf, dass die re­gel­mä­ßi­ge Ar­beits­zeit eines Voll­zeit­be­schäf­tig­ten über­schrit­ten wird. Eine sol­che ta­rif­li­che Re­ge­lung dis­kri­mi­nie­re Teil­zeit­be­schäf­tig­te – und mit­tel­bar damit oft­mals Frau­en. Etwas an­de­res gelte nur dann, wenn der Un­gleich­be­hand­lung sach­li­che Grün­de zu­grun­de lie­gen.

Ge­klagt hatte eine Frau, die in Teil­zeit als Pfle­ge­kraft bei einem am­bu­lan­ten Dia­ly­se­an­bie­ter be­schäf­tigt ist. Nach dem für das Ar­beits­ver­hält­nis gel­ten­den Ta­rif­ver­trag gibt es zwar einen Zu­schlag für Über­stun­den, aber nur für sol­che, die über die mo­nat­li­che Ar­beits­zeit eines voll­zeit­be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mers hin­aus ge­leis­tet wer­den und im je­wei­li­gen Ka­len­der­mo­nat nicht durch Frei­zeit­ge­wäh­rung aus­ge­gli­chen wer­den kön­nen.

Die Pfle­ge­kraft hatte einen Hau­fen Über­stun­den an­ge­sam­melt, ent­spre­chend der ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung aber weder Zu­schlä­ge dafür aus­ge­zahlt be­kom­men noch Zeit­gut­schrif­ten für ihr Ar­beits­zeit­kon­to er­hal­ten. Mit ihrer Klage be­gehr­te sie die Gut­schrift von Über­stun­den­zu­schlä­gen in ihrem Ar­beits­zeit­kon­to. Au­ßer­dem sei sie nach § 15 Abs. 2 AGG zu ent­schä­di­gen – und zwar in Höhe eines Vier­tel­jah­res­ver­diens­tes.

Das ArbG er­kann­te weder den einen noch den an­de­ren An­spruch an. Vor dem LAG erstritt die Teil­zeit­be­schäf­tig­te die Zeit­gut­schrift, die Ent­schä­di­gung wurde ihr aber ver­sagt. Erst vor dem BAG drang sie auch hier­mit durch – al­ler­dings nur in Höhe eines Be­tra­ges von 250 Euro (Ur­teil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20).

Mit­tel­bar wegen des (weib­li­chen) Ge­schlechts dis­kri­mi­niert

Der Ta­rif­ver­trag ver­sto­ße gegen das Ver­bot der Be­nach­tei­li­gung von Teil­zeit­be­schäf­tig­ten (§ 4 Abs. 1 TzBfG), ent­schied das BAG, nach­dem es den EuGH um Vor­ab­ent­schei­dung ge­be­ten hatte. Der Ta­rif­ver­trag sei in­so­weit un­wirk­sam, als er bei Teil­zeit­be­schäf­ti­gung keine der Teil­zeit­quo­te ent­spre­chen­de an­tei­li­ge Ab­sen­kung der Gren­ze für die Ge­wäh­rung eines Über­stun­den­zu­schlags vor­sieht. Einen sach­li­chen Grund für diese Un­gleich­be­hand­lung sah das BAG nicht. Die sich aus dem Ver­stoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG er­ge­ben­de Un­wirk­sam­keit der ta­rif­ver­trag­li­chen Über­stun­den­zu­schlags­re­ge­lung führe zu einem An­spruch auf die ein­ge­klag­te Zeit­gut­schrift.

Durch die An­wen­dung der ta­rif­li­chen Re­ge­lung sei die Pfle­ge­kraft auch mit­tel­bar wegen ihres Ge­schlechts be­nach­tei­ligt wor­den. Denn: Die bei ihrem Ar­beit­ge­ber in Teil­zeit Be­schäf­tig­ten seien zu 90% Frau­en. Al­ler­dings hielt das BAG 250 Euro für aus­rei­chend als Scha­dens­aus­gleich und zur Ab­schre­ckung des Ar­beit­ge­bers.

In Deutsch­land ar­bei­ten nach Zah­len des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts mehr als zwölf Mil­lio­nen Men­schen in Teil­zeit - be­son­ders hoch ist der An­teil bei Frau­en. Die so­ge­nann­te Voll­zeit­quo­te bei Über­stun­den­zu­schlä­gen ist nach An­ga­ben von Ar­beits­recht­lern in vie­len Ta­rif­ver­trä­gen ent­hal­ten. Der Prä­ze­denz­fall für das Grund­satz­ur­teil kam aus Hes­sen.

BAG, Urteil vom 05.12.2024 - 8 AZR 370/20

Redaktion beck-aktuell, bw, 6. Dezember 2024 (ergänzt durch Material der dpa).