Volksverhetzung: Grünen-Politiker zeigt Thüringer AfD-Führung an

Der Thüringer Grüne Bernhard Stengele stellt Strafanzeige gegen das AfD-Spitzenduo Björn Höcke und Stefan Möller. Es geht dabei um ein Lied, das die AfD-Fraktion für ihr Wahlprogramm ausgesucht hat.

Der Thüringer Grünen-Politiker und Umweltminister Bernhard Stengele hat gegen die beiden AfD-Landessprecher Björn Höcke und Stefan Möller Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung gestellt. Hintergrund der Anzeige sind einige Liedzeilen, die dem Programm der AfD zur Landtagswahl im September vorangestellt sind.

Das Lied mit dem Titel "Rauscht ihr noch, ihr alten Wälder" stammt vom Lyriker Franz Langheinrich (1864 – 1945) und ist auf den ersten Blick der Verherrlichung des Nationalsozialismus - wie ihn die Würzburger Kanzlei Jun Rechtsanwälte, aus der die Anzeige stammt, dem AfD-Duo vorwirft - eher unverdächtig. Es liest sich vor allem melancholisch-heimattümelnd, säuselt etwas schwülstig von Bergen, Tälern und "goldne(n) Felder(n)".

Verdächtig ist jedoch aus Sicht Stengeles und seiner Vertreter, dass der Autor - so heißt es in der Strafanzeige, die beck-aktuell vorliegt - der völkisch-nationalistischen Szene angehört habe. Er sei Teil der nationalistischen "Deutschen Kunstgesellschaft" gewesen, die 1920 von Künstlern gegründet worden sei, um für eine "rein deutsche" Kunst sowie gegen deren "Verrottung" einzutreten. "Langheinrich repräsentierte damals wie heute die Entfaltung des menschenverachtenden Antisemitismus durch die Unterdrückung und Förderung von Kunst" heißt es weiter. Zudem sei er "aktiver Gehilfe der NSDAP" gewesen. Man sehe daher den Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB als erfüllt an.

Stengele: "Weitere Grenzüberschreitung"

"Diese Anzeige ist ein Missbrauch der Justiz", erklärte der AfD-Landesverband auch im Namen der beiden Sprecher. Es sei ein verzweifelter Versuch des Grünen-Spitzenkandidaten, "seinen eigenen Bekanntheitsgrad auf Kosten der AfD zu steigern. Am Gedicht von Franz Langheinrich ist nichts, aber auch gar nichts Verwerfliches oder gar 'Volksverhetzendes' zu erkennen", heißt es in der Stellungnahme. Möller erklärte: "Wer darin eine Volksverhetzung zu erkennen vermag, lebt offenbar in seiner ganz eigenen, von der Realität abgekoppelten Sphäre oder sucht um jeden Preis die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit."

"Mit der Anzeige setze ich ein Stoppschild", erklärte hingegen Stengele. Zeilen eines glühenden Nationalsozialisten am Beginn eines Wahlprogramms aufzunehmen sei "eine weitere Grenzüberschreitung" der AfD. Die Partei versuche, in die Sprache und ins Denken ihrer Anhängerschaft immer mehr die völkisch-nationalistische und antisemitische NS-Ideologie zu verankern und die Verbrechen der damaligen Zeit zu verharmlosen. Diese Strategie gefährde das Fundament der Demokratie, so Stengele: "Zu unserem gesellschaftlichen Konsens gehört die klare Abgrenzung zu den Verbrechen der Nationalsozialisten – jede Verharmlosung und Relativierung, jede Verherrlichung oder Rechtfertigung ist zu recht verboten."

Anwälte sehen subtile Billigung des Nationalsozialismus

Doch wie kommt man nun juristisch zu dem Schluss, dass ein Zitat eines mit den Nationalsozialisten sympathisierenden Autors "die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt", wie es der Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB fordert? Die Begründung Stengeles und der Kanzlei Jun liest sich wie folgt: Indem die AfD in ihrem Programm den Liedtext abgedruckt und darunter den Namen des Autors platziert habe, billige man die nationalsozialistische Herrschaft. Dies sei nämlich auch dadurch möglich, dass positive Werturteile über deren Repräsentanten geäußert würden.

Warum es sich bei dem Lyriker, dessen Name einem weniger künstlerisch bewanderten Durchschnitts-Rezipienten vermutlich nicht geläufig sein dürfte, tatsächlich um einen Repräsentanten des Nationalsozialismus handeln soll, liegt indes nicht unbedingt auf der Hand. Es komme auf den Kontext an, argumentieren Kanzlei-Gründer Chan-jo Jun und Rechtsanwältin Jessica Flint in der Anzeigeschrift. Indem man das Gedicht so prominent an den Anfang des Wahlprogrammes stelle, gebe man zu erkennen, dass der Autor für die Beschuldigten und die Thüringer AfD eine prägende Figur sei. Da die AfD auch die Lebensdaten - insbesondere das Todes-Datum 1945 - vermerkt habe, könne man als nicht eingeweihte Person leicht recherchieren, um wen es sich handele.

Die Kanzlei arbeitet in ihrer Argumentation auch mit der Partei-Strategie der AfD, die stets darauf abziele, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, mal mehr, mal weniger subtil. Indem die Partei ein vordergründig unverdächtiges Lied in das Programm integriere, verspotte man "mit größter Gerissenheit" die Opfer des Nationalsozialismus, man huldige einem Menschen, der die Verbrechen der damaligen Zeit öffentlich befördert habe.

Höcke im September Gegner Stengeles

Mit Äußerungen, die Assoziationen zur NS-Zeit wecken, sorgt vor allem Thüringens AfD-Chef Höcke immer wieder für kontroverse Debatten. Thüringens Verfassungsschutz hat die AfD im Freistaat als erwiesen rechtsextrem eingestuft und beobachtet sie. Anfang Juli stand Höcke zum zweiten Mal wegen der Verwendung einer verbotenen Nazi-Parole vor Gericht in Halle und wurde erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. In beiden Fällen ging er in Revision.

Stengele tritt für die Grünen als einer der beiden Spitzenkandidaten für die Landtagswahl an. Höcke ist Spitzenkandidat der AfD.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 5. August 2024 (ergänzt durch Material der dpa).