"Ein solcher Vorgang ist nicht nur institutionell alarmierend, sondern auch ein nicht hinnehmbarer Versuch politischer Einflussnahme auf die anwaltliche Selbstverwaltung", kommentiert DAV-Präsident Stefan von Raumer die Amtsenthebung des gesamten Vorstandes der Istanbuler Anwaltskammer.
Weitere "alarmierende Ereignisse" zeigten, wie Rechtsstaat, Anwaltschaft und Demokratie unter Druck gerieten: So sei der frei gewählte Bürgermeister Istanbuls, Ekrem İmamoğlu, abgesetzt und verhaftet worden. Im Anschluss an friedliche Proteste gegen diese Maßnahmen seien über 2.000 Menschen festgenommen worden – darunter zahlreiche Journalistinnen und Journalisten. Auch Mehmet Pehlivan, der Anwalt Imamoğlus, sei nun vorübergehend inhaftiert worden und sehe sich einem Strafverfahren ausgesetzt, verbunden mit einem Ausreiseverbot.
"Das ist ein eklatanter Angriff in die Rechte der Verteidigung", mahnt Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied des DAV-Ausschusses Strafrecht. "Verteidigung ist kein Verbrechen – sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil jeder rechtsstaatlichen Ordnung."
EU, UN und Europarat sollen helfen
Der DAV erklärt, er blicke mit zunehmender Sorge auf die Situation der Anwaltschaft in der Türkei. Rechtsstaatliche Prinzipien wie das Recht auf Verteidigung und die Unabhängigkeit der Anwaltschaft würden wiederholt unter Vorwänden ausgehebelt. Daher habe man gemeinsam mit zahlreichen weiteren internationalen Anwaltschafts- und Menschenrechtsorganisationen ein Statement unterzeichnet, welches um Unterstützung bittet.
Darin rufen die Organisationen die internationale Gemeinschaft zur Unterstützung auf: Erreicht werden sollen Verfahrenseinstellungen gegen die Führung der Istanbuler Anwaltskammer und die Freilassung aller Rechtsanwälte, die zu Unrecht wegen ihrer beruflichen Tätigkeit inhaftiert sind. Um die Unabhängigkeit der Anwaltschaft in der Türkei zu wahren, fordern die Unterzeichnenden, über Europarat, EU und Vereinte Nationen internationale Mechanismen in Gang zu setzen.
"Als Teil der internationalen Anwaltschaft verurteilt der DAV alle Versuche der türkischen Regierung, rechtsstaatliche Prinzipien zu beschädigen", betont von Raumer. "Die freie Ausübung des Anwaltsberufs ist durch internationale Konventionen geschützt, insbesondere durch die UN-Grundprinzipien über die Rolle der Rechtsanwälte und die Europäische Menschenrechtskonvention."