beck-aktuell*: Frau Dr. Haberl, was macht eine gute Rechtsanwältin oder einen guten Rechtsanwalt als Führungskraft in einer Kanzlei aus?
Haberl: Es kommt darauf an, dass er oder sie sich die Zeit für Führung nimmt. Das fehlt gerade extrem. Wenn überhaupt läuft Führung in Rechtsanwaltskanzleien neben dem Daily Business. Viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sehen sich gar nicht als Führungspersonen, sondern haben 100% ihrer Zeit mit Mandatsarbeit zu tun. Es ist aber wichtig, dass Zeit für Führungsaufgaben frei gemacht wird, ohne dass dies negative Konsequenzen hat. Aktuell stellt uns da unser Vergütungssystem der "billable hours" vor Probleme. Wenn auf einmal ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin sich 50% ihrer Zeit für Führungsaufgaben nimmt, muss auch dies kompensiert und vergütet werden.
Wir brauchen also eine strukturelle Veränderung und ein anderes Bild von der Anwältin oder dem Anwalt als Führungsperson. Außerdem finde ich persönlich: Jeder Rechtsanwalt und jede Rechtsanwältin, die führen, sollten eine Vorstellung davon haben, welche Art von Führungsperson sie sein möchten, welche Werte sie vertreten und welchen Führungsstil sie etablieren möchten. Eine gute Führungspersönlichkeit bildet sich weiter. Und zwar nicht nur fachlich, sondern auch in Kommunikation, Führungsstil und Konfliktlösung – allem, was es im Umgang mit Menschen braucht.
"Es braucht Offenheit, auch für neue Arbeitszeitmodelle"
beck-aktuell: Welche beruflichen Erfahrungen haben Sie dazu bewegt, sich dem Thema Leadership in Kanzleien zu widmen?
Haberl: Leider mehrere eher negative Erfahrungen. Sowohl während meines Referendariats als auch zu meiner Zeit als Verwaltungsrichterin habe ich kaum gute Beispiele für Personalführung erlebt. Es gab kein Feedback, was eigentlich zu einer guten Führungskultur dazu gehört. Später am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, wo ich Präsidialreferentin war, hat man die Auswirkungen eines Führungswechsels auf die Arbeitskultur innerhalb von Wochen gemerkt. Da ist mir klar geworden, wie sehr eine Person diese Kultur formen kann. Wenn eine Führungskraft keine entsprechenden Skills mitbringt, kann sie aber auch Schaden anrichten. Ich habe festgestellt: Es fehlt uns in der gesamten Rechtsbranche an einer gesunden und guten Führungskultur. Das Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, gute Führung zu etablieren, ist einfach noch nicht da.
beck-aktuell: Viele Kanzleien kämpfen aktuell verzweifelt um junge Fachkräfte, besonders um ReNos und ReFas. Womit können und müssen diese Arbeitgeber künftig überzeugen?
Haberl: Für die jüngeren Generationen ist es ganz wichtig, Sinn in ihrer Arbeit zu finden. Arbeiten um des bloßen Arbeitens Willen oder um Geld zu verdienen ist für viele nicht mehr "the way to go". Sie wollen Freude an der Arbeit haben, sich weiterentwickeln und Perspektiven haben. Da müssen Arbeitgeber einfach flexibler werden. Stichwort: New Work. Das umfasst ja ganz vieles, aber vor allem eben auch die Sinnhaftigkeit im Tun. Wenn ich als Rechtsanwältin oder als Rechtsanwalt in den ersten drei Jahren meines Berufslebens keinen einzigen Mandantenkontakt habe, nur eine Gutachtensmaschine bin und Schriftsätze für jemanden anderen schreibe, kann das demotivierend sein. Ebenso, wenn ich als auszubildende ReFa meine Ausbilderin nie zu Gesicht bekomme, weil die immer mit Mandatsarbeit beschäftigt ist.
Genauso wichtig sind Themen wie flexible Arbeitszeiten, Homeoffice oder mobiles Arbeiten. Ebenso das Thema Sabbaticals oder die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie eigenen Projekten in der Freizeit. Wenn ein Arbeitgeber kein Verständnis dafür zeigt, dann ist das natürlich schlecht. Es braucht hier Offenheit, auch für neue Arbeitszeitmodelle. Ein weiterer Punkt, mit dem Arbeitgeber überzeugen können, sind Benefits, die über die monetäre Kompensation hinausgehen, etwa Sport-Abos oder Coaching-Angebote für die persönliche oder berufliche Weiterentwicklung.
"Wir Juristen lieben doch Zertifikate"
beck-aktuell: Sie geben als Coach auch Seminare für Anwältinnen und Anwälte als Führungskräfte, die diese für das an einigen RAK kürzlich eingeführte Qualitätssiegel "Azubi-geprüft" nutzen können. Was ist der Grund für den Bedarf an Ihren Seminaren und dem Qualitätssiegel?
Haberl: Zum einen hat sich die Zahl der Berufseinsteiger unter den Rechtsanwaltsfachangestellten seit 2009 fast halbiert. Das ist schon eine krasse Entwicklung. Zum anderen ist das Zertifikat aus meiner Sicht eine gute Motivation für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, sich mit dem Thema Führung zu beschäftigen. Wir Juristinnen und Juristen lieben doch Zertifikate. Es soll ein Anreiz sein, um an den Themen Führung und Soft Skills zu arbeiten. Uns gehen die Leute schon seit Jahren aus und das hat nicht dazu geführt, dass sich viele zu diesen Themen weiterbilden. Mit dem Zertifikat können sich Kanzleien hervortun, weil sie etwas für den Nachwuchs tun - und das nicht nur fachlich. Ich finde es ganz wichtig, dass solche Anreize geschaffen werden, denn die juristische Ausbildung hat leider im Bereich Leadership-Kompetenz nichts zu bieten.
beck-aktuell: Wie könnte die juristische Ausbildung verändert werden, um angehende Juristinnen und Juristen künftig auch auf Ihre Aufgaben als Chefs vorzubereiten?
Haberl: Soft Skills sollten auf jeden Fall vermehrt Inhalt des Curriculums werden. Außerdem müssen Studierende darüber aufgeklärt werden, dass sie nach dem Ende der juristischen Ausbildung im Zweifel plötzlich Führungskräfte sind. Das ist, glaube ich, den wenigsten klar. Daher ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Konkret könnte man über Module in Grundlagen der Kommunikation, dem Umgang mit Konflikten oder Mediation nachdenken. Wenn wir ganz weit denken, kann man dafür auch einen Lehrstuhl einführen. Denkbar ist, dass hier Praktiker unterrichten: Coaches oder Führungskräfte im juristischen Bereich, die sich weitergebildet haben und die ihr Wissen an die Studierenden weitergeben wollen. Ich kann mir vorstellen, dass das gut angenommen wird.
"Aktuell sind wir zu einseitig aufgestellt"
beck-aktuell: Ist die Führungsebene in Rechtsanwaltskanzleien zu männerdominiert? Inwiefern wäre es ein Gewinn, wenn mehr Frauen Führungspositionen übernehmen würden?
Haberl: Ja, die Führungsebene in Rechtsanwaltskanzleien ist zu männerdominiert. Man sieht es an den Zahlen. Wir haben in den Toppositionen bei größeren Kanzleien 14% Frauen. Das ist wirklich ein krasser Abfall, wenn man sich überlegt, dass unter den Absolventen des zweiten Staatsexamens 63% Frauen sind. Ich denke, dass es ein großer Gewinn wäre, wenn Führung in Kanzleien weiblicher werden würde. Frauen bringen häufig andere Skills mit als Männer. Das liegt nicht am biologischen Geschlecht, sondern daran, dass wir unterschiedlich sozialisiert werden. Ich würde nicht sagen, dass Führung generell weiblich sein muss, aber einen Ausgleich zu schaffen, würde uns alle weiterbringen. Aktuell sind wir zu einseitig aufgestellt. Und ein Ausgleich zwischen den Geschlechtern auf Führungsebene würde dazu führen, dass wir mehr unterschiedliche Perspektiven haben, eine Vielseitigkeit an Skills und dadurch sicher auch erfolgreicher werden können.
beck-aktuell: Was sind Ihre Wünsche an die juristische Arbeitswelt beim Thema Führungskompetenzen und Soft Skills? Wie möchten Sie hier etwas verändern?
Haberl: Mein Herzenswunsch ist, dass die Führungskompetenzen und Soft Skills in der juristischen Arbeitswelt genauso wichtig werden wie die Fachfortbildungen. Ich weiß, da sind wir weit von entfernt. Ich glaube allerdings, das wird auch in Zeiten von KI immer wichtiger. Was unterscheidet uns denn von der KI? Unsere menschlichen Qualitäten. Wir müssen kein Rechtslexikon sein. Das kann die KI im Zweifel schneller und besser als wir.
Die menschlichen Qualitäten brauchen wir insbesondere im Umgang mit den Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden in der Rechtsbranche sind das Fundament des Rechtsstaats und es ist wichtig, dass diese gesund bleiben und gut arbeiten können. Genau dazu will ich meinen Beitrag leisten. Genau dafür stehe ich morgens auf, damit wir eine menschlichere und gesündere Rechtsbranche werden.
Dr. Franziska Haberl ist ehemalige Verwaltungsrichterin und heute Rechtsanwältin und zertifizierte Life Coach für Juristen. Sie gibt Workshops und Seminare zum Thema Leadership und Teamentwicklung für Kanzleien. Daneben ist sie unter anderem Co-Host des Podcasts "Robe und Revolte".
Die Fragen stellte Manuel Leidinger, Volljurist, freier Journalist und Mediator in Köln.