Scholz habe ihn gefragt, ob er bereit sei, sein bisheriges Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe darüber nachgedacht und Ja gesagt. Doch dabei bleibt es nicht: Wissing ist am Donnerstag zusätzlich zum Bundesminister der Justiz ernannt worden. Bundespräsident Steinmeier hat ihm in Schloss Bellevue bereits die Ernennungsurkunde ausgehändigt.
Vor seinem Eintritt in die Bundesregierung war Wissing Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages sowie stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz. Er hat Rechtswissenschaften studiert und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster promoviert. Danach war er zunächst als Richter und Staatsanwalt und später als Rechtsanwalt tätig.
Wissing folgt damit auf Marco Buschmann, der das Amt des Bundesjustizministers seit dem 8. Dezember 2021 innehatte und am Donnerstag auf sein Verlangen aus dem Amt entlassen wurde. Bei der Übergabe der Entlassungsurkunde würdigte der Bundespräsident Buschmanns erfolgreichen Einsatz für die Wahrung des freiheitlichen Rechtsstaats, die Fortentwicklung des Rechts und die Digitalisierung der Justiz.
Auch die anderen vakant gewordenen Posten sind bereits wieder besetzt: Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) übernimmt zusätzlich das Bildungsministerium von Bettina Stark-Watzinger. Der wirtschaftspolitische Berater von Scholz, Jörg Kukies, folgt FDP-Chef Christian Lindner als neuer Bundesfinanzminister.
"Möchte keine Belastung für meine Partei sein"
Wissing hatte zuletzt im Gegensatz zu vielen Parteifreunden für einen Verbleib der FDP in der Ampel-Koalition geworben. Der Verkehrsminister, der auch für Digitales zuständig ist, hatte sich Anfang November in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für einen Verbleib der Liberalen in der Koalition ausgesprochen. Am selben Tag war ein Lindner-Papier bekanntgeworden, in dem er eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik forderte – was den schon lange schwelenden Koalitionsstreit weiter anfeuerte.
Wissing will der Regierung nun als Parteiloser angehören, wie er weiter mitteilte. "Ich möchte keine Belastung für meine Partei sein." Daher habe er Lindner seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt. "Ich distanziere mich damit nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte nicht in eine andere Partei eintreten." Dies sei eine persönliche Entscheidung, die seiner Vorstellung von Verantwortung gerecht werde. "Ich möchte mir selbst treu bleiben."
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte am Vorabend noch angekündigt, alle Minister seiner Partei wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen. Die Ampel war am Mittwoch zerbrochen. Nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik kündigte Scholz an, Lindner aus dem Kabinett zu schmeißen. Die Wählerinnen und Wähler können sich nun voraussichtlich im März auf Neuwahlen einstellen.
Wissings Staatssekretärin und Staatssekretäre im Verkehrsministerium, Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker, erklärten dagegen, dass sie nicht Teil der Regierung bleiben wollen. Wie Kluckert auf der Plattform X mitteilte, baten die drei FDP-Politiker den Minister, ihre Entlassung beim Bundespräsidenten zu veranlassen. "Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing", schrieb Kluckert dazu auf X. Auch Luksic kritisierte Wissings Schritt. Der "Rheinischen Post" sagte er: "Verantwortung heißt für mich, sich nicht an ein Amt zu klammern, der Souverän muss jetzt schnell entscheiden."
Minister will Bahn-Sanierung vorantreiben
Wissing nannte als eine wichtige Aufgabe als Minister bis zu Neuwahlen die sogenannte Korridorsanierung bei der Bahn. Bis 2030 sollen besonders belastete Strecken grundlegend saniert werden – Mitte Juli hatte die Sanierung der ersten Strecke begonnen, die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Sie wird dafür bis Mitte Dezember komplett gesperrt. Ziel der Sanierungen ist es, dass die Bahn pünktlicher wird.
Der Minister hatte im September gesagt, er habe die Bahn zu seinem Amtsantritt 2021 in einem schwierigen Zustand vorgefunden, die Infrastruktur sei desolat gewesen. Der Bund habe der Bahn zusätzliche Milliarden zur Verfügung gestellt, gesetzliche Reformen zur Finanzierung des Schienennetzes umgesetzt. Es sei außerdem eine neue Infrastruktursparte gegründet worden.
In die Amtszeit Wissings fällt auch die Einführung des Deutschlandtickets im Nahverkehr. Das Ticket soll vom kommenden Jahr an 58 Euro pro Monat kosten und damit neun Euro mehr als bisher, wie die zuständigen Verkehrsminister der Länder entschieden hatten. Die Länder fordern vom Bund seit langem generell mehr Geld für den Nah- und Regionalverkehr.
Kritik von Union
Unions-Fraktionsvize Ulrich Lange sagte der dpa: "Wissing muss weg." Wissing habe bisher in seinem Bereich nichts auf die Beine gestellt, nur eine Bilanz des Scheiterns. "Die Bahn ist seit Jahren im Chaos, die Digitalisierung hängt, Automobilindustrie und Luftverkehr kehren Deutschland den Rücken. Es ist eine bodenlose Frechheit, dass Wissing in dieser Lage Minister bleiben will. Mal abgesehen von seinem Versagen als Verkehrsminister ist es auch ein charakterloser Loyalitätsbruch gegenüber seiner ihn tragenden FDP."
Es ist nicht das erste Mal, dass ein amtierender FDP-Minister seine Partei verlässt und Teil der Bundesregierung bleibt. 1956 spaltete sich die sogenannte Euler-Gruppe von der FDP im Streit um ihr Verhältnis zur gemeinsamen Regierung mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) ab. Die Gruppe, darunter die vier amtierenden Bundesminister der FDP, blieb im Gegensatz zum Rest der Partei Teil der Regierungskoalition und gründete daraufhin die Freie Volkspartei.