AfD-Verbotsverfahren: Zu groß, um sie zu verbieten?
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Der Vorstoß aus der Mitte des Deutschen Bundestags für einen AfD-Verbotsantrag ist rechtlich voraussetzungsvoll und politisch umstritten. Doch wenn es nicht funktioniert, die Partei inhaltlich "zu stellen", verdient die Initiative eine ernsthafte Debatte, meint Klaus Ferdinand Gärditz.

Kürzlich wurde – beharrlich vorangetrieben durch den sächsischen Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz – der Entwurf eines fraktionsübergreifenden Gruppenantrags im Deutschen Bundestag in Umlauf gebracht. Der Vorstoß zielt darauf ab, über einen Antrag des Bundestags beim BVerfG zu diskutieren, der auf ein Verbot der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) gerichtet ist. Damit verbindet sich ein anspruchsvolles Anliegen, das eine sorgfältige parlamentarische Debatte ohne Scheuklappen verdient.

Der Antrag auf eine Entscheidung des BVerfG kann nach § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden. Einen Verbotsantrag müsste der Deutsche Bundestag mit einfacher Mehrheit (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG) beschließen. Noch ist es eine Minderheit, die den Entwurf unterstützt. Ob sich eine Mehrheit hinter dem Vorhaben versammeln sollte, hängt auch von den Chancen und Risiken ab.

Der Deutsche Bundestag als Einzelkämpfer?

Die Bundesregierung und – über die Landesregierungen – der Bundesrat hätten zur Begründung eines Verbotsantrags, der die hohe Hürde eines Vorprüfungsverfahrens nach § 45 BVerfGG nehmen muss, Zugriff auf die bei den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder im Verbund nach §§ 56 BVerfSchG gesammelten Informationen. Die Bundesregierung könnte also, um die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei darzulegen, auf einen professionellen Exekutivapparat zugreifen, der mit verschiedenen Eingriffsbefugnissen zur Datenerhebung ausgestattet ist und zudem als Daueraufgabe systematisch Informationen gesammelt hat, die spezifisch verfassungsfeindliche Bestrebungen betreffen. Der Deutsche Bundestag verfügt hingegen weder über sicherheitsbehördliche Befugnisse noch Infrastrukturen, um die Voraussetzungen eines Parteiverbots selbst zu klären.

Genügen offene Quellen zur Begründung eines Verbotsantrags nicht, ist die Bundestagsverwaltung auf Unterstützung durch die Exekutive angewiesen, die Informationen im Rahmen der – ihrerseits nicht leicht zu handhabenden – Bestimmungen der §§ 19 ff. BVerfSchG übermitteln muss. Der Deutsche Bundestag würde einen Verbotsantrag zwar aus eigener Verantwortung stellen. Macht er dies im Alleingang ohne die anderen Antragsberechtigten, ist die Bundesregierung aber grundsätzlich kraft Verfassungsorgantreue verpflichtet, den Deutschen Bundestag bei der Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben zu unterstützen. Ggf. greift das Gebot der Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG, §§ 4ff. VwVfG) zugunsten der Präsidentin des Deutschen Bundestags, die als Behörde des Parlaments bei der Vorbereitung eines Verbotsantrags materielle Verwaltungsaufgaben nach § 1 Abs. 4 VwVfG erfüllt.

Demokratische Erfolge als Verbotshindernis?

In den politischen Debatten um Parteiverbote spielt immer wieder das Argument eine Rolle, dass man eine Partei nicht mehr verbieten könne, wenn sie sich erst einmal mit einem breiten Stimmenanteil etabliert habe und damit einen demokratischen Willen zum Ausdruck bringe, den man nicht ignorieren könne. Dies ist ernst zu nehmen, denn niemand kann der AfD absprechen, aufgrund eines demokratischen Wählerwillens in die Parlamente eingezogen und politisch erfolgreich geworden zu sein. Schon demokratietheoretisch können freilich Parteiverbote nur schwer vom realen Erfolg einer Partei abhängig gemacht werden. Entweder man argumentiert strikt relativistisch, behandelt jede politische Positionierung oder Ideologie im Ausgangspunkt als demokratisch gleichwertig und überlässt den praktischen Verfassungsschutz dem politischen Wettbewerb. Dann verbliebe konsequenterweise generell kein Raum für Parteiverbote, gleichgültig, wie erfolgreich eine Partei ist. Oder man schränkt den demokratischen Wettbewerb um politische Agenden zum Schutz elementarer Funktionsbedingungen ein, auf die eine freiheitliche Demokratie, die zudem zugleich Rechtsstaat ist, unverzichtbar angewiesen bleibt. Parteiverbote sollen dann die staatlichen Institutionen ausüben, die Parlamente gegen verfassungsfeindliche Übernahmen abschirmen, die die grundlegenden Spielregeln einer auf Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gründenden politischen Ordnung gezielt aushebeln wollen. Das positive Verfassungsrecht ist aus historischer Vulnerabilitätserfahrung mit Art. 21 Abs. 2 und 3 GG letzteren Weg gegangen. Dann ist präventiver Verfassungsschutz durch ein Parteiverbotsverfahren umso plausibler, umso konkreter die Gefahr einer Herrschaftsteilhabe durch Verfassungsfeinde ist.

Ganz in diesem Sinne hat das BVerfG in seiner Entscheidung über den NPD-Verbotsantrag mit der ungeschrieben Verbotsvoraussetzung der Potentialität zumindest die konkrete Möglichkeit verlangt, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei praktisch erfolgreich sein kann (BVerfGE 144, 20, 224 ff.). Konsequenterweise erleichtern dann gerade Wahlerfolge, die konkrete Machtperspektiven jedenfalls in greifbare Nähe rücken, den Nachweis der Potentialität erheblich. Hat eine Partei erst einmal Regierungsbeteiligung oder zumindest Blockadeoptionen erlangt, um als permanente Vetospielerin die Mehrheiten vor sich herzutreiben und das Funktionieren demokratisch-rechtsstaatlicher Institutionen zu behindern, kann es zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein, sie zu verbieten, wenn ihr Verfassungsfeindlichkeit nachgewiesen werden kann. Dass der damit einhergehende Entzug politischer Macht einen demokratischen Wahlerfolg konterkariert, nimmt die Verfassung hin. Demokratische Mehrheiten haben unter dem Grundgesetz nie absolute, sondern immer nur rechtsstaatlich gebundene Macht. Nach Art. 21 Abs. 2 GG ist es verfassungsrechtlich illegitim, auch demokratisch einwandfrei erlangte Macht zu missbrauchen, um diese planmäßig gegen Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaat einzusetzen. Ein Verbot aktualisiert dies nur durch Illegalisierung.

Teile der Bevölkerung wollen extremistische Politik

Das geltende Recht belässt ein Verbotsverfahren im politischen Ermessen der Antragsberechtigten. Dass ein Parteiverbotsantrag rechtlich vertretbar wäre, bedeutet natürlich nicht, dass er auch politischer Klugheit entspricht. Es ist allerdings nicht mehr als eine Binsenweisheit, dass Extremismus nicht mit Verboten, sondern mit politischen Argumenten zu bekämpfen sei. Wer auf dem Marktplatz Wahlkampf betreiben muss, befürchtet nachvollziehbar, dass ein Verbotsverfahren politisch der AfD zusätzlichen Aufwind verschaffen könnte. Freilich haben sich sämtliche Parteien, die in deutschen Parlamenten vertreten sind, bei der Bekämpfung des politischen Extremismus mit der bloßen Macht des Wortes bislang als hilflos bis unfähig erwiesen. Die innere Radikalisierung der AfD hat – entgegen vielfacher Prognosen – die äußeren Erfolge verfassungsfeindlicher Systemopposition gerade erst beschleunigt. Die Politik muss sich der Realität stellen, dass Teile der Bevölkerung extremistische Einstellungen pflegen, extremistische Politik wollen und genau das wählen, was sie wollen. Es ist nicht damit zu rechnen, diese Menschen kurzfristig für die liberale Demokratie zurückzugewinnen. Auch darauf braucht man Antworten. Im Elfenbeinturm der Proseminarrhetorik des besseren Arguments wird man sie kaum finden.

Ein Parteiverbotsverfahren könnte daher zwei andere Funktionen erfüllen, die zumindest in politische Abwägungen einzubeziehen sind. Ein anhängiges Verbotsverfahren könnte erstens dazu führen, dass sich die AfD disziplinieren und extremistische Positionen im Innern zurückdrängen muss, um politische Erfolge nicht zu verspielen, an denen stets auch persönliche Lebengrundlagen an den Fleischtöpfen der Macht hängen. Ein Verbotsverfahren dient nicht dazu, politische Konkurrenz zu beseitigen, und erst recht keinem begrifflich diffusen "Kampf gegen rechts". Dem materiellen Schutz der Güter des Art. 21 Abs. 2 GG ist schon dann Genüge getan, wenn eine politische Partei verfassungsfeindliche Teile ihrer Programmatik aufgeben und den bestimmenden Einfluss innerparteilicher Extremisten beschneiden muss. Wenn ein Parteiverbotsantrag dies katalysiert, wäre schon viel gewonnen. Eine Vermeidungsstrategie mag widerwillig und taktisch sein. Eine bestimmte innere Haltung kann ein demokratischer Rechtsstaat aber ohnehin niemandem abverlangen.

Zweitens dient ein Parteiverbot dem Schutz derjenigen Menschen, deren elementarer Anspruch auf gleiche Freiheit und demokratische Teilhabe durch eine Umsetzung extremistischer Programmatik konkret bedroht würde. Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die Fluchtpunkt von Rechtsstaat wie von Demokratie bleibt, schützt jeden einzelnen Menschen – auch vor den Unbilden politischer Wahlen. Die besonderen Erfolge gerade derjenigen Landesverbände der AfD, die ihre extremistische Agenda offen zur Schau stellen, sollten eine Warnung sein. Wenn es kein Patentrezept gibt, wie man mit extremistischen Angriffen umgehen soll, gehören alle Optionen auf den Tisch.

Der Autor Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz ist Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Redaktion beck-aktuell, Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, 9. Oktober 2024.