Ab­trei­bun­gen le­ga­li­sie­ren: Ver­bän­de legen Ge­setz­ent­wurf vor
© ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar

26 Ver­bän­de haben am Don­ners­tag einen ei­ge­nen Ge­setz­ent­wurf vor­ge­stellt, der Schwan­ger­schafts­ab­brü­che au­ßer­halb des StGB re­geln soll. 22 Wo­chen soll die Ab­trei­bung da­nach recht­mä­ßig sein. Auch Be­ra­tungs­pflich­ten sol­len ent­fal­len.

"Ge­setz­ent­wür­fe wer­den üb­li­cher­wei­se von Mi­nis­te­ri­en oder Par­la­men­ta­ri­er*innen vor­ge­stellt. Heute ist das an­ders", sagte Ste­pha­nie Schlitt, stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des Bun­des­ver­bands pro fa­mi­lia, bei einer Pres­se­kon­fe­renz am Don­ners­tag. Knapp 100 Pres­se­ver­tre­te­rin­nen und -ver­tre­tern prä­sen­tier­te sie ein Pa­pier, das die Re­geln zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch li­be­ra­li­sie­ren soll.

Der Ent­wurf, der sich wie ein Ge­setz­ent­wurf aus der Feder eines Mi­nis­te­ri­ums liest, ent­stand in Zu­sam­men­ar­beit von 26 Ver­bän­den. Neben Pro fa­mi­lia haben sich u.a. auch der Deut­sche Ju­ris­tin­nen­bund, Am­nes­ty In­ter­na­tio­nal Deutsch­land und ver.​di sowie wei­te­re me­di­zi­ni­sche, re­li­giö­se und Frau­en­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen daran be­tei­ligt.

Na­tür­lich haben Ver­bän­de kein In­itia­tiv­recht, wenn es um Bun­des­ge­set­ze geht. Man sehe den Ent­wurf eher als Im­puls, so Schlitt. Er solle zei­gen, dass Schwan­ger­schafts­ab­brü­che durch­aus auch au­ßer­halb des StGB ko­hä­rent und aus­ge­wo­gen ge­re­gelt wer­den könn­ten. Die Ak­ti­on sei mit einem kla­ren Ap­pell an den Ge­setz­ge­ber ver­bun­den. Schlitt: "Wir for­dern den Bun­des­kanz­ler und die Bun­des­mi­nis­ter*innen dazu auf, den Schwan­ger­schafts­ab­bruch noch in die­ser Le­gis­la­tur­pe­ri­ode neu zu re­geln."

Ab­trei­bun­gen bis zur 22. Woche recht­mä­ßig

Mit dem Ge­setz­ent­wurf habe man sich an den Emp­feh­lun­gen in­ter­na­tio­na­ler Men­schen­rechts­gre­mi­en sowie den Leit­li­ni­en der WHO zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch ori­en­tiert, so die Ver­bands-Ver­tre­te­rin. Die vor­ge­schla­ge­nen Re­ge­lun­gen seien au­ßer­dem am Ab­wä­gungs­mo­dell des BVerfG aus­ge­rich­tet.

Laut Ent­wurf soll der Schwan­ger­schafts­ab­bruch weit­ge­hend au­ßer­halb des StGB ge­re­gelt wer­den. Statt­des­sen setzt man auf Än­de­run­gen im Schwan­ger­schafts­kon­flikt­ge­setz. Ein neuer § 12 nor­miert ein "Recht auf Schwan­ger­schafts­ab­bruch". Da­nach ist die Ab­trei­bung mit Ein­wil­li­gung der Schwan­ge­ren bis zur 22. Schwan­ger­schafts­wo­che recht­mä­ßig. Ärz­tin­nen und Ärzte sol­len laut Ent­wurf aber wei­ter­hin die Mög­lich­keit haben, sich per­sön­lich gegen die Durch­füh­rung eines Ab­bruchs zu ent­schei­den.

Ab der 23. Woche solle der Schwan­ger­schafts­ab­bruch dann grund­sätz­lich recht­wid­rig sein, in me­di­zi­ni­schen Aus­nah­me­si­tua­tio­nen al­ler­dings zu­läs­sig – so wie es auch der ak­tu­el­len Rechts­la­ge ent­sprä­che, er­klä­ren die In­itia­to­rin­nen bei der Pres­se­kon­fe­renz. Al­ler­dings solle auch eine späte Ab­trei­bung nicht im StGB ge­re­gelt sein. Für Ärz­tin­nen und Ärzte be­stün­den hier be­rufs­recht­li­che Re­ge­lun­gen. Eine Schwan­ge­re, die eine späte Ab­rei­bung vor­neh­men ließe, solle nicht straf­recht­lich ver­folgt wer­den.

Rechts­an­spruch statt Be­ra­tungs­pflicht

Ein wei­te­rer Kern­punkt des vor­ge­stell­ten Ent­wurfs be­trifft die Be­ra­tungs- und War­te­pflich­ten, die einer Frau im Schwan­ger­schafts­kon­flikt nach der ak­tu­el­len Rechts­la­ge auf­er­legt wer­den. Sie sol­len nach dem Vor­schlag der Ver­bän­de ent­fal­len und durch einen Rechts­an­spruch auf me­di­zi­ni­sche und psy­chi­sche Be­ra­tung er­setzt wer­den. Ärz­tin­nen und Ärzte sol­len ver­pflich­tet wer­den, auf die Be­ra­tungs­an­ge­bo­te hin­zu­wei­sen, man wolle neue me­di­zi­ni­sche Stan­dards eta­blie­ren. Das be­stehen­de Sys­tem der Be­ra­tungs­an­ge­bo­te wolle man dabei nicht ver­än­dern, hieß es bei der Pres­se­kon­fe­renz. Es sei gut und habe sich be­währt.

Die Or­ga­ni­sa­tio­nen sahen al­ler­dings einen Wi­der­spruch in der ak­tu­el­len Be­ra­tungs­lö­sung: "Die ver­pflich­ten­den Be­ra­tungs­ge­sprä­che wer­den als er­geb­nis­of­fen be­zeich­net, sol­len aber dem Schutz des un­ge­bo­re­nen Le­bens die­nen und die schwan­ge­re Per­son zur Fort­set­zung der Schwan­ger­schaft er­mu­ti­gen", sagte Prof. Dr. Maria Wer­sig von der Hoch­schu­le Han­no­ver, die fe­der­füh­rend an dem Ent­wurf mit­ge­schrie­ben hat, in einem State­ment. Durch einen Rechts­an­spruch auf Be­ra­tung wolle der Ge­setz­ent­wurf die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dung der Schwan­ge­ren in den Mit­tel­punkt rü­cken.

Kran­ken­kas­se soll be­zah­len

Der Ent­wurf sieht zudem vor, dass die ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­sen re­gel­mä­ßig für die Kos­ten des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs auf­kom­men sol­len. Das er­reicht der Vor­schlag durch eine Än­de­rung im § 24b SGB V. Auch solle das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz an­ge­passt wer­den, um Lü­cken bei der Kos­ten­über­nah­me zu schlie­ßen. In der Pres­se­mit­tei­lung der Ver­bän­de heißt es dazu, mit dem Ent­wurf wür­den bis­lang be­stehen­de Zu­gangs­bar­rie­ren zum si­che­ren Schwan­ger­schafts­ab­bruch in Form von Be­ra­tungs­pflicht, War­te­frist und feh­len­der Kos­ten­über­nah­me ent­fal­len. 

§ 218 StGB soll nicht ent­fal­len

Ganz soll der Schwan­ger­schafts­ab­bruch al­ler­dings nicht aus dem StGB ge­tilgt wer­den. Zwar ent­fal­len nach dem Vor­schlag die §§ 218a bis 219b StGB, der § 218 wird da­ge­gen neu ge­fasst und be­straft den Schwan­ger­schafts­ab­bruch gegen oder ohne den Wil­len der Schwan­ge­ren. "Zum Schutz Schwan­ge­rer wer­den im Straf­recht neben der Nö­ti­gung zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch der Schwan­ger­schafts­ab­bruch gegen oder ohne ihren Wil­len und die Nö­ti­gung zum Un­ter­las­sen eines Schwan­ger­schafts­ab­bruchs neu ge­re­gelt", heißt es in der Be­grün­dung zum Ent­wurf.

Nach Kom­mis­si­ons­be­richt: Ge­setz­ge­ber blieb un­tä­tig

Die Ak­ti­on der Ver­bän­de, einen ei­ge­nen Ge­setz­ent­wurf zu schrei­ben, mag un­ge­wöhn­lich sein, fand aber nicht im luft­lee­ren Raum statt. Fe­der­füh­rend ver­ant­wort­lich für das Pa­pier sind drei Pro­fes­so­rin­nen, die be­reits frü­her an einer Lö­sung zur Li­be­ra­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs ge­forscht haben.

Prof. Dr. Liane Wör­ner von der Uni­ver­si­tät Kon­stanz sowie Prof. Dr. Maria Wer­sig und Prof. Dr. Frie­de­ri­ke Wap­ler von der Uni­ver­si­tät Mainz waren Teil der Kom­mis­si­on zur re­pro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung und Fort­pflan­zungs­me­di­zin, die vom Fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­um ein­ge­setzt wor­den war, um eine Re­gu­lie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs au­ßer­halb des StGB zu prü­fen.

Die Kom­mis­si­on hatte im April 2024 ihren Be­richt vor­ge­legt, in dem sie u.a. emp­foh­len hatte, Schwan­ger­schafts­ab­brü­che in der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft (bis zur 12. Woche) als recht­mä­ßig ein­zu­stu­fen. Das Mi­nis­te­ri­um hatte den Be­richt zwar ent­ge­gen­ge­nom­men und an­ge­kün­digt, die Er­geb­nis­se prü­fen zu wol­len. Eine Neu­re­ge­lung hat es bis­her aber noch nicht an­ge­sto­ßen.

Der Ent­wurf, den die Pro­fes­so­rin­nen nun ge­mein­sam mit den Ver­bän­den er­ar­bei­tet haben, knüp­fe an die Emp­feh­lun­gen der Kom­mis­si­on an. So sagte Wör­ner in der Pres­se­kon­fe­renz: "Der Ge­setz­ent­wurf denkt die Er­geb­nis­se der Kom­mis­si­on fort, be­rück­sich­tigt die in­ter­na­tio­na­len Vor­ga­ben und ist um­fas­send an den Be­dar­fen der Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten aus­ge­rich­tet."

Wie geht es wei­ter?

Dass der Ver­bands-Ent­wurf nicht dem­nächst im Ge­setz­blatt er­schei­nen wird, ist wohl auch den In­itia­to­rin­nen be­wusst. Eher liegt er ir­gend­wo zwi­schen ernst­haf­ter Ar­beits­grund­la­ge und pro­vo­kan­tem An­stoß in Rich­tung Ge­setz­ge­ber, end­lich tätig zu wer­den. "Wir ap­pel­lie­ren an die de­mo­kra­tisch ge­wähl­ten Ab­ge­ord­ne­ten, ihrer Ver­ant­wor­tung ge­recht zu wer­den", sagte Wer­sig in der Pres­se­kon­fe­renz. Ge­ra­de bei sol­chen ge­sell­schafts­po­li­tisch wich­ti­gen The­men sei das ihre Auf­ga­be. "Das wäre viel­leicht sogar eine Stern­stun­de der De­mo­kra­tie."

"Die­ser Ge­setz­ent­wurf zeigt auf, wie ein selbst­be­stimm­ter Schwan­ger­schafts­ab­bruch ver­fas­sungs­kon­form ent­kri­mi­na­li­siert wer­den kann", kom­men­tier­te auch djb-Prä­si­den­tin Ur­su­la Mat­thies­sen-Kreu­der. "Spä­tes­tens jetzt hat der Ge­setz­ge­ber keine Aus­re­de mehr, die Re­form wei­ter hin­aus­zu­zö­gern".

Die Ver­bän­de wol­len das Pa­pier nun den Mit­glie­dern des Bun­des­tags über­ge­ben, si­cher ist je­doch: Das Thema wird nur wei­ter­ge­hen, wenn die Bun­des­re­gie­rung oder ein­zel­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te die In­itia­ti­ve auf­grei­fen. Für Me­di­en­wirk­sam­keit haben sie je­den­falls ge­sorgt.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 17. Oktober 2024.

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