chb_rsw_logo_mit_welle_trans
Banner Jubiläumslogo

AfD-Gutachten: Fakten statt Emotionen in der Verbots-Debatte

Gastbeitrag von Prof. Dr. Markus Ogorek
Reicht das Ma­te­ri­al des Ver­fas­sungs­schut­zes, um die AfD ver­bie­ten zu las­sen? Die­ser Frage ist Mar­kus Ogo­rek in einer akri­bi­schen Ana­ly­se nach­ge­gan­gen. Hier schreibt er, was er damit be­zweckt hat.

"Solche Leute müsste man bestrafen", schrie der Anrufer in den Telefonhörer eines meiner Mitarbeiter. Im "Teletext" wollte der ältere Herr wenige Minuten vorher von einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung unter meiner Verantwortung gelesen haben. Das rund sechzigseitige Papier, über das zunächst der Spiegel berichtete und das umfassend auch auf beck-aktuell eingeordnet wurde, setzt sich damit auseinander, welchen Einfluss das Hochstufungs-Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auf ein mögliches AfD-Parteiverbot hätte.

Dem Anrufer gerät offenbar einiges durcheinander, denn die im Volltext zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichte Analyse will er bereits studiert haben. Sein vernichtendes Urteil: "alles erfunden". Auf der Plattform "X" ist währenddessen zu lesen, die universitäre Begutachtung klinge nach "Stasi", aber "wir schauen uns diesen Markus Ogorek mal an". Offen bleibt, ob es sich dabei um eine verkappte Drohung handelt oder der User doch eher jene Spur sucht, die viele andere in der lange zurückliegenden und ehrenamtlichen Vertrauensdozentur des Studienverantwortlichen für die Friedrich-Ebert-Stiftung vermeintlich identifiziert haben ("hängt am Geldhahn der SPD"). Natürlich finden sich auch Beiträge im Internet, die quasi sekunden- und inhaltsgleich verbreitet wurden von Nutzerkonten, die bereits auf den ersten Blick ausländisch gesteuert wirken.

Politische Agenda mit vordergründig juristischer Argumentation

All dies macht – ebenso wie viele skurrile E-Mails, etwa von einem "mündigen Bio-Deutschen" unterzeichnet – klar: Wer sich als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler methodengeleitet mit der Neuen Rechten befasst, kann durchaus in deren Visier geraten. Nun gehört es zum Wesen einer liberalen Demokratie, uninformierte, abwegige oder gar polemisierende Äußerungen zuzulassen. Als Autor dieser Zeilen und zugleich der hier erwähnten rechtswissenschaftlichen Untersuchung will ich die geschilderten Vorfälle daher nicht als Anlass für Larmoyanz verstanden wissen. Vielmehr war und ist es Anliegen meiner juristischen Untersuchung, in die aufgeheizte Debatte einzugreifen, um sie auf sachlichere Bahnen zu lenken.

Als im Frühjahr dieses Jahres die über 1.000 Seiten an die Öffentlichkeit gelangten, auf denen das BfV seine Hochstufungsentscheidung der AfD vom Verdachtsfall zur gesichert extremistischen Vereinigung begründete, war nicht nur in neurechten Medien, sondern auch aus dem Munde politischer Entscheidungsträgerinnen und -träger zu hören, die Ausarbeitung werde ein etwaiges Parteiverbotsverfahren sicher nicht tragen. Aus dem linken Lager hieß es hingegen, das BfV-Gutachten sei bereits Garant für einen erfolgreichen Gang nach Karlsruhe. Vielfach bemühten dabei beide Seiten juristische Argumente, die bei näherem Hinsehen nicht standhalten, aber den öffentlichen Diskurs spürbar verschieben.

Politisches Handeln zielt auf Einflussgewinn und größtmögliche gesellschaftliche Wirkung; die Rechtswissenschaft gründet demgegenüber auf Normgeltung, Systemkohärenz und methodischer Disziplin. Zwar kann Jura durchaus Politik in einem anderen Aggregatzustand sein und selbstverständlich hängt beides eng zusammen. Wenn Argumente beider Welten jedoch in einer fachlich nicht mehr nachvollziehbaren Weise miteinander verwoben werden, schadet dies fundierten demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen.

Rahmen und Grenzen eines Parteiverbotsverfahrens

Das Grundgesetz stellt die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens in das politische Ermessen der antragsberechtigten Verfassungsorgane. Zugleich weist es ihnen die Verantwortung zu, diese Entscheidung vorher sorgfältig zu prüfen. Dass hierbei Erkenntnisse des Verfassungsschutzes als Ausgangspunkt dienen, dessen Aufgabe gerade die Beobachtung von extremistischen Bestrebungen ist, liegt nahe. So gehen Verfassungsschutz und Verfassungsgericht im Ergebnis vom gleichen Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus, der die Menschenwürde sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip einschließt. Beide stellen eine Gesamtbetrachtung an, bei der es nicht auf einzelne Entgleisungen aus den Reihen der Partei ankommt, sondern auf ihre strukturelle Ausrichtung. Zudem würde sich das BVerfG auf dieselben Quellen stützen wie der Inlandsnachrichtendienst: Parteiprogrammatik, öffentliche Reden, Social-Media-Beiträge. Und schließlich liegen die maßgeblichen Kategorien eng beieinander. Denn die "verfassungsfeindliche Bestrebung", um die es im Gutachten des BfV geht, und die Kriterien für ein Parteiverbot – also das "Darauf Ausgehen" auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – sind funktional durchaus vergleichbar.

Im Rahmen unserer Analyse haben wir 829 Belege aus dem BfV-Gutachten systematisch überprüft, das sind fast alle darin aufgeführten Funde des Inlandsnachrichtendienstes. Knapp zwei Drittel davon erscheinen orientiert an der Judikatur des BVerfG – insbesondere aus dem zweiten NPD-Verbotsverfahren – tendenziell oder möglicherweise tauglich als Grundlage für ein Parteiverbot. Dies zeigt: Die Tatsachenbasis ist entgegen öffentlichen Verlautbarungen durchaus substanziell.

Primat der Politik fordert öffentliche Positionierung

Das BfV-Gutachten könnte somit zumindest einen Grundstock für jene Materialsammlung bieten, die in einem Verbotsverfahren gegen die AfD zusammenzustellen wäre. Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens der neurechten Partei gegen ihre Hochstufung abzuwarten, bevor man über den Gang nach Karlsruhe entscheidet. So könnte man eine Art Vorprüfung der vom Verfassungsschutz zusammengetragenen Belege erhalten, die zwar keine Gewähr, aber doch eine zusätzliche Absicherung böte.

Deutlich wurde in der Arbeit an unserer wissenschaftlichen Untersuchung indes auch, dass der Belegfundus noch erweitert werden müsste, etwa durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Zu einer ähnlichen Vorgehensweise hatte man sich bereits im Fall der NPD entschieden. In diesem Rahmen könnten neben den Erkenntnissen des Bundesamtes ebenfalls Unterlagen der Landesbehörden für Verfassungsschutz sowie sonstige Quellen berücksichtigt werden. Zugleich bestünde die Möglichkeit, der vermutlich noch strengeren Maßstabsanwendung der Karlsruher Richterinnen und Richter durch umfangreichere juristische Würdigungen angemessen Rechnung zu tragen.

Das alles legt nahe, bereits heute mit der Vorbereitung eines Verbotsantrags zu beginnen – und zwar ohne Präjudiz für eine spätere Einreichung oder Verwerfung des Entwurfs. Denn nur eine frühzeitig aufgebaute und tragfähige Tatsachenbasis, vorzugsweise in Form eines ausformulierten Antragstextes, erlaubt den Verantwortlichen zu gegebener Zeit eine fundierte Beurteilung der tatsächlichen Erfolgsaussichten. Dass eine solche Ausarbeitung erfahrungsgemäß geraume Zeit in Anspruch nimmt und zugleich ein Urteil des OVG Münster über die verfassungsschutzbehördliche Hochstufung in wenigen Jahren zu erwarten ist, sorgt für eine gewisse zeitliche Dringlichkeit. Hierauf hinzuweisen ist Aufgabe der Rechtswissenschaft – die politische Entscheidung über die Stellung eines Verbotsantrags zu ersetzen, steht ihr nicht zu.

Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley), Att. at Law (NY), ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Seit 2024 ist dort auch die Forschungsstelle Nachrichtendienste der Hochschule eingerichtet. Ogorek ist Autor einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung der Bedeutung des Gutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die Einstufung der "Alternative für Deutschland" als gesichert rechtsextremistisch für ein mögliches gegen die Partei gerichtetes Verbotsverfahren, die am 20. August 2025 veröffentlicht wurde.

Mehr zum Thema

Aus der Datenbank beck-online

Limburg, Den Rechtsstaat verteidigen – jetzt mehr denn je, ZRP 2025, 135

Heußner, Die AfD Thüringen auf dem Weg zu einem Parteiverbot?, NJOZ 2024, 993

BVerfG, Verbotsverfahren gegen die NPD, NJW 2017, 611

Anzeigen:

NvWZ Werbebanner
VerwaltungsR PLUS Werbebanner

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü