Professor Dr. Jens M. Schmittmann

MMR 2025, 583 Steuern begleiten Bürger von der Geburt bis zum Tod und Unternehmen von der Gründung bis zur Liquidation. Sie sind zur Einnahmeerzielung des Staates unabdingbar und lenken nicht selten auch Verhalten. Ob Steuern stets gleichmäßig und flächendeckend erhoben werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Finanzbehörden haben gem. § 85 S. 1 AO die Steuer nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie gem. § 85 S. 2 AO sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es der Information der Finanzverwaltung durch den Steuerpflichtigen. Das sog. Deklarationsprinzip verpflichtet die Steuerpflichtigen zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts gem. § 90 Abs. 1 S. 1 AO. Für Auslandssachverhalte gelten strengere Regelungen. Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb Deutschlands bezieht, haben die Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 S. 1 AO diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen.
Neben das Deklarationsprinzip tritt das sog. Verifikationsprinzip. Die Steuerbehörde ermittelt gem. § 88 S. 1 AO den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie gem. § 88 Abs. 1 S. 2 AO alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.
Ob Bürger ihren steuerlichen Pflichten nachkommen, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Es ist allgemein bekannt, dass die Bereitschaft, seinen steuerlichen Pflichten nachzukommen, beim Bürger höher ist, wenn er den Eindruck hat, dass gleiche steuerliche Sachverhalte auch gleichbehandelt werden. Es liegt daher nicht nur im Interesse des Steueraufkommens, sondern auch im Interesse der Steuerpflichtigen selbst, dass Steuern gleichmäßig erhoben werden.
Sachverhalte sind in den letzten Jahrzehnten internationaler geworden und die Ermittlungsbefugnisse der Finanzverwaltung enden regelmäßig an der Staatsgrenze. Es bestehen daher auf der Ebene der EU sowie bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten Regelungen, die zur Datenübermittlung verpflichten. Grundlage des Datenaustauschs innerhalb der EU ist die RL 2011/16/EU des Rates v. 15.1.2021 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung - DAC1-RL. Diese EU-Amtshilfe-RL wurde stetig weiterentwickelt. Zuletzt wurde in Deutschland die RL (EU) 2021/514 des Rates v. 22.3.2021 zur Änderung der RL 2011/EU - DAC7-RL durch das Gesetz über die Meldepflicht und den automatischen Austausch von Informationen meldender Plattformbetreiber in Steuersachen (Plattformen-Steuertransparenzgesetz - PStTG) v. 20.12.2022 umgesetzt.
Derzeit ist Deutschland verpflichtet, die RL (EU) 2023/2226 des Rates v. 17.10.2023 zur Änderung der RL 2011/16/EU des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung umzusetzen. Dazu liegt inzwischen der Referenten-Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der RL (EU) 2023/2226 vor, dessen Mittelpunkt das Kryptosteuer-Transparenz-Gesetz (KStTG-RefE) steht (vgl. dazu Schmittmann MMR-Aktuell 2025, 01346).
Die RL 2014/107/EU des Rates v. 9.12.2014 betrifft mehrseitige Vereinbarungen zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten und gilt zwischen EU-Mitgliedstaaten und ausgewählten Drittstaaten. Mit den USA wurde ein Abkommen zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen geschlossen. Die RL (EU) 2016/811 des Rates v. 25.5.2016 zur Änderung der RL 2011/16/EU - DAC4-RL gilt zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten und betrifft länderbezogene Berichte multinationaler Unternehmensgruppen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat die (frühere) Bundesregierung nach den Erfolgen der Datenübermittlungsverfahren im europäischen und internationalen Steuerrecht (BT-Drs. 20/14689) gefragt. Das Ergebnis der Antworten - dies sei an dieser Stelle bereits verraten - ist enttäuschend. Viele Fragen bleiben schon deshalb offen, weil die Bundesregierung in ihren Vorbemerkungen darauf hinweist, dass in den dem Austausch der Daten zu Grunde liegenden Rechtsgrundlagen Vertraulichkeitsvorschriften enthalten sind. Die Beachtung der Geheimhaltungsbestimmungen sei grundlegende Voraussetzung für die Bereitschaft der Staaten, an dem zwischenstaatlichen Informationsaustausch teilzunehmen. Respektierte die Bundesregierung die geltende Vertraulichkeitsregel nicht, indem sie dem Geheimhaltungsinteresse ihrer Partnerstaaten zuwiderhandelt, sei die Kooperationsbereitschaft dieser Partner und mutmaßlich aller teilnehmenden Staaten und Gebiete massiv beeinträchtigt.
Eine weitere Enttäuschung bei der Durchsicht der Antworten ergibt sich daraus, dass der Bundesregierung zu wenig Datenmaterial vorliegt. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nimmt zentral die Datensätze, die mit anderen Staaten ausgetauscht werden, entgegen und leitet sie an die für die betroffenen Steuerpflichtigen jeweils zuständigen Landesfinanzbehörden weiter. Statistische Dokumentationen darüber, in welchem konkreten Umfang die den Finanzbehörden zugeleiteten Datensätze aus dem zwischenstaatlichen steuerlichen Informationsaustausch dort ausgewertet werden, werden durch die Bundesregierung nicht geführt.
In der 20. Legislaturperiode wurden auf Grund des Common Reporting Standards (zum Austausch von Finanzkonteninformationen mit dem Ziel, grenzüberschreitende Sachverhalte aufzudecken und Steuerhinterziehung zu bekämpfen) von Deutschland 37.258.671 Datensätze übermittelt, während Deutschland 42.726.693 Datensätze erhalten hat.
Aufgrund von EARL (Austausch von Einkommensinformationen zu einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Person) hat Deutschland in der 20. Legislaturperiode 6.806.215 Datensätze übermittelt, wobei die Übermittlung nach Italien, Polen und Frankreich an der Spitze stand. Deutschland hat 4.756.035 Datensätze erhalten. Aufgrund von FATCA (Austausch von Kontoinformationen zwischen den USA und Deutschland) hat Deutschland 775.894 Datensätze übermittelt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich um einen jährlich stattfindenden Informationsaustausch handelt, der sich jeweils auf das dem Austausch vorangegangene Kalenderjahr oder einen anderen geeigneten Meldezeitraum bezieht.
Soweit es um den verpflichtenden automatischen Austausch von Informationen über grenzüberschreitende steuerliche Vorbescheide und Vorabverständigungen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen geht, hat Deutschland 192 Datensätze übermittelt und 1.475 Datensätze erhalten. Im Bereich des DAC6, dem Austausch angezeigter grenzüberschreitender Steuergestaltungen, hat Deutschland 19.814 Datensätze übermittelt und 1.275 Datensätze erhalten.
Aufgrund von DAC7, dem Austausch steuerlich erheblicher Informationen von Plattformnutzern, wurden von Deutschland 44.376 Datensätze übermittelt, die meisten nach Italien, Spanien und Frankreich. Erhalten hat Deutschland lediglich 448 Datensätze. Die Anzahl der Datensätze lasse nach Angaben der Bundesregierung keine direkten Rückschlüsse auf die Anzahl der Plattformbetreiber zu, da sowohl eine Einzelübermittlung von Datensätzen je Anbieter oder eine gebündelte Übermittlung möglich sei.
An verschiedenen Stellen der Antwort der Bundesregierung heißt es sinngemäß, dass wegen der Zuständigkeit der Bundesländer zum steuerlichen Effekt nicht Stellung genommen werden könne. Die erbetenen Angaben lägen der Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregierung gehe jedoch davon aus, dass neben den messbaren Vorteilen auch nicht messbare Vorteile, insbesondere die Förderung der Steuerehrlichkeit, durch den Austausch von Informationen über Einkünfte, die über digitale Plattformen erzielt wurden, eingetreten seien.
Diese Aussage der Bundesregierung ist einleuchtend. Wenn ein Steuerpflichtiger damit rechnen muss, dass die Unvollständigkeit seiner Erklärung schnell erkannt werden wird, liegt es nahe, dass er vor diesem Hintergrund vollständige Angaben macht. Soweit Sachverhalte betroffen sind, die bislang von der Finanzverwaltung noch nicht entdeckt sind, stellt sich zudem die Frage, ob eine Selbstanzeige noch zweckmäßig sein kann. Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird gem. § 371 Abs. 1 S. 1 AO wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht eintritt, wenn eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Wenn also dem BZSt Datensätze übermittelt wurden und diese der Finanzverwaltung des Bundeslandes, das für die Besteuerung zuständig ist, vorliegen, kann es durchaus naheliegen, davon auszugehen, dass die Tat bereits entdeckt ist. Wer eine Selbstanzeige einreichen will, sollte sich dazu schnellstmöglich Rechtsrat einholen. Das betrifft derzeit insbesondere Inhaber von Kryptowerten, Influencer und Darsteller bei OnlyFans.
Im Übrigen ist es verwunderlich, dass die Datengrundlage, die der Bundesregierung vorliegt, so spärlich ist. Es mag sein, dass die Bundesregierung keinen Durchgriff auf die Daten der Finanzverwaltung der Länder hat. Das ist in einem föderalen Bundesstaat gut und richtig. Allerdings sollte der Staat, wenn er Datenübermittlungspflichten einführt und übermittelte Daten auswertet, im Blick haben, ob und ggf. in welchem Umfang dies tatsächlich zur Verbesserung der Steuergerechtigkeit führt. Hier können die Abgeordneten der Landesparlamente helfen, indem sie - ähnlich wie das die Abgeordneten des Bundestags getan haben - die jeweiligen Landesregierungen und ihre Finanzminister und Finanzsenatoren fragen, welche konkreten steuerlichen Effekte sich aus den Datensätzen ergeben, die die Landesfinanzverwaltungen vom BZSt erhalten.
Wissen die Unternehmen, in welchem Umfang die Datenübermittlung auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und daher der Steuergerechtigkeit führt, so steigert dies die Motivation, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen.
Essen, im August 2025
Professor Dr. Jens M. Schmittmann lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Essen und ist Mitglied des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs sowie Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht sowie Steuerberater der Kanzlei PRO REO Law, Essen/München.