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Kommissionsbericht zur Rom II-VO: Rückkehr der Digitalthemen

Professor Dr. Tobias Lutzi ist Juniorprofessor für Privatrecht an der Universität Augsburg und Mitherausgeber der MMR.

MMR 2025, 241   Die 2009 in Kraft getretenen Verordnungen Rom I und Rom II, die das auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbare vertragliche bzw. außervertragliche Schuldrecht einheitlich in allen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) regeln, sind bewusst technologieoffen und verzichten auf digitalisierungsspezifische Regeln. Selbst die heiß diskutierte Frage einer Sonderanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die schon in den 2000er Jahren überwiegend durch digitale Medien begangen wurden, wurde schließlich durch eine Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO gelöst. Flankiert wurde diese Entscheidung durch die Aufnahme einer Überprüfungsklausel in Art. 30 Rom II-VO, nach der die Kommission bis zum 31.12.2008 eine Untersuchung zu den mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln für Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Absatz 2) und bis zum 20.8.2011 einen umfassenden Bericht zur Anwendung der Verordnung vorlegen sollte (Absatz 1 S. 1).

Während die Kommission die in Absatz 2 genannte Studie mit nur wenigen Monaten Verzögerung Anfang 2009 vorlegte, ließ sie sich mit der Erfüllung ihrer Pflicht aus Absatz 1 deutlich mehr Zeit. Erst am 31.1.2025 hat sie - mit über 13 Jahren Verzögerung, und unter Versechsfachung des Berichtszeitraums - nun endlich ihren Bericht vorgelegt (COM(2025) 20 final). Das mit 13 Seiten überraschend knappe Dokument stützt sich dabei neben der genannten Studie noch auf zwei weitere Studien aus den Jahren 2009 und 2011, zwei Informationserhebungen bei mitgliedstaatlichen Gerichten und Behörden aus den Jahren 2012 und 2023 sowie eine umfassende Studie des British Institute of International and Comparative Law aus dem Jahr 2021.

Insgesamt stellt der Bericht der Verordnung - zu Recht - ein positives Zeugnis aus: Sowohl der allgemeine Mechanismus in Art. 4 Rom II-VO als auch die besonderen Kollisionsnormen für Ansprüche aus Produkthaftung (Art. 5), Wettbewerbsdelikten (Art. 6), Umweltschädigungen (Art. 7), Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums (Art. 8) und Arbeitskampfmaßnahmen (Art. 9) bereiteten in der Praxis nur in Einzelfällen Schwierigkeiten und gewährleisteten iÜ die Anwendung eines vorhersehbaren und sachnahen Rechts. Probleme ergäben sich primär dort, wo die Regeln der Verordnung zur Anwendung mehrerer Rechte auf dasselbe Delikt führten, etwa bei Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums über das Internet. In der Tat führt das in Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO verankerte Schutzlandprinzip bei Rechtsverletzungen im Internet potenziell zur kumulativen Anwendung des Rechts jedes Abruforts, wobei sich die nationalen Rechtsordnungen etwa mit Blick auf erlaubte Nutzungen oder Schutzfristen erheblich unterscheiden, mitunter auch widersprechen können (näher Lutzi, Private International Law Online, OUP 2020, Rn. 4.79 ff.).

Mögliche Lösungen für dieses Problem diskutiert der Bericht in der Folge aber leider nicht. Stattdessen beschäftigt er sich vertieft mit vier anderen „ausgewählten Bereichen“.

# Dabei geht es zunächst um die Frage, ob die Bereichsausnahme für Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufgegeben werden sollte. Sie sollte ursprünglich der Sorge vieler (nicht zuletzt britischer) Medienhäuser Rechnung tragen, nach dem Recht eines Staates mit einem gegenüber dem eigenen Sitzstaat geringeren Niveau an Pressefreiheit (bzw. höherem Niveau an Persönlichkeitsrechtsschutz) auf Schadensersatz, Unterlassung oder Richtigstellung verklagt zu werden. In der Studie aus dem Jahr 2021 sprachen sich gleichwohl zwei Drittel der befragten Praktikerinnen und Praktiker für eine einheitliche Kollisionsregel aus - was nicht zuletzt daran liegen mag, dass die Anwendung nationaler Kollisionsregeln die Risiken für Presseorgane nicht zwingend senkt, die Unsicherheit aber erhöht.

Für eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts würde es genügen, Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO zu streichen. Die Kommission scheint aber auch die Aufnahme einer maßgeschneiderten Kollisionsregel in Betracht zu ziehen. In beiden Fällen wird sie für ihr weiteres Vorgehen die ebenso gefestigte wie ausdifferenzierte Rechtsprechung des EuGH (zuletzt NJW 2022, 765 mAnm Lutzi = MMR 2022, 112 mAnm Mantz) zu Art. 7 Abs. 2 EuGVVO berücksichtigen müssen. Danach liegt der Schadensort bei über das Internet begangenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowohl am Interessenmittelpunkt des Geschädigten als auch an jedem Abrufort, wobei die Kognitionsbefugnis der Gerichte in letzterem Fall auf den dort eingetretenen Schaden beschränkt ist (sog. Mosaikbetrachtung). Unterwürfe man Persönlichkeitsrechtsverletzungen nun der allgemeinen Kollisionsregel in Art. 4 Rom II-VO, so könnte es auf Grundlage der Mosaikbetrachtung zur parallelen Anwendung mehrerer Rechte auf dieselbe Publikation kommen. Dies dürfte die Kommission mit einer speziellen Kollisionsregel zu verhindern suchen, wobei als wahrscheinlichster Anknüpfungspunkt dann der vom EuGH (MMR 2012, 45 mAnm Weber - eDate Advertising) aus dem Hut gezauberte Interessenmittelpunkt des Geschädigten erschiene.

Eine solch klägerfreundliche Regel stünde freilich in einem Spannungsverhältnis zu den Bemühungen der EU, das Missbrauchspotenzial strategischer Klagen gegen Journalistinnen, Journalisten und Presseorgane einzudämmen, die sich mit der Anti-SLAPP-RL (RL (EU) 2024/1069) bisher aber nur im Verfahrensrecht niedergeschlagen haben. Zudem wäre ihr Verhältnis zu dem in Art. 3 Abs. 2 eCommerce-RL (RL 2000/31/EG) verankerten (im deutschen Recht nun in § 3 DDG umgesetzten) Herkunftslandprinzip zu klären, das die Anbieter digitaler Dienste auf materiell-rechtlicher Ebene gerade vor der Haftung nach einem strengeren Maßstab als dem des Rechts ihres Sitzstaates schützen soll.

# Als zweite Herausforderung für die Anwendung der Verordnung identifiziert der Bericht außervertragliche Schuldverhältnisse im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. Hier deutet er allerdings lediglich einige mögliche Problemstellungen an und verweist iÜ auf die noch ungewisse weitere technische und materiellrechtliche Entwicklung (einschließlich der kurz nach Veröffentlichung des Berichts auf Eis gelegten KI-Haftungs-RL).

# Konkreter wird der Bericht in einem dritten Bereich, der Haftung für unerlaubte Handlungen auf dem Finanzmarkt, einschließlich der Prospekthaftung. Hier besteht das Problem, den für Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO maßgeblichen Schadensort im Falle reiner Vermögensschäden zu lokalisieren. Auch dieses stellt sich in der Praxis bisher vor allem auf Ebene der internationalen Zuständigkeit, wobei die vom EuGH zu Art. 7 Abs. 2 EuGVVO entwickelte Rechtsprechung (zuletzt EuGH NZG 2021, 842 mAnm Gehann - Vereniging van Effectenbezitters) jedoch von vielen als zu kompliziert und einzelfallabhängig angesehen wird (so zB Mankowski, LMK 2021, 808834). Da sie zudem - unter bestimmten Voraussetzungen - eine Verortung des Schadens am Sitz des Geschädigten erlaubt, droht mit ihr erneut die kumulative Anwendung mehrerer Rechte. Der Kommissionsbericht lässt stattdessen eine Präferenz für die Anwendung des Rechts des betroffenen Finanzmarkts erkennen und sieht dafür zwei mögliche Wege: eine entsprechende Auslegung von Art. 4 Abs. 1, Abs. 3 Rom II-VO oder eine spezielle Kollisionsnorm für Finanzmarktdelikte (konkreter Vorschlag zB bei Engel, Internationales Kapitalmarktdeliktsrecht, 2019, S. 302 ff.). Allenfalls angedeutet wird die weitere Option, eine allgemeine Lösung für reine Vermögensschäden über Finanzmarktdelikte hinaus zu entwickeln.

# Als vierten Schwerpunkt identifiziert der Bericht schließlich außervertragliche Schuldverhältnisse mit mehreren Geschädigten. Auch hier könne es - etwa in Produkthaftungs-, Wettbewerbsrechts- und Verbraucherfällen - zur gleichzeitigen Anwendung mehrerer nationaler Rechte auf dasselbe Delikt kommen. Das Problem werde hier noch durch die Verbandsklage-RL (RL (EU) 2020/1828) verstärkt, die in solchen Fällen gerade die gesammelte Rechtsdurchsetzung befördern solle. Konkrete Lösungsvorschläge enthält der Bericht hierfür aber nicht.

In der Gesamtschau zeigt der Bericht einerseits, dass bei einer möglichen Reform der Rom II-VO keine tiefgreifenden Änderungen zu erwarten sind. Vielmehr wird die Kommission - ähnlich der EuGVVO-Reform von 2012 - Verbesserungen im Detail anstreben.

Dabei werden Digitalthemen eine wichtige Rolle spielen. Das betrifft zum einen die zu erwartende Aufnahme von Persönlichkeitsrechtsverletzungen in den Anwendungsbereich der Verordnung durch Streichung von Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO. Sie wird wohl von einer neuen Kollisionsregel flankiert werden, die dann insbesondere das Problem von über das Internet begangenen Streudelikten adressieren muss. Einen Digitalisierungsbezug weisen zum anderen aber auch die beiden weiteren im Bericht identifizierten Probleme - die Lokalisierung reiner Vermögensschäden und die Gefahr der kumulativen Anwendung mehrerer nationaler Rechte auf dasselbe Delikt - auf. In beiden Fällen scheint die Kommission eine Präzisierung der Verordnung durch neue Kollisionsregeln jedenfalls nicht auszuschließen, wobei angesichts der sich teilweise überlappenden Problemfelder noch nicht ausgemacht erscheint, ob es sich um Sonderanknüpfungen (zB für Urheberrechtsverletzungen im Internet oder Finanzmarktdelikte) oder Ergänzungen der Grundregel in Art. 4 Rom II-VO (zB mit Blick auf reine Vermögensschäden) handeln wird.

Zwar ist der Bericht insgesamt nicht nur überraschend kurz, sondern an vielen Stellen auch enttäuschend vage; dennoch ist die sich abzeichnende Schwerpunktsetzung der Kommission zu begrüßen. Gerade auf dem Digitalen Binnenmarkt bedarf es angesichts der jüngsten Flut sachrechtlicher Instrumente, deren privatrechtlicher Gehalt variiert (vgl. Steinrötter ZEuP 2025, 1 (3 f.)), die sich eigener kollisionsrechtlicher Regeln aber unter Verweis auf die Rom I- und Rom II-VO konsequent enthalten (näher Lutzi IPRax 2024, 262 (263 f.)), dringend sachgerechter Kollisionsnormen. Bei deren Gestaltung sollten auch die Wechselwirkungen mit dem bereits erwähnten Herkunftslandprinzip der eCommerce-RL beachtet werden, deren erhebliches Vereinfachungs- und Konzentrationspotenzial bisher auf materiell-rechtlicher Ebene verpufft. Eine vorsichtige Integration in die Rom II-VO wäre ein mutiger, aber angesichts der im Bericht identifizierten Herausforderungen keineswegs fernliegender Schritt.

Augsburg, im April 2025

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