Dr. Heiko Richter, LL.M. (Columbia), Dipl.-Kfm., ist Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München.
Friedrich Schoch, IFG Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2024, München (C.H.BECK), ISBN 978-3-406-76928-3, 179 EUR
MMR-Aktuell 2025, 02021 Kennen Sie eine Gesetzeskommentierung, die in Alleinautorenschaft verfasst ist und über 1.200 Seiten zählt? Der IFG-Kommentar von Friedrich Schoch, nun in der 3. Auflage erschienen, steht als Monument in der deutschen Kommentarliteratur. Die Kommentierung, die im Vergleich zur Vorauflage von 2016 um 230 Seiten angewachsen ist, meistert den schwierigen Drahtseilakt, sich ebenso für Praxis als auch für Wissenschaft unentbehrlich zu machen.
Seit der Vorauflage hat sich viel getan. Der Gesetzestext des IFG wurde zwar nur ganz geringfügig geändert, doch haben zahlreiche Gerichtsentscheidungen das Feld ausdifferenziert. Schon deswegen war allein die Einarbeitung der neueren Rechtsprechung eine stattliche Aufgabe. Allerdings ragte der Anspruch des IFG-Kommentars von Friedrich Schoch seit jeher über die Ambitionen eines herkömmlichen Gesetzeskommentars hinaus. Das ist meines Erachtens auf zwei Faktoren zurückzuführen.
Zum einen auf die gewählten Perspektiven: Der Kommentar ist ganzheitlich konzipiert und bietet alles zugleich: lehrbuchartige Einführung, historischen Entwicklungsbericht, empirischen Realbefund, rechtspolitische Abhandlung, ganzheitliche Systembildung, konzise Rechtsprechungsanalyse und dezidierte Kritik. Mustergültig vereint das Werk diese Perspektiven, und zwar mit einer natürlichen Stringenz, die in Kombination mit der wohltuend klaren Sprache zum Lesen, Lernen und Nachdenken einlädt.
Zum anderen ergibt sich die Ambition des Kommentars aus den Eigenschaften, die gerade so charakteristisch für das IFG stehen: Informationsrecht ist vergleichsweise abstrakt, und das IFG ist Schnittstellenrecht. Es verzahnt alle informationsbezogenen Regelungsregime und adressiert diese durch Anordnung von Vorrang, Nachrang oder Abwägung. Das große Ganze wird aber erst sichtbar, wenn man die Schnittstellen von beiden Seiten aus betrachtet. Genau dies macht Schoch konsequent, was unweigerlich dazu führt, dass er sich mit einer schier unüberblickbaren Vielzahl von Gesetzen auseinandersetzt, deren buchstäblichen „Eigengesetzmäßigkeiten“ und Weiterentwicklungen wiederum für die Kommentierung zu berücksichtigen sind. Das betrifft auch die informationsfreiheitsrechtliche Landesgesetzgebung – was sich hier alles seit 2016 getan hat, illustriert nicht nur die ausführliche Einleitung (samt abschließendem Befund zu den Gemeinsamkeiten und Divergenzen, Einl. Rn. 199 ff.), sondern wird auch durchweg in die Kommentierung an den entsprechenden Stellen eingeflochten. Hinzu kommen alle rechtspolitischen und informationstechnologischen Entwicklungen, die das Feld vorantreiben (so etwa nunmehr über die – im Augenblick doch mit einem großen Fragezeichen versehene – Perspektive zum Transparenzgesetz (Einl. Rn. 283 ff.) sowie über Open-Data-Initiativen (Einl. Rn. 306 ff.)). Außerdem ist der Einfluss des EU-Rechts in Bezug auf die vielfachen regimeübergreifenden Verschränkungen des IFG seit 2016 merklich gewachsen.
Verschränkungen bestehen ohnehin auch zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Gewissermaßen lässt Schoch sogar die dualistische Welt hinter sich, wenn er konzediert: „Das überkommene Trennungsdenken – Öffentliches Recht versus Zivilrecht – ist im Informationsrecht … ohnehin nur noch in begrenztem Maße erkenntnisfördernd.“ Und im Vergleich zur Vorauflage hat er diesen Teil gezielt um die weitreichenden Informationspflichten Privater ergänzt (Einl. Rn. 279 ff.). Genau diesen Aspekt möchte ich im Folgenden ausleuchten. Das geschieht in der Hoffnung verdeutlichen zu können, wie hoch der Erkenntnisgewinn des Kommentars auch für Personen in Praxis und Wissenschaft ist, die sich selbst eher dem Privatrecht zugehörig fühlen. Für die Schnittstellen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht sind die Kommentierungen zu den §§ 5 und 6 IFG zentral. Diese Regelungen adressieren nämlich das Verhältnis zwischen Informationszugang und dem Schutz personenbezogener Daten, dem Schutz des geistigen Eigentums und dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Abstrakter gesprochen betreffen diese Regelungen das zentrale Spannungsverhältnis des Informationsrechts (und auch des Datenrechts), nämlich: Zugang versus Kontrolle. Und so legt die Kommentierung der §§ 5 und 6 IFG dieses Spannungsverhältnis unter das Mikroskop. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass das Unionsrecht und die Rechtsprechung des EuGH diese horizontalen Schutzregime in jüngerer Zeit erheblich weiterentwickelt haben. Schon deswegen bestand ein grundlegender Bedarf, hier zu aktualisieren – oder, besser gesagt, zu rekonfigurieren:
So wurde erstens die Kommentierung zu § 5 IFG (Informationszugang zu personenbezogenen Daten) umfassend überarbeitet. Hier befand sich die Vorauflage noch auf dem Stand vor Erlass der DS-GVO. In den Vordergrund rücken nun die unionsrechtlichen Vorgaben, das Wechselspiel zwischen der DS-GVO und nationalen Informationszugangsregelungen und somit die Verschränkung mit dem Unionsrecht im Allgemeinen. Dahinter steht das rechtspolitisch doch so heikle Spannungsverhältnis zwischen dem freien Informationszugang einerseits und dem Bedürfnis nach Informationsrestriktion in Bezug auf personenbezogene Daten andererseits. Schoch zeichnet hier beides nach – die Kollision auf Prinzipienebene ebenso wie die anwendungsbezogene Frage, wie denn nun die Kollision im Einzelfall ganz konkret anhand welcher Kriterien aufgelöst wird. Das Ergebnis ist ein Referenzkapitel in Bezug auf die Kollision zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit im Allgemeinen. Entsprechend konsequent angepasst sind die Reformforderungen in Bezug auf die Regelung zum Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit des § 12 IFG.
Zweitens wurde die Kommentierung in Bezug auf § 6 S. 1 IFG – das Entgegenstehen des Schutzes des geistigen Eigentums – erheblich überarbeitet. Die prägenden Impulse sind hier im Wesentlichen in der Rechtsprechung des BGH, des BVerwG und des EuGH zu verorten. Schoch bekennt Farbe, indem er den Ausführungen zum Schutztatbestand eine augenfällige Vorbemerkung über die „Instrumentalisierung des Urheberrechts zur Verhinderung von Transparenz“ (§ 6 Rn. 21 f.) voranstellt. So lässt sich die Zweckentfremdung des Urheberrechts durch öffentliche Stellen immer wieder in der Praxis beobachten – dieses Thema wurde in jüngerer Zeit auch wissenschaftlich mehr und mehr aufgearbeitet. Außerdem kommen die neueren unionsrechtlichen Entwicklungen im Urheberrecht zum Tragen, so insbesondere die Debatte zum unionsrechtlichen Werkbegriff sowie zu den Schrankenregelungen, die nun ausdrücklich in § 6 Rn. 41 ff., 62 ff. in den Blick genommen werden. Die Kommentierung berücksichtigt diese nicht nur, sondern sie nimmt diese zum Anlass, gleichzeitig eine gebündelte Einführung in die Rechte des geistigen Eigentums im Lichte der Informationsfreiheit darzubieten.
Drittens wurde die Kommentierung zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in § 6 S. 2 IFG grundlegend überarbeitet. Noch nicht berücksichtigen konnte nämlich die Vorauflage das GeschGehG, das 2019 zur Umsetzung der „Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung“ erlassen wurde. Die Kommentierung setzt sich jedoch nunmehr ausgiebig mit der Frage auseinander, welcher Geheimnisbegriff durch § 6 S. 2 IFG rezipiert wird. Im Mittelpunkt stehen dabei das Verhältnis zwischen dem tradierten Begriffsverständnis zu „Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ des BVerfG und der unionsrechtlichen Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses sowie die Frage, wie sich das unterschiedliche Begriffsverständnis auf die Anwendung des § 6 S. 2 IFG auswirkt. Letztlich kann die Kommentierung als eine fundierte Einführung in den Geheimnisschutz gelesen werden, die zeigt, nach welchen Regeln die Spannung zwischen Geheimhaltungsinteresse einerseits und Zugangsinteresse andererseits aufgelöst werden kann (übrigens eine Frage, die im Datenrecht ganz zentral für die Architektur des Data Act wurde – doch steht hier noch völlig in den Sternen, wie die Kollisionen dann in der Praxis zu lösen sind).
Diese Passagen zeugen von der hohen rechtsgebietsübergreifenden Integrationskraft, die der Kommentierung innewohnt. Deswegen griffe die floskelhafte Schlussformel zu kurz, wonach der Schoch ein Muss für alle ist, die sich mit dem IFG befassen (das weiß man in Fachkreisen ohnehin schon längst). In ihm steckt viel mehr: Der IFG-Kommentar von Friedrich Schoch ist ein einzigartiger Ideenfundus für alle Personen, die sich mit dem Stand und der Zukunft der modernen informationsrechtlichen Ordnung in der Europäischen Union auseinandersetzen.