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Nach dem 5. MÄndStV - Wer ist zuständig im DSA-Jugendschutz?

Professor Dr. Marc Liesching ist Professor für Medienrecht und Medientheorie an der HTWK in Leipzig und Mitherausgeber der MMR.

MMR 2024, 1003   Am 1.10.2024 ist der Fünfte Medienänderungsstaatsvertrag in Kraft getreten. Er umfasst Änderungen sowohl des Medienstaatsvertrags (MStV) als auch des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV; 5. MÄndStV v. 27.2.2024 mWv 1.10.2024, für Bayern: Bek. v. 12.7.2024; GVBl. S. 326; s.a. Bay. LT-Drs. 19/752). Der Entwurf des 5. MÄndStV wurde - im Gegensatz zum Entwurf des 6. MÄndStV - nicht nach § 27 JMStV - bei der EU-Kommission notifiziert, obwohl die Neuregelung zT erhebliche Änderungen des Anwendungsbereichs des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags vorsieht (vgl. Art. 5 Abs. 1 UAbs. 3 RL (EU) 2015/1535).

Nach § 2 Abs. 2 JMStV neuer Fassung gilt der Staatsvertrag für sämtliche Vermittlungsdienste im Anwendungsbereich des DSA nicht mehr. Hintergrund der Regelung ist, dass die Landesgesetzgeber der Vollharmonisierung der Bestimmungen des Digital Services Act (DSA) Rechnung tragen mussten. Hierauf hatte die EU-Kommission iRe ausführlichen Stellungnahme v. 1.7.2024 (KOM C(2024) 4659 final, 11) nachdrücklich hingewiesen. In der Antwort hierauf hat Deutschland sogar weitere Anpassungen für den 6. MÄndStV avisiert, nach denen die Geltungsexklusion des § 2 Abs. 2 JMStV im Anwendungsbereich des DSA noch deutlicher zu fassen beabsichtigt ist.

Dass der JMStV für Vermittlungsdienste im Anwendungsbereich des DSA nicht (mehr) gilt und auch aus unionsrechtlichen Gründen nicht gelten darf, könnte Auswirkungen auf die Behördenzuständigkeit in Deutschland in Bezug auf die Überwachung und Durchsetzung des DSA haben. Die maßgebliche Vorschrift im Hinblick auf die Aufsichtszuständigkeit bei Jugendschutzmaßnahmen nach Art. 28 Abs. 1 DSA ist die bundesgesetzliche Norm des § 12 Abs. 2 S. 1 und 2 Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) (iVm Art. 49 Abs. 1 DSA). Sie benennt zwar ohnehin schon vor Inkrafttreten des 5. MÄndStV keine Landesstellen, sondern die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) als grundsätzlich zuständig für die Durchsetzung von strukturellen Vorsorgemaßnahmen der Online-Plattformen nach Art. 28 Abs. 1 DSA. Die Zuordnung ist aber in § 12 Abs. 2 S. 1 DDG mit einem Vorbehalt zugunsten der nach Landesrecht zuständigen Stellen versehen, soweit strukturelle Vorsorgemaßnahmen „nicht Maßnahmen nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag idF v. 14.12.2021 betreffen“. Für „diese Maßnahmen sowie für konkrete Einzelmaßnahmen nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ sind gem. Satz 2 des § 12 Abs. 2 DDG die nach den medienrechtlichen Bestimmungen der Länder benannten Stellen zuständige Behörden.Die schon iRd Sachverständigenanhörung im Gesetzgebungsverfahren als „überkomplex“ und den Grundsatz der Normklarheit strapazierend angesehene Vorschrift (vgl. Mast, BT-Ausschuss f. Digitales, Drs. 20(23)202, 25) dürfte die in Art. 49 Abs. 2 UAbs. 3 DSA ausdrücklich an die Mitgliedstaaten adressierte Pflicht zur „klaren Definition“ der Behördenaufgaben in der Tat als nicht zwingend erfüllt erscheinen lassen (s. zur Auslegung ausf. Liesching, BeckOK JuSchR, 3. Ed. 2024, DDG § 12 Rn. 6 ff.). Sie wirft nun im Lichte des 5. MÄndStV weitere Auslegungsfragen auf: Während § 12 Abs. 2 S. 1 und 2 DDG eine Länderzuständigkeit bei Art. 28 DSA nur für Maßnahmen „nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ regelt, normiert § 2 Abs. 2 JMStV, dass der referenzierte JMStV im Anwendungsbereich des DSA überhaupt nicht gilt. Diese regulative Contradictio der Geltungsexklusion in § 2 Abs. 2 JMStV schließt mithin seit dem 1.10.2024 eine Zuständigkeit der Landesmedienanstalten nach Art. 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 DSA iVm § 12 Abs. 2 S. 1 und 2 DDG eher aus.

Unerheblich dürfte die für strukturelle Vorsorgemaßnahmen in § 12 Abs. 2 S. 1 DDG normierte, bloße Starrverweisung auf den JMStV „in der Fassung vom 14. Dezember 2021“ sein, da sich diese nur auf die in dieser Fassung geregelten „Maßnahmen“ erstreckt, hingegen nicht auf die allgemein vorangestellten Geltungsbereichsregelungen, wie sie in § 2 JMStV getroffen sind. Maßgeblich ist darüber hinaus ohnehin eine unionsrechtliche Auslegung: Mit § 2 Abs. 2 JMStV nF sollte durch den Landesgesetzgeber erst die - auch durch die EU-Kommission im Rahmen ihrer ausführlichen Stellungnahme (KOM C(2024) 4659 final, 11) eingeforderte - Unionsrechtskonformität aufgrund der Harmonisierungswirkung des DSA hergestellt werden. Die Anwendung einer alten Fassung des JMStV, welche der unionsrechtlichen Harmonisierung durch Art. 28 Abs. 1 DSA gerade noch nicht Rechnung trägt, wäre unionsrechtswidrig.

Ungeachtet dessen ergaben sich aber schon vor Inkrafttreten des 5. MÄndStV Fragen, inwieweit der JMStV idF v. 14.12.2021 Aufsichtsmaßnahmen der Landesmedienanstalten gegen Online-Plattformen wegen DSA-Verstößen überhaupt ermöglichen kann. Denn die zentrale Maßnahmenermächtigungsnorm des § 20 Abs. 1 JMStV ist auf Verstöße „gegen Bestimmungen dieses Staatsvertrags“ beschränkt und umfasst mithin schon nicht materiell-rechtliche Bestimmungen des DSA wie insbesondere Art. 28 Abs. 1 DSA.

Mit Inkrafttreten des 5. MÄndStV gilt zwar auch eine landesgesetzliche Vorschrift zur formalen Benennung der Zuständigkeit der Landesmedienanstalten in § 111 Abs. 3 MStV. Nach dessen Satz 1 ist „zuständige Behörde nach § 12 Abs. 2 Satz 2 des Digitale-Dienste-Gesetzes ... die nach § 106 zuständige Landesmedienanstalt“. Allerdings bewendet es dabei, dass der referenzierte § 12 Abs. 2 S. 2 DDG sich abschließend auf Maßnahmen „nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ bezieht. Da der JMStV aber nach der mit dem 5. MÄndStV in Kraft getretenen Kollisionsnorm des § 2 Abs. 2 JMStV für alle Vermittlungsdienste im Anwendungsbereich des DSA nicht gilt, ergibt sich auch keine Zuständigkeit der Landesmedienanstalten für Maßnahmen nach Art. 28 Abs. 1 DSA.

Es erscheint kommunikationspolitisch nachvollziehbar, dass die Landesmedienanstalten auf die skizzierten Auslegungsfragen zur Zuständigkeit zunächst nicht eingehen, sondern ungeachtet der Geltungsexklusion des § 2 Abs. 2 JMStV auf der eigenen Webseite die eher gegen die neue Rechtslage gerichtete Auffassung vertreten, die Medienanstalten seien „nun offiziell für die Durchsetzung von Maßnahmen nach dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag im Kontext der neuen europäischen Regelungen zuständig“ (abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/pressemitteilungen/neue-regeln-im-netz-medienanstalten-sichern-grenzueberschreitende-aufsicht/).

Welche Rolle die Landesmedienanstalten neben der für VLOPs vorrangig zuständigen EU-Kommission und neben der in Deutschland im Grundsatz zuständigen BzKJ und ihrer KidD-Stelle (vgl. Terhörst MMR 2024, 525 f.) im Lichte der durch § 2 Abs. 2 JMStV entzogenen Handlungsmöglichkeiten indes noch spielen können, werden möglicherweise schon bald die Verwaltungsgerichte klären. Eine erste Gelegenheit einer Prüfung in der Judikatur könnten bereits anhängige Verfahren sowohl wegen Untersagungsanordnungen (§ 20 JMStV) als auch Sperrverfügungen (§ 109 Abs. 3 MStV iVm § 20 Abs. 4 JMStV) hinsichtlich in Zypern ansässiger Anbieter sein, die wohl als Online-Plattformen iSd Art. 28 Abs. 1 DSA iVm Art. 3 lit. i DSA zu qualifizieren sind. Vertritt man die vom BT-Ausschuss für Digitales (vgl. BT-Drs. 20/10755, 15) und auch von einem Vertreter der Landesmedienanstalten im Gesetzgebungsverfahren (vgl. Schmid, BT-Ausschuss f. Digitales, Drs. 20(23)208, 5) geäußerte Auffassung, dass auch reaktive Einzelaufsichtsmaßnahmen als Maßnahmen iSd Art. 28 Abs. 1 DSA anzusehen sind, stellt sich auch hier die skizzierte Frage der Zuständigkeit der Medienanstalten nach § 12 Abs. 2 S. 1 und 2 DDG im Kontext der neuen Kollisionsnorm des § 2 Abs. 2 JMStV.

Die praktische Bedeutung der Landesmedienanstalten (und der KJM) außerhalb des DSA ist durch den 5. MÄndStV freilich unbenommen. Zudem können sie sich - ebenso wie Selbstkontrolleinrichtungen und NGOs - weiterhin auch ohne gesetzliche Ermächtigung als „trusted flagger“ betätigen und einzelne, als rechtswidrig angesehene Inhalte an die Online-Plattformen melden oder auch informell der EU-Kommission von gefundenen Einzelinhalten berichten. Die Landesmedienanstalten haben nach eigenen Angaben immerhin ca. 2.000 Einzelinhalte seit Oktober 2023 gemeldet. Dem stehen freilich von vielen VLOPs pro Halbjahr zig millionenfach automatisiert gelöschte Inhalte gegenüber, sodass fraglich erscheint, ob aufgrund von wenigen behördlichen Einzelmeldungen gefundener rechtswidriger Inhalte schon Rückschlüsse auf Defizite bei den nach dem DSA eher relevanten systemtisch-strukturellen Maßnahmen gezogen werden können. Dennoch tragen die Meldungen der Landesmedienanstalten auch als ein Baustein zu einem funktionierenden Gesamtjugendschutz bei.

Ein möglicher DSA-Zuständigkeitsausschluss der Landesmedienanstalten aufgrund § 2 Abs. 2 JMStV nF führte nicht zu einem Defizit in der Gesamtstruktur des institutionellen Jugendmedienschutzes, sondern eher zu einer klareren Aufgabenabgrenzung, die auch dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz (effet utile; s.a. Art. 49 Abs. 2 UAbs. 3 DSA) Rechnung trägt. Die Landesmedienanstalten und die KJM blieben in den angestammten Aufsichtsfeldern für Rundfunk und Telemedien im System der regulierten Selbstregulierung mit den Selbstkontrolleinrichtungen zuständig und von maßgeblicher Bedeutung. Bei Online-Plattformen nach Art. 28 Abs. 1 DSA wäre die Verbesserung des Jugendschutzes insbesondere durch strukturelle Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich der Überwachung der EU-Kommission und in Deutschland zuvörderst der BzKJ überantwortet, wie es bereits seit 2021 mit dem 2. JuSchGÄndG und § 24a JuSchG bundesgesetzlich angelegt und praktiziert worden ist.

Ob sich eine solche - insbesondere aus Sicht der Normadressaten klare - Auslegung zur Zuständigkeitsabgrenzung auch in der Judikatur durchsetzen wird und welche praktische Bedeutung den Landesmedienanstalten im komplexen Regulierungskonvolut aus DSA, DDG, MStV und JMStV in der Jugendschutzaufsichtspraxis neben der primär zuständigen BzKJ künftig noch eingeräumt sein wird, bleibt freilich abzuwarten.

Leipzig, im Dezember 2024

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