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JuWissDay 2024 - Rechtsfragen virtueller Welten

Laurenz Döring/Nikitas L. Rischkowsky

MMR-Aktuell 2024, 02019   Am 27. und 28.9.2024 richtete der Verein Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht gemeinsam mit dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer eine Tagung zum Themenkomplex Metaversen aus. Junge Vertreter aus Wissenschaft und Praxis diskutierten das Verhältnis von Staat und Gesellschaft zum virtuellen Raum. Die Vorträge begutachteten neben Versuchen der Umsetzung auch die daraus resultierenden Chancen, Rechtsfragen und regulatorischen Aufgaben. Die Tagung wurde organisiert von Dr. Jonas Botta (Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer), Martin Feldhaus (Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer), Dr. Katharina Goldberg (Wiss. Mitarbeiterin, Professur für Öffentliches Recht, insbes. Öffentliches Wirtschafts- und Umweltrecht, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg), Dr. Sarah Hartmann (Senior Fellow, Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, Universität Münster), Carolin Kemper (Forschungsreferentin, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer), Luise Lautenbach (Rechtsanwältin, Noerr PartGmbB, Berlin) und Nik Roeingh (Forschungsreferent, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer).

1. Einführung und Zielsetzungen

Eröffnend reflektierten Dr. Sarah Hartmann und Dr. Jonas Botta die geringe Vorhersehbarkeit zukünftiger Rechtsfragen hinsichtlich Technik, KI und virtueller Räume. Diese resultiere aus der besonderen Geschwindigkeit und Vielseitigkeit ihrer Entwicklung. Auch Fehlprognosen seien jedoch schon immer beobachtbar gewesen, könnten sich aber diskurs- und damit fortschrittsfördernd auswirken. Europäische Pionierprojekte wie die E-Commerce-RL hätten zudem gezeigt, dass der Gesetzgeber mit Fortschrittstechnologien nicht zurückhaltend umzugehen habe. Aufgabe der Wissenschaft sei es, die fachliche Grundlage und Unterstützung für solche Vorhaben zu schaffen.

2. Einsatzmöglichkeiten virtueller Welten in der Justiz

Zu Beginn des wissenschaftlichen Programms stellte Prof. Dr. Simon Heetkamp (Professor für Wirtschaftsrecht, Mobilitäts- und Versicherungsrecht, Technische Hochschule Köln; Mitgründer „digitale richterschaft“) Einsatzmöglichkeiten einer „Virtual Reality in der Justizpraxis“ vor. Bereits mehrfach war Staatsanwaltschaften die Digitalisierung eines Tatorts gelungen, sodass sie durch einen Richter im Verfahren unter Beobachtung und Anweisung der Prozessbeteiligten virtuell begangen werden konnten. Dadurch gelinge die Begutachtung eines Tatorts in seinem Zustand unmittelbar nach der Tat, auch der Aufwand einer erneuten Aufsuchung und Sicherung bliebe erspart. Zudem könne das Sichtfeld von Zeugen und damit ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden. Mit Blick auf eine etwaige Suggestivwirkung sei jedoch ein kritischer Umgang mit solchen Mitteln schlechterdings geboten. Auch würde die Immersion in einer virtuellen Realität zu stärkerer Emotionalisierung führen. Zumindest gesteigerte Kosten für die Parteien seien aber nicht zu erwarten, da der Aufwand mit der Hinzuziehung von Sachverständigen vergleichbar sei. Ferner könnten zukünftig vollständig virtualisierte Verhandlungen etwa für Personen von eingeschränkter Mobilität inklusiver wirken. Richter wären jedoch derzeit durchaus noch überfordert. Insbesondere bei der Vermittlung von Wissen über den Hergang einer Verhandlung an Zeugen, Schöffen und Referendare sei eine Gerichtssimulation im virtuellen Raum ebenfalls nützlich. Dies verdeutliche Heetkamps aktuelles Projekt „virtual courtroom“.

3. Digitale Zwillinge natürlicher Personen zu Identifikations- und Forschungszwecken

Ihren Vortrag hielt Jaouhara Zouagui (Wiss. Mitarbeiterin, Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme, Berlin) zum Thema „Digitaler Zwilling im Metaverse – Eine rechtliche Untersuchung zum Authentifizierungsprozess“. Zouagui begann mit einer Erläuterung des Einsatzes digitaler Zwillinge (sog. Avatare), die unter Zuhilfenahme einer dahinterstehenden digitalen Identität im Rahmen digitaler Dienstleistungen und Güter Verwendung finden könnten. Zu diesem Zweck könne die geplante European Digital Identity Wallet (EUDI Wallet) genutzt werden. Auf der Grundlage der nationalen eID solle die EUDI Wallet unter Nutzung einer biometrischen Authentifikation eine im Vergleich zur PIN-Eingabe benutzerfreundlichere digitale Ausweisfunktion bieten. Im Mittelpunkt der rechtlichen Würdigung stehe hierbei die Frage, ob die Verwendung des Lichtbilds aus dem Personalausweisregister für die vorgenannte biometrische Authentifizierung der eID unter Einwilligung der nutzenden Personen mit geltendem Datenschutzrecht vereinbar sei. Den entsprechenden Prüfungsmaßstab etablierte Zouagui mit Blick auf die Recht-auf-Vergessen I und II-Rechtsprechung des BVerfG. Bekanntermaßen sei für die Bewertung relevant, ob sich im konkreten Fall aus den einschlägigen Normen eine Gestaltungsoffenheit ableiten lasse. Insoweit ein unionsrechtlich determinierter Bereich bestehe, beschränke sich dieser auf die Unionsgrundrechte und die DS-GVO. Der Abgleich der Daten des biometrischen Lichtbilds stelle zwar einen Eingriff in die Art. 7 und 8 GRCh dar. Eine Einwilligung könne jedoch nach Art. 8 Abs. 2 GRCh einen Eingriffsausschluss begründen. Soweit eine Einwilligung freiwillig, transparent und jederzeit widerrufbar erfolge, genüge sie den Anforderungen des Datenschutzes.

Es folgte Dr. David M. Schneeberger (Senior Researcher & Senior Consultant, Research Institute – Digital Human Rights Center, Wien), mit einem Beitrag über „Virtuelle Zwillinge und Diabetes: Rechtliche Aspekte des dAlbetes-Projektes“. Schneeberger stellte dAIbetes, eine Plattform für föderiertes Machine Learning vor. Mit dieser Unterform Künstlicher Intelligenz würden datenschutzwahrend virtuelle Zwillings-Modelle trainiert, um die Behandlung von Diabetes stärker personalisieren und dadurch verbessern zu können. Anstatt die Patient*innendaten „poolen“ zu müssen, würden lokale Modelle trainiert. Ferner sollten nur nicht-personenbezogene Parameter übertragen und zu einem globalen Modell aggregiert werden. Rechtlich dargestellt wurde die Interaktion zwischen einer sog. gemeinsamen Verantwortlichkeit (Joint Controllership) und dem Anwendungsbereich der DS-GVO. Diese entstehe bei einer gemeinsamen Festlegung der Zwecke und Mittel der Verarbeitung. Insoweit indiziere Eigeninteresse eine gemeinsame Verantwortung, auch wenn ein Partner nur organisatorische Tätigkeiten im Hintergrund erfülle. Hinsichtlich des dAIbetes-Projekts bestehe ob des föderierten Trainings eine gemeinsame Verantwortlichkeit. Dabei sei fraglich, ob der räumliche Anwendungsbereich der DS-GVO für alle gemeinsam Verantwortlichen einheitlich zu beurteilen sei. Dies hätte gravierende Implikationen für Partner in Drittländern. Nach Erläuterungen zur Medizinprodukte VO und ihrer Bedeutung für virtuelle Zwillinge endete Schneeberger mit einer bündigen Darstellung zur Cybersicherheit des föderierten Lernens.

4. Gesteigerte politische und gesellschaftliche Teilhabe durch Digitalisierung

Dr. Alexander Brade (Wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für öffentliches Recht, insb. Umwelt- und Planungsrecht, Universität Leipzig) folgte mit der Analyse „Die Digitalisierung der Bauleitplanung: Eine Verpasste Chance?“. Die digitale Öffentlichkeitsbeteiligung sei lediglich als Alternative zum bisherigen System vorgesehen (§ 3 Abs. 2 BauGB). Dadurch habe sich nur die gesetzliche Wertung geändert, ein Hybridmodell sei bereits zuvor vorhanden gewesen. Eine niedrigschwellige und organische Beteiligung sei damit nicht verbunden. Auch die digitale Behördenbeteiligung sei nur in einer Soll-Vorschrift geregelt (§ 4 Abs. 2 BauGB). Ungeklärt bliebe, welcher atypische Fall eine Abweichung davon rechtfertige. Das Verfahren sei insgesamt nicht vereinfacht worden. Behörden würden weiterhin auch analog arbeiten, sodass der Verfahrensaufwand ähnlich bliebe und keine Beschleunigung stattfände. Jedenfalls habe sich der Bundesgesetzgeber aber zur Beobachtung der Entwicklung und Evaluation des digitalisierten Baurechts verpflichtet (§§ 4a Abs. 6, 245f BauGB). Die landesrechtliche Lage, nach der sich Beschlussfassung und Bekanntmachung hauptsächlich richteten, sei dazu noch sehr heterogen. Als ein Mittel der Verbesserung beschrieb Brade eine einheitliche digitale Bauakte. So könnten Pläne, Auftragsunterlagen und Gutachten gebündelt zusammengestellt und rechtliche Hindernisse effizienter überprüft werden. Auch ließe sich daran anknüpfend ein Vorhaben oder Gebiet in einem interoperablen, dreidimensionalen Modell darstellen. Dadurch würden Alternativen und Umweltauswirkungen für die Verwaltung und Öffentlichkeit anschaulicher visualisiert. Private Planungsbüros und größere Gemeinden würden entsprechende Software bereits verwenden. Grund der schleppenden Digitalisierung im Recht seien hauptsächlich Unsicherheiten über die technischen wie rechtlichen Voraussetzungen und das geringe Maß organisierten Interesses in Verwaltung und Wissenschaft.

5. Speicherung von Personendaten im Spannungsverhältnis zwischen Gefahrenabwehr und Datenschutz

Nicolas Ziegler (Wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung, Technische Universität München) stellte „Das Verbot der Totalausforschung und seine digitale Zukunft“ dar. Der Rechtsprechung des BVerfG zufolge widerspreche eine Überwachung, die nach Umfang und Dauer die Bildung von Persönlichkeitsprofilen ermögliche, dem Wesensgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 2 Abs. 1 GG, sog. Totalüberwachungsverbot). Dem sollen jedenfalls auch umfassende KI-erzeugte Profile und digitale Zwillinge unterfallen. Eine Speicherung von Vorratsdaten selbst sei problematisch, soweit sie die Möglichkeit zur Profilerstellung, etwa durch KI, böte. Dies könne selbst ab der Sammlung einer bestimmten Menge von Verkehrsdaten der Fall sein. Gleiches gelte bei frequenter Nutzung des Mobiltelefons für sog. Online-Durchsuchungen, insbesondere das „Zusehen beim Denken“, der umfassenden Nachverfolgung in Echtzeit. Aufgrund seines Bezugs zu Art. 1 Abs. 1 GG sei das Totalüberwachungsverbot darüber hinaus nach Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber dem Europarecht integrationsfest. Auch dieses reagiere aber auf neue Risiken KI-gestützter Ausforschung, etwa durch das Verbot der Erstellung biometrischer Referenzdatenbanken durch ungezieltes Auslesen von Gesichtsbildern in sozialen Medien oder Kameraaufnahmen nach Art. 5 Abs. 1 lit. e KI-VO sowie der Echtzeit-Fernidentifizierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. h KI-VO. Insgesamt bliebe die Figur des Totalüberwachungsverbots trotz ihrer hohen Bedeutung konturarm, eine weitere gesetzliche oder dogmatische Präzisierung könne ihre Operationalisierbarkeit erhöhen.

Anschließend besprach Nitharshini Santhakumar (Wiss. Mitarbeiterin, Fachgebiet Öffentliches Recht, Technische Universität Darmstadt) die Entwicklung datenschutzrechtlicher Herausforderungen iRv „‚Legal Design‘ für HessenData (§ 25a HSOG) – ein ‚abgestuftes Kontrollkonzept‘“. Zur effizienteren und effektiveren Gewinnung neuer Erkenntnisse über organisierte Kriminalität und Terrorismus durch Verknüpfung vorhandener Daten hatte das Land Hessen eine entsprechende Software vom amerikanischen Provider Palantir erworben. Das BVerfG beanstandete jedoch 2023 die unzureichende Ausgestaltung des „Ob“ ihres Einsatzes sowie unzureichende Transparenz über die Funktionsweise und fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten und aufsichtliche Kontrolle iRd ursprünglichen Regelung. Diesem Mangel sei der Landesgesetzgeber mit einem abgestuften Kontrollkonzept, welches Informations- und Begründungspflichten der Behörden und die Kontrolle durch einen Datenschutzbeauftragten vorsehe, teilweise begegnet. Ein staatliches Monitoring der Software- und Datennutzung eines ausländischen privaten Akteurs fände jedoch weiterhin nicht statt. Zwar sei die Technikoffenheit des Landes positiv zu bewerten, erfreulich wäre es jedoch auch, wenn der Gesetzgeber nicht bloß punktuell auf Urteile reagieren würde.

6. Gewährleistung informationstechnischer und individueller Sicherheit im virtuellen Raum

Luise Lautenbach hielt einen Vortrag über ,,Digitale Zwillinge von KRITIS – Potenziale und Anforderungen zur Erhöhung der IT-Sicherheit“. Digitale Zwillinge seien virtuelle Abbildungen eines realen Systems und böten gerade im Bereich kritischer Infrastruktur systemische Resilienzvorteile. Nachteilig seien die durch die Spiegelungen drohenden Sicherheitslücken für Cyberangriffe. Lautenbach erläuterte ferner, ob digitale Zwillinge selbst KRITIS iSd § 2 Abs 10 BSIG sein könnten. Hierfür spreche insbesondere die Nutzung zur Steuerung und Überwachung. Überdies klärte Lautenbach, ob der Betreiber des Zwillings oder der Softwareprovider Betreiber iSd § 1 BSI-KritisV sei. Dies bemäße sich nach den Kriterien der Weisungsfreiheit, Eingriffsmöglichkeit, tatsächlicher Sachherrschaft und des Kostenrisikos. Es sei mithin auch eine gemeinsame Verantwortung möglich. Lautenbach endete mit einem Ausblick auf die NIS2-RL und die CER-RL.

Jun.-Prof. Dr. Jennifer Grafe (Juniorprofessorin für Kriminologie und Strafrecht, Universität Tübingen) präsentierte ihren Vortrag „Möglichkeiten und Grenzen des Strafrechts als Grundrechtsschutz im virtuellen Raum“. Virtueller Raum sei eine computergenerierte Simulation, die es ermögliche in eine vollständig immersive, digitale und interaktionsfähige Umgebung einzutauchen. Zentrale Herausforderungen für das Strafrecht erkennt Grafe in der Reaktion des bestehenden Rechts auf unvorhergesehene, durch den virtuellen Raum aufgeworfene, Fragestellungen und der Frage nach der Notwendigkeit eines neuen ,,Digitalen Strafgesetzbuches‘‘. Die Frage nach der Erforderlichkeit neuer Tatbestände sei untrennbar mit der Notwendigkeit des Rückbezugs der Strafbarkeit zu einer realen Person verbunden. Relevant erscheine ihr auch die Klärung der Strafbarkeit und adäquaten Bestrafung einer KI. Diese könne gegebenenfalls in der Zukunft ein neues Rechtssubjekt darstellen.

7. Nachhaltigkeit neuer Technologien und Produkttypen

Maximilian Petras (Wiss. Mitarbeiter, Professur für Öffentliches Recht, insb. Öffentliches Wirtschafts- und Umweltrecht, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) begann seinen Vortrag unter dem Titel ,,Virtuelle Welten einer Kreislaufwirtschaft‘‘. Petras stellte Ansätze einer digital koordinierten Circular Economy aus einer intern-retrospektiven sowie extern-prospektiven Blickrichtung bezüglich Produktdaten vor. Für den Lebenszyklus eines Produkts sei eine Abwägung zwischen der drohenden Extraktion und erwartbaren Regeneration anzustellen. Einen Beitrag könne das Recht auf Reparatur nach der Reparatur-RL (EU) 2024/1799 leisten. Ein individuelles Recht auf Datenfreigabe zur individuellen Reparatur und Verwertung bestehe in parallelen Regelungen. Jedenfalls ermögliche die neue Ökodesign-VO (EU) 2024/1781, die Reparierbarkeit neben der Langlebigkeit und dem Ressourcenverbrauch bei Herstellung einzupreisen. Diese sehe auch die Einführung eines digitalen Produktpasses vor, der eine Kooperation der Wirtschaftsakteure etwa durch dezentrale Bereitstellung und Interoperabilität befördere. Insgesamt biete die Digitalisierung eine Chance zur Lösung von veralteten Produktions-, Wirtschafts- und Gesellschaftsformen.

8. Recht als demokratisches Steuerungsmittel

Das Programm des zweiten Tages eröffnete Prof. Dr. Matthias C. Kettemann (Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck) mit einem Vortrag, in welchem er „Die unerträgliche Leichtigkeit des Sollens: Zu den Möglichkeiten der Normen in virtuellen Welten“ reflektierte. Aktuell würde der digitale Raum hauptsächlich durch private Rechtssetzung einzelner Provider unter automatisierter Durchsetzung geregelt. Dabei fehle eine demokratische Zustimmung, sodass die Interessen der Gesellschaft nicht hinreichend abgebildet würden. Das Potential neu eröffneter Diskursräume würde nicht vollständig ausgenutzt und das Emanzipationsversprechen der Digitalisierung nicht eingelöst, obwohl Demokratisierung oft auch gesteigerte Akzeptanz gegenüber Regeln bedeute. Der Staat könne die Regelung daher insbesondere im Spannungsfall nicht Privaten überlassen. Er dürfe die Regulierung jedoch auch nicht nur als Selbstzweck betreiben, sondern vielmehr als Steuerungsmittel nutzen. Insbesondere Juristen müssten es daher als ihre Aufgabe wahrnehmen, das Recht, als Sollen eines gesellschaftlichen Idealbilds, kritisch zu reflektieren. Rechtserkenntnis beinhalte eine gewisse „Weltaneignung“, ein Beobachten, Anerkennen und Bewerten des Verhältnisses von Sein und Sollen und der stetigen Fortentwicklung des Letzteren. Insgesamt müsse eine bessere Grundlage für die Selbstkonstituierung der demokratischen Gesellschaft im digitalen Raum geschaffen werden.

9. Regulierung neuer Wirtschaftssysteme in virtuellen Welten

Armin Mozaffari Jovein (Rechtsanwalt, RWT Anwaltskanzlei GmbH, Reutlingen) begann seinen Vortrag „Die Regulierung des Wettbewerbs im Metaverse“ mit einer grundsätzlichen Erläuterung des Begriffs Metaverse und den relevanten Einsatzfeldern der Technologie. Entscheidend sei, die Entwicklung eines neuen Metaverse-Finanz- und Wirtschaftssystems unter Zuhilfenahme von Blockchain- und NFT-Systemen nicht von vornherein zu verhindern. Wesentliche Gestaltungsfaktoren für das Metaverse seien dessen De- oder Zentralisierung, die Gestaltung eines offenen oder geschlossenen Systems und die Frage nach dessen Interoperabilität. Zentralisierte Systeme kennzeichne eine höhere technische Kompatibilität, aber auch verschärfte Abschottungseffekte und sich verfestigende Marktstellungen der sogenannten GAFA-Unternehmen. Dezentralisierte Systeme erforderten zwar eine größere Anzahl einheitlicher Standards etwa in den Bereichen Identitäts- und Datenschutz, sie böten aber mehr Freiheit und einen lebendigeren Wettbewerb. Für den Gesetzgeber drohten zudem Probleme in der Rechtssetzung und -durchsetzung. Mozaffari Jovein sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Koexistenz der Systeme aus. Nutzer könnten insoweit nach ihren subjektiven Bedürfnissen das stabilere zentralisierte oder das interoperablere dezentralisierte System nutzen. Eine Regulierung des Wettbewerbs müsse frühzeitig, aber mit Rücksicht auf Innovationshindernisse erfolgen und wirtschaftliche Implikationen stets ausgewogen berücksichtigen. Das Ziel bestehe in der Kreation eines innovationsförderlichen europäischen Markts und der Verhinderung der Verfestigung bestehender oder der Etablierung neuer digitaler Monopole.

10. Pflichten von Staat und Privaten bei der Inhaltsmoderation

Daniel Hauck (Wiss. Mitarbeiter, Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Recht der Digitalisierung und Datenschutzrecht, FernUniversität Hagen) besprach unter dem Titel „Immersion, Interoperabilität und Inhaltsmoderation“ (Titeländerung auf Bitte des Vortragenden, im Tagungsprogramm geführt als „Content Curation in virtuellen Welten unter dem Digital Services Act“) die Auswirkung des Digital Services Act auf virtuelle Welten. Am Beispiel des Metaverses, dessen Charakter als noch uneinheitliches Konzept er jedoch betonte, zeigte Hauck die Besonderheiten virtueller Welten gegenüber sozialen Netzwerken auf. Er stellte klar, dass es sich bei virtuellen Welten regelmäßig um ein neues Geschäftsmodell von Akteuren handele, die bereits in anderen Bereichen der Digitalwirtschaft marktmächtig seien. Ihnen würde aufgrund neuartiger Soft- und Hardware ermöglicht, Daten umfassender zu verarbeiten. Gleichzeitig entstünde mit dem höheren Grad der Immersion in virtuellen Welten eine gesteigerte Beeinflussbarkeit und Angreifbarkeit von Nutzern, zudem die Perpetuierung sozialer Ungleichheiten durch kommerzialisierten Zugang. Der DSA begegne vergleichbaren Risiken sozialer Medien mit einem Selbstregulierungsansatz unter Einbindung der Zivilgesellschaft. Vermittlungsdiensten (Art. 4-15 DSA), Online-Plattformen (Art. 19-32 DSA) und sehr großen Online-Plattformen (Art. 33-48 DSA) würden dabei Transparenz-, Informations-, Kontroll-, Sicherheits- und Risikomanagementmaßnahmen steigender Intensität auferlegt. Virtuelle Welten seien zwar regelmäßig solche Online-Plattformen, dennoch verblieben hinsichtlich der Inhaltsmoderation nach Art. 3 lit. h, 14 DSA regulierungsstrukturelle Probleme. Insbesondere erschwerten unterschiedliche Beschränkung von Inhalten in verschiedenen Mitgliedstaaten die Inhaltsmoderation. Hinzu komme das nicht auf klassische Text- und Bildinhalte beschränkte dynamischen Geschehens im virtuellen Raum und die angestrebte Interoperabilität des technischen Unterbaus. Es drohe ein Vollzugsdefizit bezüglich Moderationsentscheidungen. Der Staat müsse seine Schutzpflichten auch im virtuellen Raum wahrnehmen und anwendbare Normen bei Bedarf „nachschärfen“.

Abschließend ergänzte dies Franziskus Horn (Wiss. Mitarbeiter, Spirit Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig) mit seinem Vortrag „‚Sachlich, bitte!‘ – Zur Regelung von Nutzerverhalten in virtuellen Diskursräumen des Staates“. Die Kommunikation des Staates selbst erscheine in den sozialen Medien nicht völlig neutral, sondern unter klarer Zielkommunikation und Verteidigung dieser im Diskurs. Dies entspreche aber noch dem verfassungsrechtlichen Auftrag u.a. zur Herstellung eines Grundkonsens im Wege demokratischer Deliberation. Zudem würde so eine neue Möglichkeit zur Öffentlichkeitsbeteiligung und Information geschaffen, die zukünftig auch in virtuellen Welten stattfinden könne. Es dürfe jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass durch staatliche Inhaltsmoderation ein Eingriff in Teilhabe- (insb. Art. 3 Abs. 1 GG iVm Verwaltungspraxis) und Abwehrrechte (insb. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) stattfinden könne. Die Rechtfertigung dieser sei jedoch problematisch, wenn sie sich nicht auf eine zB gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigungsgrundlage, sondern nur auf Benutzungsordnungen stützte, die keine formalgesetzliche Grundlage hätten. Eröffnet der Staat Diskursräume in sozialen Medien, müsse er sich zudem Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten auf deren Betreiber sichern, um die von ihm eröffneten Benutzerrechte gewährleisten zu können.

11. Fazit

Die Tagung verdeutlichte zuvörderst die besondere Geschwindigkeit, mit der technische Innovationen die Rechtswissenschaft mit immer neuen Herausforderungen konfrontieren. Offenbart wurden auch die mannigfaltigen Verbindungen zu wirtschaftlichen, sozialen, politischen und philosophischen Diskursen, die das Metaverse aufwirft. Eine durchdachte Themenauswahl sowie rege Diskussionen vervollständigten das Bild einer gelungenen Tagung.

 

Laurenz Döring ist Wiss. Mitarbeiter am Freiherr-vom-Stein-Institut an der Universität Münster. Nikitas L. Rischkowsky ist Student an der Universität Münster.

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