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Rebecca Diana John: Social Bots im Parteienwettbewerb

Professor Dr. Matthias Friehe ist Inhaber der Qualifikationsprofessur für Staats- und Verwaltungsrecht an der EBS Law School in Wiesbaden.

Rebecca Diana John, Social Bots im Parteienwettbewerb, Baden-Baden (Nomos) 2023, ISBN 978-3-7560-0806-3, 129 EUR

MMR-Aktuell 2024, 02017   Die parteienrechtlichen Wurzeln der von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommenen Schrift von Rebecca John liegen weiter rheinabwärts in Düsseldorf: Insbesondere in ihrem Schlussteil (S. 397-517) bekennt sich John klar zum Konzept der Demokratie als Wettbewerbsordnung. Dass Parteienrecht als Wettbewerbsrecht verstanden werden soll, gehört zu den wirkmächtigen Thesen des Düsseldorfer Parteienrechtlers Martin Morlok. John macht konkrete Vorschläge, wie dieses Verständnis stärker zur Geltung kommen könnte und geht dabei deutlich über ihr vermeintlich eng geschnittenes Thema der Social Bots hinaus. Insbesondere schwebt ihr vor, für Wettbewerbsverstöße der Parteien ähnlich wie in § 8 UWG – freilich in modifizierter Form – einen Unterlassungsanspruch zu schaffen, den die Parteien gegeneinander geltend machen können (S. 483-501). Mögliche illegale Wettbewerbsvorteile der Parteien durch Rechtsverstöße beim Einsatz von Social Bots sind  nur ein Beispiel, wofür ein solcher Anspruch relevant werden könnte.

John denkt ihr Thema also ausgehend von klaren – an später Stelle der Arbeit ausdrücklich offengelegten – parteienrechtlichen Hintergrundannahmen. Gleichwohl handelt es sich doch auch originär um eine digitalisierungsrechtliche Schrift. Ihre über 500 Seiten starke Untersuchung eröffnet die Autorin mit einer doppelten interdisziplinären Einführung in das Phänomen der Social Bots. Zunächst erklärt sie programmiertechnisch kundig verschiedene Möglichkeiten, Social Bots zu programmieren. Dabei arbeitet sie heraus, dass sich Programmierer von Social Bots typischerweise eine Anwendungsprogrammierstelle (API) zunutze machen, die Netzwerkbetreiber zur Verfügung stellen, damit Entwickler mit dem sozialen Netzwerk interagieren können (S. 30-36). Inzwischen gibt es bereits vorprogrammierte Plattformen, mit deren Hilfe auch Personen ohne vertiefte Programmierkenntnisse einen Social Bot einrichten können (S. 36 f.). Der Einsatz von sprachgenerativer KI wie etwa ChatGTP erweitert die Möglichkeiten entsprechender Social Bots erheblich (S. 45 f.). Nach diesem Ausflug in die Welt der programmiertechnischen Grundlagen wirft John einen Blick auf Erkenntnisse der empirischen Politikwissenschaft. Insgesamt konstatiert sie eine dünne Studienlage (S. 59). Zumindest einzelne Untersuchungen zeigen aber, dass durch den Einsatz von Social Bots eine Schweigespirale in Gang gesetzt werden kann (S. 71-73). Mit dem Konzept der Schweigespirale hatte die Wahlforscherin Elisabeth Noelle-Neumann bereits in den 1970er-Jahren theoretisch erklärt, wie unter bestimmten Umständen eine Mehrheitsmeinung im öffentlichen Diskurs unsichtbar werden kann, weil ihre Anhänger sie für sozial nicht satisfaktionsfähig halten (Noelle-Neumann, PVS 18 [1977], 408 [415 et passim]; dies., Die Schweigespirale, 1980).

Gleich zu Beginn ihrer rechtlichen Einordnung macht John klar, dass diese nicht allein im nationalen Recht verhaftet bleiben kann, sondern insbesondere auch die GRCh einbeziehen muss, weil die Union nicht zuletzt mit Erlass des DSA die gesetzgeberische Initiative übernommen hat (S. 81). Dann aber wendet sich die Autorin doch schwerpunktmäßig der deutschen Verfassungstradition zu und schlägt zunächst einige grundsätzliche Pflöcke zum Prozess der demokratischen Willensbildung und zur Bedeutung der Parteien dabei ein, wobei besonders der Aspekt des Wettbewerbs zwischen den Parteien betont wird (S. 81-115). Ausführlich befasst sich die Autorin sodann mit der Frage, ob der Einsatz von Social Bots durch Parteien grundsätzlich von der Meinungsfreiheit geschützt ist. Diese Frage wird hauptsächlich anhand des Grundgesetzes erörtert; später stellt John klar, dass sich aus GRCh und EMRK keine abweichenden Maßstäbe ergeben (S. 186-200). Die Autorin verfolgt eine liberale Linie, der zufolge für den Verwender von Social-Bots – nicht für den Social Bot selbst – (S. 131-133) die Meinungsfreiheit umfassend eröffnet ist, da diese insbesondere auch die freie Wahl der Verbreitungsform schützt (S. 143). Geschützt sind dabei auch anynome und pseudonyme Meinungsäußerungen, selbst unter Berücksichtigung des Öffentlichkeitsgebots für die politischen Parteien (S. 147-158). Soweit der Social Bot darüber täuscht, eine private Person zu sein, kann dies nach Argumentation von John nicht mit der Verbreitung bewusst falscher Tatsachenbehauptungen gleichgesetzt werden (S. 158-162). Soweit Social Bots darauf abzielen, Debatten „echter“ Nutzer zu verhindern, werde zwar die Meinungsfreiheit Dritter beeinträchtigt. Auch insoweit sei der Schutzgehalt der Meinungsfreiheit aber nicht ausgeschlossen, da die Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten nur mittelbare Drittwirkung entfalteten (S. 174).

Nachdem John den Schutzgehalt der Meinungsfreiheit breit eröffnet hat, ist es konsequent Sache des Gesetzgebers, einen einfachgesetzlichen Ordnungsrahmen zu schaffen, um den Risiken von Social Bots zu begegnen (S. 200). Das Strafrecht adressiert Social Bots nicht unmittelbar. Selbstverständlich aber bleiben Volksverhetzung und andere Delikte des Meinungsstrafrechts auch dann strafbar, wenn sie mit Hilfe von Social Bots begangen werden (S. 244-266). Die Ausführungen hierzu bleiben allerdings recht abstrakt; nur am Rande wird das zentrale Problem gestreift, unter welchen Umständen KI-generierte objektiv strafbare Äußerungen dem Verwender eines Social Bots (noch) zuzurechnen sind (vgl. S. 209). Eingehend analysiert John mögliche urheber- und datenschutzrechtliche Probleme beim Einsatz von Social Bots (S. 267-361). Diese Gebiete sind aber ebenfalls nicht Social-Bot-spezifisch reguliert. Letztlich bleibt es also dabei, dass auch beim Einsatz von Social Bots die allgemeine Rechtsordnung zu beachten ist.

Social-Bot-spezifisch ist dagegen die medienrechtliche Regulierung in § 18 Abs. 3 MStV. Danach sind Telemedienanbieter verpflichtet, automatisiert erstellte Inhalte als solche kenntlich zu machen. Angesichts der zentralen Bedeutung dieser Norm für das konkrete Thema der Autorin gerät ihre Würdigung überraschend kurz. In wenigen Absätzen wird die Kennzeichnungspflicht als verhältnismäßiges allgemeines Gesetz (Art. 5 Abs. 2 GG) bewertet (S. 376 f.). Angesichts der weitreichenden Folgen für die Art und Weise, wie im Internet Meinungskampf – insbesondere ein Internetwahlkampf – geführt werden kann, wäre diese Frage aber eingehenderer Diskussion würdig gewesen.

Johns Untersuchung beeindruckt insgesamt mit ihrer Vielseitigkeit, die von grundlegenden demokratie- und parteiendemokratischen Überlegungen über informatische Details der Social-Bot-Programmierung bis hin zu Erkenntnissen der empirischen Wahlforschung reicht. Angesichts des Umfangs werden sich aber die meisten Leser wohl auf einzelne Abschnitte konzentrieren. Hierfür wäre ein Stichwortverzeichnis hilfreich gewesen, das leider fehlt. An manchen Stellen holt John sehr weit aus, durchaus innovativ und inspirierend, an anderen Stellen bleiben auch Fragen offen – Gelegenheit für andere am Recht der digitalen Demokratie Interessierte, die Diskussion fortzusetzen.

 

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