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BzKJ: Von der Tarzan-Indizierung zur Social-Media-Regulierung

Michael Terhörst ist Leiter der Stelle zur Durchsetzung von Kinderrechten in digitalen Diensten (KidD) und stellvertretender Vorsitzender der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn.

MMR 2024, 525   Mit der neuen Stelle zur Durchsetzung von Kinderrechten in digitalen Diensten (KidD) bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) existiert ein weiteres Instrument, um Kindern und Jugendlichen ein sichereres Aufwachsen mit Medien zu ermöglichen. Doch wo kommt die KidD her und noch wichtiger - was hat sie vor?

Seit 70 Jahren indiziert die bei der BzKJ angesiedelte Prüfstelle für jugendgefährdende Medien Inhalte, die Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung gefährden könnten. Wie die Gesellschaft, die mediale Welt und die Medienkompetenz entwickelt sich auch die Spruchpraxis der Prüfstelle stetig weiter: Waren in den 1950er Jahren Tarzan-Comics im Fokus der damaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, werden heute schwerpunktmäßig Internetangebote überprüft. Doch ein moderner Kinder- und Jugendmedienschutz benötigt mehr als die bloße Abschirmung vor Gefährdungen.

Neue Medien - neue Risiken - neue Regulierungsansätze

Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen hat sich durch die fortschreitende Digitalisierung stark verändert. Neue Kommunikationswege und Social Media sind heute fester Bestandteil des digitalen Aufwachsens. Diese Angebote bieten großartige Chancen für Kinder und Jugendliche, führen jedoch zugleich zu neuen Gefährdungsdimensionen, insbesondere sog. Interaktionsrisiken wie Cybergrooming.

Nach der 25. Allgemeinen Bemerkung zur UN-Kinderrechtekonvention in digitalen Umgebungen bedarf es eines Zusammenspiels aus Schutz, Befähigung und Teilhabe, um ein gutes Aufwachsen mit Medien zu ermöglichen. Dieses kinderrechtliche Dreieck steht im Zentrum des Handelns der BzKJ. Ziel ist es, vom Kind aus zu denken, um eine sichere Teilhabe zu ermöglichen.

Durch die Novellierung des JuSchG wurden diese Grundsätze 2021 auch auf nationaler Ebene in Gesetzesform gegossen (vgl. §§ 10a, 10b JuSchG). In der Folge wurde aus der damaligen Bundesprüfstelle die heutige BzKJ, die zugleich diverse weitere Aufgaben erhielt: So wird die BzKJ in ihrer Aufgabe, den Kinder- und Jugendmedienschutz weiterzuentwickeln, von einem Beirat mit Jugendbeteiligung beraten. Sie treibt die Förderung einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für die Koordinierung einer Gesamtstrategie zur Verwirklichung der (neuen) Schutzziele insbesondere durch interdisziplinäre Austauschformate voran. So werden in der ZUKUNFTSWERKSTATT aktuelle Gefährdungen thematisiert, analysiert und Begegnungsstrategien diskutiert. Weiterhin fördert die BzKJ Projekte, die zur Entwicklung und Bereitstellung kindgerechter Zugangswege ins Internet beitragen.

Daneben verpflichtete der Bundesgesetzgeber Internetdienste in den §§ 24a ff. JuSchG aF zur Implementierung von strukturellen Vorsorgemaßnahmen, die Kindern und Jugendlichen ermöglichen sollten, die für sie relevanten Dienste sicher zu nutzen.

Für die Durchsetzung war die BzKJ zuständig: Der neue Ansatz der „dialogischen Regulierung“ sah erstmals vor, dass die BzKJ zunächst berät und nur im Falle mangelnder Umsetzung auf Seiten der Anbieter Anordnungen trifft und diese notfalls mit Bußgeldern durchsetzt.

Der DSA - Was bleibt, was kommt, was geht.

Diese Grundsätze finden sich nun auch weitestgehend im Digital Services Act (DSA) wieder, der mit seinem vollharmonisierenden Ansatz auch das JuSchG in Teilen überformt - insbesondere im Bereich der Anbietervorsorge. Mit der Anpassung deutschen Rechts durch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) wurde der Grundstein dafür gelegt, dass die BzKJ ihre Bestrebungen fortsetzen und sogar ausweiten kann: Mit der KidD, einer Stelle zur Durchsetzung von Kinderrechten in digitalen Diensten (vgl. § 12 Abs. 2 DDG).

Doch nicht nur bei der BzKJ gibt es Neuerungen. Jeder Mitgliedstaat bestimmt einen Digital Services Coordinator (DSC). In Deutschland wurde hierfür eine unabhängige Koordinierungsstelle für digitale Dienste (KDD) innerhalb der BNetzA eingerichtet (§ 12 Abs. 1 DDG).

Die BNetzA ist für die Durchsetzung der Vorschriften des DSA zuständig, die in die nationale Zuständigkeit fallen. Als Koordinierungsstelle ist sie die Adressatin von Hinweisen zu Verstößen gegen Anbieterpflichten und hat hierfür bereits ein Beschwerdemanagement-System eingerichtet. Die Leitung der KDD vertritt überdies Deutschland im EU-Gremium für digitale Dienste und übt das Stimmrecht aus.

Der DSA ermöglicht die Benennung von weiteren nationalen Behörden mit Spezialzuständigkeiten (vgl. Art. 49 Abs. 1 DSA). Hiervon macht Deutschland gleich mehrfach Gebrauch: Neben der BzKJ sind im Bereich des Kinder- und Jugendmedienschutzes die Landesmedienanstalten für die Aufsicht über die Vorschriften des JMStV idF v. 14.12.2021 zuständig.

Der BfDI erhält Kompetenzen im Bereich der Regulierung bei der Verwendung personenbezogener Daten für kommerzielle Werbung (sog. Profiling) - insbesondere bei Minderjährigen (vgl. § 12 Abs. 3 DDG iVm Art. 26 Abs. 3, Art. 28 Abs. 2 und 3 DSA).

Neben diesen nationalen Behörden setzt auch die EU-Kommission den DSA um: Sie reguliert Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen mit mehr als 45 Mio. Nutzenden.

Die Rolle der KidD

Dies hat unmittelbaren Einfluss auf das neue Tätigkeitsfeld der KidD. Das Kerngeschäft der dialogischen Regulierung von Plattformanbietern bleibt erhalten.

Bislang fielen in den Zuständigkeitsbereich alle Diensteanbieter, die fremde Inhalte mit Gewinnerzielungsabsicht anbieten und dabei mehr als 1 Mio. Nutzende aufweisen (§ 24a Abs. 1 JuSchG aF). Neu ist für die KidD die Nutzendenschwelle nach oben, zugleich entfällt mit dem DSA die Millionengrenze nach unten. Nach dem DSA sollen vielmehr Klein- und Kleinstunternehmen keine Vorsorgemaßnahmen bereithalten müssen (vgl. Art. 19 Abs. 1 DSA).

Inhaltlich kann die KidD auf die Erfahrungen der letzten Jahre zurückgreifen: Die BzKJ entwickelte Prüfkriterien, die die Maßstäbe für die Risikobewertung eines Angebots festlegen. Überdies bringen sie bestimmte Risikogruppen mit den entsprechend anzuwendenden Vorsorgemaßnahmen überein und geben Orientierung für die Risikobegegnung. Dies dient den Anbietern als Basis für die Einschätzung, mit welchen adäquaten strukturellen Vorsorgemaßnahmen den Risiken der Plattformnutzung begegnet werden kann.

Zu diesen Vorsorgemaßnahmen zählen u.a. Melde- und Abhilfeverfahren, sichere Voreinstellungen, technische Mittel zur Altersverifikation und Elternbegleit-Tools. Die gesetzlichen Regelbeispiele bleiben auch nach der Anpassung des JuSchG durch das DDG im Kern bestehen.

Wie verläuft ein Verfahren bei der KidD?

Wird die KidD auf ein Angebot aufmerksam, fordert sie eine Ersteinschätzung durch das Kompetenzzentrum jugendschutz.net und eine Stellungnahme der zentralen Aufsichtsstelle der Länder für den Jugendmedienschutz (KJM) an. Diese kooperative Zusammenarbeit hat sich bereits in den Zeiten vor dem DSA bewährt und wird nun fortgesetzt, um die jeweiligen Fachkenntnisse zu bündeln. Auf dieser Grundlage sowie einer jeweils eigenen Sichtung und Risikobewertung der Plattformen beurteilt die KidD, ob Anbieter strukturelle Vorsorgemaßnahmen getroffen haben, die kongruent zu den mit der Nutzung verbundenen Risiken sind. Zu den Risiken zählen beispielhaft Cybergrooming, Doxing oder übermäßige Mediennutzung. Fehlen Vorsorgemaßnahmen oder sind diese ungeeignet, informiert die KidD die Anbieter und fordert eine Stellungnahme an. Es folgt ein dialogisches Verfahren, welches mit einer Beratung durch die KidD beginnt. Verläuft dieser Austauschprozess erfolglos, ordnet die KidD die Etablierung der Vorsorgemaßnahmen an und kann die etwaige Nichtbefolgung dieser Anordnung mit Bußgeldern belegen.

Das Tätigkeitsfeld der KidD umfasst ebenso die Aufsicht, ob Anbieter der Pflicht zur Erklärung ihrer Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen in kindgerechter Sprache sowie - in Bezug auf Film- und Spielplattformen - zur Kennzeichnung der bereitgehaltenen Inhalte mit Alterskennzeichen nachkommen.

Auch hier gilt: Die KidD berät, gibt Anbietern in geeigneten Fällen die Möglichkeit zur Nachbesserung und setzt notfalls durch Anordnungen und Bußgelder die Einhaltung der Vorschriften durch.

Organisatorisch gibt es eine entscheidende Neuerung: Die KidD ist „völlig unabhängig“ (§ 15 DDG iVm § 12 Abs. 2 S. 4 Nr. 2 DDG). Der DSA fordert eine unabhängige Aufsicht, die frei von jeder Einflussnahme agiert. Die Unabhängigkeit bezieht sich neben der inhaltlichen Komponente auf personelle und finanzielle Aspekte sowie die sachliche Ausstattung.

Seite an Seite für den Kinder- und Jugendmedienschutz

Doch auch die Landesmedienanstalten sind laut DDG zuständige Behörde, aber die Zuständigkeitsverteilung zwischen der BzKJ und den Landesmedienanstalten ist klar geregelt und orientiert sich auch weiterhin an der bereits bestehenden Aufteilung, die mit der JuSchG-Novellierung 2021 klargestellt wurde (BT-Drs. 19/24909, 62). Die Zuständigkeit der Medienanstalten umfasst insbesondere die Verfolgung von Einzelverstößen bzw. die Inhalteregulierung, während die KidD strukturelle Vorsorgemaßnahmen durchsetzt (BT-Drs. 20/10031, 71 f.).

Die BzKJ, die Landesmedienanstalten und die KJM blicken auf eine lange Tradition erfolgreicher Zusammenarbeit zurück. Diese gilt es jetzt weiter zu gestalten, um die jeweiligen Expertisen zusammenzuführen, stets mit dem Ziel, eine sichere Nutzung digitaler Dienste für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen.

Dieser Grundsatz gilt auch für alle weiteren Behörden: Die BNetzA und die anderen nach DDG ermächtigten Behörden etablieren bereits Austauschformate und Prozessstrukturen, um ein solides Fundament für die zukünftige Zusammenarbeit zu errichten. Vor dem Hintergrund diverser thematischer Überschneidungen ist eine vertrauensvolle und professionelle Zusammenarbeit existenziell für ein Gelingen der Umsetzung der neuen rechtlichen Zuständigkeiten in die Praxis.

Das gilt iÜ auch international: So werden in Arbeitsgruppen auf europäischer Ebene Leitlinien erarbeitet und Absprachen getroffen, die EU-weit einheitliche Standards definieren und Vorgehen festlegen. Dies wird langfristig nicht nur den betroffenen Behörden helfen, sondern Orientierung für Anbieter geben, welche konkreten Anforderungen an eine rechtskonforme Ausgestaltung ihrer digitalen Dienste gestellt werden.

Darüber hinaus tauscht sich die KidD regelmäßig mit einer Vielzahl von Partnern aus und analysiert - u.a. mit Organisationen, die Hilfe im Internet anbieten - aktuelle Entwicklungen in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Ziel ist es nicht, möglichst viele Bußgelder zu verhängen, sondern geltendes Recht konsequent durchzusetzen und digitale Angebote für Kinder und Jugendliche so Stück für Stück sicherer zu machen, damit sie in einem digitalen Umfeld groß werden, das ihnen deutlich mehr Chancen als Risiken bietet.

Bonn, im Juli 2024

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