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EU-Kommission nimmt neuen Anlauf zur Vollendung des digitalen Binnenmarkts

Dr. Andrea Huber ist Geschäftsführerin der ANGA Der Breitbandverband e.V. in Berlin und Mitglied des Beirats der MMR.

MMR 2024, 369   Bis zum Jahr 2030 sollen auf europäischer Ebene flächendeckend Glasfaseranschlüsse zur Verfügung stehen. Vor dem Hintergrund dieses Ziels hat die EU-Kommission am 21.2.2024 ein Weißbuch zu digitalen Infrastrukturen vorgestellt, das die Marktentwicklung in Europa und die Herausforderungen beim weiteren Glasfaserausbau analysiert (COM(2024) 81 final, abrufbar unter: https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/white-paper-how-master-europes-digital-infrastructure-needs). Die Betrachtung des Stands der Digitalisierung und des Handlungsbedarfs ist ein wichtiger Schritt, wenn die Ziele der Digitalen Dekade erreicht werden sollen. Das gilt insbesondere für die Analyse des Investitionsbedarfs und der Hindernisse beim Ausbau. Die daraus hergeleiteten Vorschläge der EU-Kommission zahlen jedoch nicht alle auf dieses Ziel ein und sind teilweise alarmierend für den deutschen Telekommunikationsmarkt. Die EU-Kommission sollte nicht aus den Augen verlieren, dass der Wettbewerb in Deutschland durch zahlreiche regionale und mittlere Anbieter geprägt ist, die in einem neuen Rechtsrahmen ebenso Berücksichtigung finden müssen wie große paneuropäische Anbieter.

Hintergrund

Die jetzt vorgestellten Maßnahmen basieren auf einem Konsultationsverfahren zur Zukunft des Konnektivitätssektors, das die EU-Kommission im ersten Halbjahr 2023 durchgeführt hat. Die Ergebnisse der Konsultation wurden im Oktober 2023 veröffentlicht (abrufbar unter: https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/results-exploratory-consultation-future-electronic-communications-sector-and-its-infrastructure). Dabei hat die EU-Kommission drei Kernbereiche identifiziert:

  • Innovation und effiziente Investitionen;
  • Vollendung des digitalen Binnenmarkts und
  • Sicherheit und Resilienz von Infrastrukturen. 

Inhalt und Bewertung

Das jetzt vorgestellte Weißbuch vertieft die Analyse aus dem Konsultationsverfahren und entwickelt zu den o.g. Themenkomplexen mögliche Handlungsoptionen, sog. Szenarien. Diese werden auf drei Säulen verteilt:

1. „3C-Netze“ (Connected Collaborate Computing)

Der erste Themenblock baut auf den Feststellungen zum hohen Investitionsbedarf für den Ausbau künftiger digitaler Netze auf. Investitionen und Innovationen in Konnektivität und Computing erfordern nach Ansicht der EU-Kommission deutliche Verbesserungen bei Forschung und Entwicklung. Die EU-Kommission schlägt dafür vor allem neue EU-Gemeinschaftsprojekte sowie Großversuche in Pilotprojekten vor.

2. Digitaler Binnenmarkt

Die Vollendung des Binnenmarkts im Telekommunikationssektor gehört seit über zehn Jahren zum Zielkanon der EU-Kommission. Bereits 2013 hat sie dafür Vorschläge vorgelegt, in der Folge wurden jedoch lediglich Einzelpunkte geregelt (dazu Huber MMR 2014, 221; 2023, 43 (44)). Entsprechend sind die Vorschläge im Weißbuch zu diesem Pfeiler weitaus detaillierter als in den anderen Bereichen.

Die EU-Kommission identifiziert die Fragmentierung des Regulierungsrahmens als wesentliches Hindernis und schlägt daher in wichtigen Bereichen eine Vereinheitlichung vor. Das betrifft vor allem den Übergang von Kupfer- auf Glasfasernetze, der bis 2030 abgeschlossen werden solle. Dies sei auch im Hinblick auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit digitaler Infrastrukturen ein wichtiger Meilenstein. Angesichts der großen strategischen Bedeutung dieses Prozesses ist es zu begrüßen, dass die EU-Kommission anerkennt, dass der Wechsel von Kupfer- auf Glasfasernetze im Interesse des gesamten Markts vorbereitet und gestaltet werden müsse. Keinesfalls dürfe das marktmächtige Unternehmen die Gestaltung der Kupfer-Glas-Migration bestimmen. Das entspricht den Forderungen der Wettbewerber der Deutschen Telekom. Sie pochen darauf, dass dieser Prozess wettbewerbsneutral erfolgen muss und sowohl die Interessen von alternativen Glasfaserunternehmen als auch vorleistungsnachfragenden Anbietern berücksichtigt werden müssen.

Auch bei der Zugangsregulierung fordert das Weißbuch einen stärkeren europäischen Ansatz. Ein einheitlicher europäischer Regulierungsrahmen soll den Ausbau paneuropäischer Netze fördern. EU-weite Vorleistungsprodukte könnten dann zentral und standardisiert am Markt verfügbar gemacht werden. In Anbetracht des fortschreitenden Glasfaserausbaus sieht die EU-Kommission außerdem die Option eines Verzichts auf Ex-ante-Regulierung und den Übergang zu einer symmetrischen und harmonisierten Regulierung. Dieser Vorschlag birgt gerade für Deutschland erhebliches Konfliktpotenzial. Fairer Wettbewerb und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen sind von essenzieller Bedeutung für Unternehmen, die eigenwirtschaftlich Glasfaser ausbauen. Bislang war Deutschland beim Glasfaserausbau auf einem guten Weg, steht aber inzwischen vor zahlreichen Herausforderungen. Das Wiedererstarken der marktmächtigen Telekom und die aktuelle Diskussion um den wettbewerbswidrigen Doppelausbau durch sie zeigen das Risiko einer Übertragung von Marktmacht aus dem Kupfer- in den Glasfaserbereich. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine vollständige Deregulierung des marktmächtigen Unternehmens verfehlt und ein Schritt in die falsche Richtung. Positiv zu bemerken ist aber, dass die EU-Kommission die Problematik des wettbewerbswidrigen Doppelausbaus durch das marktmächtige Unternehmen erkannt hat und Maßnahmen dagegen einfordert.

Weitere Koordinierungsansätze sieht die EU-Kommission bei der Frequenzpolitik und bei Genehmigungsverfahren. Letztere könnten nach Ansicht der EU-Kommission durch die Einführung des zB aus dem elektronischen Geschäftsverkehr bekannten Herkunftslandprinzips für Kernnetze vereinfacht werden. Damit könnten Kernnetzbetreiber leichter eine kritische Größe erreichen und so ihre Refinanzierung sichern. Von dem vorgeschlagenen Lösungsansatz dürften zum einen jedoch vor allem große Unternehmen profitieren, die ohnehin schon paneuropäisch aufgestellt sind. Zum anderen erscheint es fraglich, ob die Mitgliedstaaten bereit wären, ihre diesbezüglichen Kompetenzen aufzugeben. Die Diskussionen über Genehmigungserleichterungen im Gigabit Infrastructure Act haben aktuell wieder gezeigt, wie schwierig eine europäische Harmonisierung in diesem Bereich ist. In der Frequenzpolitik würde die EU-Kommission gerne mehr Kompetenzen auf europäischer Ebene bündeln, nicht zuletzt, um paneuropäischen Anbietern die notwendigen Investitionen zu erleichtern.

Mit Spannung hat die Branche darauf gewartet, ob sich die EU-Kommission im Weißbuch zu der Frage eines angemessenen Beitrags großer Online-Anbieter zu den Kosten des Netzausbaus äußern würde. Leider hat sich die EU-Kommission hier sehr zurückgehalten, was sicherlich auch der intensiven politischen Debatte zu diesem Thema geschuldet ist (dazu Huber MMR 2023, 43 (46)). Das Weißbuch stellt aber zumindest zur Diskussion, dass ein Mechanismus zur Streitschlichtung sinnvoll sein könne, wenn sich Netzbetreiber und große Online-Anbieter künftig nicht innerhalb einer bestimmten Frist auf kommerzielle Vereinbarungen einigen können. Derzeit sei der Bedarf dafür aber wohl nicht gegeben, da die Märkte für Transit und Peering ebenso wie die Vereinbarungen der Marktteilnehmer untereinander gut funktionierten.

3. Sichere und resiliente digitale Infrastrukturen

Die EU-Kommission hat auf Basis der Konsultation erhebliche Risiken für die Errichtung und den Betrieb von Netzen identifiziert. Dazu gehören die geopolitischen Herausforderungen im Hinblick auf Anbieter und Lieferketten ebenso wie Sicherung von Daten und Kommunikation. Ein besonderes Augenmerk legt das Weißbuch auf die Sicherheit von Unterseekabeln. Bereits bekannte Risiken erfahren vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs eine neue Bewertung. Die in diesem Teil des Weißbuchs genannten Optionen beziehen sich daher sowohl auf Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung als auch auf eine Verbesserung der Förderung. Die Sicherheit von Unterseekabeln adressiert die EU-Kommission darüber hinaus mit einer Empfehlung für die Sicherheit und Resilienz von Unterseekabeln, die gleichzeitig mit dem Weißbuch veröffentlicht wurde. (Empfehlung der Kommission v. 26.2.2024, COM(2024) 1181 final, abrufbar unter: https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/recommendation-security-and-resilience-submarine-cable-infrastructures)

Ausblick

Vor der Europawahl im Juni 2024 werden keine Maßnahmen aus dem Weißbuch in den Umsetzungsprozess gehen. Die Vorschläge der EU-Kommission sind daher als Vorschlag einer Roadmap für die nächste EU-Kommission zu sehen, die diese nutzen kann, um zu Fragen der Konnektivität Regelungen zu entwickeln. Nach dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) sowie dem Gigabit Infrastructure Act wäre ein Digital Networks Act ein weiteres, großes Gesetzgebungsvorhaben. Mit ihm würde der europäische Gesetzgeber wichtige Teile der Regulierung im Bereich der Digitalisierung vereinheitlichen und in Brüssel konzentrieren. Es bleibt abzuwarten, ob die nächste EU-Kommission diesen Prozess weiterführt und wie die Mitgliedstaaten und die Marktteilnehmer auf diese Ansätze reagieren. Einen ersten Eindruck davon wird die Kommentierung des Weißbuchs geben, die bis Juni 2024 möglich ist.

Köln, im Mai 2024

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