Dr. Jörg Ukrow, LL. M. Eur., ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts für Europäisches Medienrecht e. V. (EMR) und stellvertretender Direktor der Landesmedienanstalt Saarland (LMS).
MMR-Aktuell 2024, 01332 Der EuGH hat (Urt. v. 31.1.2024 – C-255/21 – Reti Televisive Italiane), zur Auslegung von Art. 23 Abs. 2 RL 2010/13/EU (RL über audiovisuelle Mediendienste – AVMD-RL) in Bezug auf quantitative Werbebeschränkungen durch diese RL entschieden, dass Werbebotschaften für Radiosendungen, die in Fernsehsendern derselben Unternehmensgruppe ausgestrahlt werden, grundsätzlich keine Hinweise auf „eigene“ Sendungen dieser Fernsehsender darstellen.
Ausgangspunkt der Entscheidung war eine Aufsichtsmaßnahme der italienischen Regulierungsbehörde für das Kommunikationswesen (AGCOM) gegenüber der Reti Televisive Italiane SpA (RTI). Diese ist eine italienische Gesellschaft für audiovisuelle Mediendienste und Inhaberin der Fernsehsender Canale 5, Italia 1 und Rete 4. Im Jahr 2017 belangte die AGCOM die RTI wegen Verstößen gegen eine nationale Rechtsvorschrift, die eine zeitliche Grenze für Fernsehwerbung festlegt. Bei der Berechnung der betreffenden Sendezeit berücksichtigte die AGCOM die Werbebotschaften des Radiosenders R101, die auf den Fernsehsendern von RTI ausgestrahlt worden waren. Dieser Radiosender gehört wie RTI zur Mediaset-Gruppe. RTI macht geltend, dass die Botschaften des Radiosenders als Eigenwerbung (dh als Werbehinweise auf eigene Sendungen) einzustufen seien und daher von der Sendezeit für Fernsehwerbung pro Stunde ausgenommen seien.
Art. 23 Abs. 1 AVMD-RL regelt, dass der Sendezeitanteil von Fernseh-Werbespots und Teleshopping-Spots in den Zeiträumen von 6:00 Uhr bis 18:00 Uhr und von 18:00 Uhr bis 24:00 Uhr jeweils 20 % dieses jeweiligen Zeitraums nicht überschreiten darf. Diese Begrenzung des Sendezeitanteils gilt nach Absatz 2 lit. a der Regelung nicht für Hinweise des Fernsehveranstalters auf seine eigenen Sendungen und auf Begleitmaterialien, die direkt von diesen Sendungen abgeleitet sind, oder auf Sendungen und audiovisuelle Mediendienste anderer Teile derselben Sendergruppe.
Mit mehreren Fragen, die der EuGH zusammen prüfte, wollte der italienische Staatsrat in einem Vorlageverfahren zum EuGH im Wesentlichen wissen, ob Art. 23 Abs. 2 AVMD-RL dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Hinweise des Fernsehveranstalters auf eigene Sendungen“ Werbebotschaften erfasst, die dieser Veranstalter für einen Radiosender ausstrahlt, der zur selben Gruppe von Gesellschaften wie er selbst gehört. Der EuGH stellt hierzu fest, dass Art. 23 Abs. 2 AVMD-RL dahin auszulegen sei, „dass der Begriff ‚Hinweise des Fernsehveranstalters auf eigene Sendungen‘ keine Werbebotschaften erfasst, die ein Fernsehveranstalter für einen Radiosender ausstrahlt, der zur selben Gruppe von Gesellschaften wie dieser Fernsehveranstalter gehört, es sei denn, dass es sich zum einen bei den Sendungen, die Gegenstand dieser Werbebotschaften sind, um ‚audiovisuelle Mediendienste‘ iSv Art. 1 Abs. 1 lit. a der RL handelt, was impliziert, dass sie sich von der Hauptaktivität des Radiosenders trennen lassen, und dass zum anderen der Fernsehveranstalter für diese Sendungen die ‚redaktionelle Verantwortung‘ iSv Art. 1 Abs. 1 lit. c der RL trägt“.
Der EuGH betont zur Begründung dieser Auslegung, dass sich die Dienste eines Hörfunkveranstalters, die aus Hörsendungen ohne Bilder bestehen, von den audiovisuellen Sendungen eines Fernsehveranstalters unterscheiden. Sie fielen daher nicht unter den Begriff „Sendungen“ iSd AVMD-RL, es sei denn, dass sie sich von der Hauptaktivität des Radiosenders trennen ließen und daher als „audiovisuelle Mediendienste“ eingestuft werden könnten. Damit eine Sendung als „eigene Sendung“ des Fernsehveranstalters angesehen werden könne, müsse dieser außerdem die redaktionelle Verantwortung dafür tragen. Diese bestehe aus der Ausübung einer wirksamen Kontrolle, sowohl hinsichtlich der Zusammenstellung der Sendungen als auch hinsichtlich ihrer Bereitstellung, durch eine Person oder Einrichtung, die befugt sei, in letzter Instanz über das audiovisuelle Angebot zu entscheiden. Da die Regeln über Höchstsendezeiten für Werbung pro Stunde andere Ziele verfolgten als die Wettbewerbsregeln, sei zur Erfassung des Ausdrucks „eigene Sendungen“ das Kriterium der redaktionellen Verantwortung für die betreffenden Sendungen zu berücksichtigen und nicht die Zugehörigkeit der beiden Sender zur selben Gruppe von Gesellschaften.
Die Entscheidung des EuGH entfaltet mittelbare Rechtswirkung auch jenseits der italienischen Medienregulierung und löst ggf. medienrechtlichen Nachsteuerungsbedarf in dritten Mitgliedstaaten aus.
Weiterführende Links
Vgl. auch Etteldorf MMR-Aktuell 2023, 458857.