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Keine wissenschaftliche Exzellenz ohne Chancengleichheit!

Professor Dr. Dennis-Kenji Kipker ist wissenschaftlicher Direktor des cyberintelligence.institute und Professor für IT-Sicherheitsrecht in Bremen sowie Mitherausgeber der MMR.

MMR 2024, 209   Aller Anfang ist schwer“ - sicherlich hat jede und jeder von uns dieses Zitat schon einmal gehört und mit einem gewissen Frust zur Kenntnis genommen. Und es stimmt ja auch: Immer dann, wenn wir im Leben etwas Neues beginnen, müssen wir uns auf veränderte Umstände einstellen, von Neuem Innovation, Engagement und Energie zeigen und andere davon überzeugen, dass wir es mit unserem Ansinnen auch wirklich ernst meinen, um anerkannt und wahrgenommen zu werden, aber auch, um für uns unsere eigenen Ziele zu erreichen.

Gerade in der Wissenschaft aber zahlt sich dieses initiale Engagement nicht immer aus, denn planbare Karrierewege gibt es hier nicht wirklich - genau so wenig, wie die wissenschaftliche Exzellenz der oder des Einzelnen zwangsläufig auch zur wissenschaftlichen und damit öffentlichen Anerkennung führen muss. Die Gründe dafür sind vielfältig und verworren, und so richtig darüber sprechen will meistens auch keiner der Verantwortlichen. Was man anstelle dessen hören muss, sind Zuweisungen von Schuld und Verantwortlichkeit: Die Unis schieben die fehlenden und planbaren Perspektiven für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf die Haushaltslage, die Behörden auf die Gesetzeslage und die Politik schweigt sich regelmäßig darüber aus. So wird aus einem „Aller Anfang ist schwer“ in der Wissenschaft ganz schnell ein „Alles ist schwer“.

Was jedoch hat das zur Folge? Junge, engagierte Talente sehen für sich oft keinen Weg mehr, ihren Lebensweg zu einem wissenschaftlichen Weg zu machen, obwohl sie fachlich dazu fähig und willens wären. Zu unsicher ist die Aussicht auf eine Entfristung, zu gering die Gehaltssteigerungen, zu toxisch das Arbeitsumfeld, wenn man als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder wissenschaftlicher Mitarbeiter einen erheblichen Teil seiner beruflichen Karriere damit zubringen muss, einer Professorin oder einem Professor zuzuarbeiten, der den Großteil der Erfolge und Lorbeeren für sich selbst einheimst. Das alles wäre ja noch irgendwie erträglich, wenn man denn zumindest eine gesicherte Aussicht darauf hätte, dass sich all diese Mühen auszahlen und eines Tages vielleicht gar selbst zu einer eigenen Professur führen. Aber dem ist nicht so.

Schon viele haben über dieses Dilemma fehlender Chancengleichheit geschrieben und Vorträge zum Thema gehalten. Fakt aber ist, dass wir ohne eine solche Chancengleichheit in der Wissenschaft auch keine Exzellenz haben werden. Das ist sehr gut erkennbar an der Tatsache, dass schon seit Langem die wissenschaftliche Karriere für junge Menschen nicht nur unattraktiv ist, sondern von den allermeisten Studienabgängerinnen und -abgängern von vornherein ausgeschlossen wird. Und die Chancen, über die wir sprechen, sind bei Weitem nicht nur an monetäre Werte wie gute Bezahlung und planbare Berufsaussichten geknüpft. Denn ein oft unterschätzter Faktor in diesem Zusammenhang ist die persönliche Wertschätzung von Menschen im täglichen Umgang, aber auch von den Ergebnissen ihrer Arbeiten.

Und genau deshalb benötigen wir unbedingt ein Umdenken über unser bisheriges Selbstverständnis von wissenschaftlicher Arbeit und Karriere. Gerade in den Rechtswissenschaften wäre ein solcher Schritt dringender denn je nötig: Überkommene Studien- und Ausbildungsmodelle, die an zwei Staatsexamina festhalten, um sich beruflich zu qualifizieren, entsprechen schon lange nicht mehr dem Zeitgeist dessen, was eine gute Ausbildung von Juristinnen und Juristen ausmacht. Denn die akademische Ausbildung ist kein Selbstzweck, sondern muss sich an den Bedürfnissen des Markts orientieren und messen lassen. Natürlich, wenn einem Studierenden die Karriere als Richterin/Richter, Anwältin/Anwalt oder Staatsanwältin/Staatsanwalt vorschwebt, kommt man um das traditionelle Ausbildungsmodell nicht herum. Völlig unberücksichtigt dabei bleibt aber, dass das Jurastudium auch ein Generalistenstudium ist, das die Absolventinnen und Absolventen dazu befähigt, später in den unterschiedlichsten Fachrichtungen beruflich tätig zu werden und das sogar in technisch geprägten Domänen wie der Cybersicherheit. Gerade hier kommt es oft gar nicht auf ein zweites Staatsexamen an, sondern das interdisziplinäre Verständnis von Recht und Technik im Zusammenspiel ist entscheidend, um mit dem Recht überhaupt angemessen umgehen zu können. Und genau diese Art von Interdisziplinarität begegnet uns jetzt und in den kommenden Jahren immer mehr, denn nicht nur die Gesellschaft wird zunehmend komplexer, sondern damit einhergehend auch unser Recht.

Keineswegs angemessen berücksichtigt wird diese gravierende systemische Veränderung aber in der Juristerei. Nach wie vor gilt das Primat des klassischen, weil examensbasierten Jurastudiums. Junge Absolventinnen und Absolventen, die zB einen wirtschaftsjuristischen Abschluss gemacht haben, studieren das Staatsexamen nach, nur um „auf Nummer sicher zu gehen“. Rein juristische Masterabschlüsse werden ohne nennenswerten Grund schlechter vergütet als Absolventinnen und Absolventen mit Staatsexamen, trotz vergleichbar erbrachter Leistungen in der Form von Credit Points. Und die Aussicht auf eine juristische Professur ohne zwei Staatsexamina? Zwar möglich, aber mehr als schwierig, denn eigentlich „ist man ja gar kein richtiger Jurist“. Chancengleichheit auf dem juristischen Arbeitsmarkt und Berücksichtigung der individuellen Qualifikation von Bewerberinnen und Bewerbern sieht anders aus.

Und genau damit wären wir auch bei einem weiteren wichtigen Thema angelangt: Inwieweit werden junge Menschen und engagierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eigentlich bei der Vergabe von Forschungsaufträgen und der Mitwirkung in öffentlichen Fachgremien unterstützt? Im Regelfall gar nicht. Gerade bei einem Blick in außeruniversitäre und vorwiegend politisch geformte Gremien fallen regelmäßig nicht nur der Altersdurchschnitt, sondern auch die überwiegende Männlichkeit der Repräsentanten ins Auge. Doch nicht nur das ist auffällig, sondern ebenso die regelmäßig wiederkehrende Gleichförmigkeit ihrer Repräsentanten. Natürlich wird man nicht erwarten können, öffentliche Fachgremien durchgängig mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu besetzen, jedoch kann und sollte es zur Beurteilung der Fachlichkeit eben nicht nur auf die Titel ankommen, mit denen sie sich denknotwendigerweise in ihrem Lebensabschnitt noch nicht schmücken können. Selbiges gilt übrigens auch für Fördermittelausschreibungen und Forschungsaufträge: Wenn ein gutes, relevantes und plausibles Forschungskonzept eingereicht wird, dann sollte es bei entsprechender Verfügbarkeit der Mittel auch gefördert werden - unabhängig davon, in welchem Karrierestadium sich die Einreicherin oder der Einreicher befindet. Und wenn Forschungsaufträge vergeben werden, sollte nicht die Frage „Wer kennt wen?“ ausschlaggebend sein, sondern vielmehr „Wer hat im Wettbewerb das beste Konzept?“.

An dieser Stelle könnte man nun nahezu beliebig weiter darüber lamentieren, was in der Wissenschaft eigentlich alles falsch läuft und wer dafür verantwortlich sein könnte. Wirklich hilfreich ist das aber letztlich auch nicht, denn jeder Aufreger, sei er auch noch so berechtigt oder nicht, geht früher oder später im Alltagsgeschäft wieder unter. Nachhaltig können nur konkrete Lösungen sein, die auch zur Umsetzung gebracht werden und gezielt gegen all die vorgenannten Entwicklungen ansteuern.

In diesem Sinne möchte ich in persönlicher Sache bekanntgeben, dass ich den regulären Wissenschaftsbetrieb verlasse und im letzten Jahr den Grundstein für ein eigenes neues Forschungsinstitut gelegt habe, das sich u.a. genau dieser Probleme fach- und praxisnah annehmen soll. Das cyberintelligence.institute mit Sitz in Frankfurt/M. hat als internationale und interdisziplinäre Einrichtung mit unabhängiger Trägerschaft zukünftig die Aufgabe, sich den Herausforderungen für die digitale Resilienz von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat als Zukunftsthema anzunehmen und für mehr Transparenz und Innovation und besonders auch für Chancengleichheit im Wissenschaftsbetrieb zu sorgen. So werden nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Staaten weltweit die Möglichkeit haben, sich mit vernünftigen Argumenten in den fachlichen Diskurs einzubringen und in Gremien mitzuwirken, sondern insbesondere wird das Institut auch Aufgaben der Projektträgerschaft für privat finanzierte Forschungsprojekte in allen Fragen der digitalen Resilienz wahrnehmen, auf die sich jede und jeder mit guten Konzepten bewerben kann. Im Fokus stehen dabei vor allem auch agile und kleinere Innovationsprojekte, die zurzeit vielfach noch unter der Hand nach ebenjenem Prinzip „wer kennt wen“ vergeben werden. Das ist nicht nur ein ineffizientes und qualitativ in seinen Ergebnissen fragwürdiges Verfahren, sondern genaues Gegenteil von wissenschaftlicher Teilhabe und demokratischen Gestaltungsprozessen und damit letztlich auch von wissenschaftlicher Exzellenz. Überdies wird das cyberintelligence.institute auch Sprachrohr für berechtigte Einwände und fundierte Kritik in der nationalen und internationalen Cybersicherheitspolitik mit der dafür benötigen Unabhängigkeit von politischen Prozessen und Strukturen sein.

Manchmal ist es eben nur durch ein grundlegendes Umdenken möglich, neue Wege zu beschreiten und Dinge nachhaltig zu gestalten und zu verändern. Umso mehr freue ich mich auf die neuen Chancen, aber natürlich auch auf die vermutlich nicht unerheblichen Herausforderungen, die dieser Schritt mit sich bringen wird. In jedem Falle jedoch sollte man die Dinge, die einem ein persönliches Anliegen sind, in die Realität umsetzen und nicht auf einen unbestimmten, irgendwann in der Zukunft liegenden Zeitpunkt aufschieben. Denn für gute Ideen sind die Verhältnisse nie ungünstig.

Bremen, im März 2024

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